Ständerats-Präsidentin
Karin Keller-Sutter und ihre Wandlung vom «Blocher im Jupe» zur «mächtigsten Politikerin des Landes»

Karin Keller-Sutter gilt als mächtigste Politikerin der Schweiz. Sie selbst hält nichts von solchen Etiketten – sie orientiert sich an den Benediktinern.

Doris Kleck
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Hörte einst Punkrock, ist heute der Inbegriff einer seriösen Politikerin: Karin Keller-Sutter. CHRISTIAN BEUTLER/Keystone

Hörte einst Punkrock, ist heute der Inbegriff einer seriösen Politikerin: Karin Keller-Sutter. CHRISTIAN BEUTLER/Keystone

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Es gibt viele gescheiterte Bundesratskandidaten. Aber nur über eine wird so viel geredet wie über Karin Keller-Sutter – kurz KKS. Als die SP-Fraktion über die möglichen Nachfolger von Didier Burkhalter diskutierte, fiel ihr Name. Nicht, weil sie kandidierte, sondern weil ihre Nichtwahl mittlerweile zu einem sozialdemokratischen Trauma geworden ist. SP-Präsident Christian Levrat sagte kürzlich in dieser Zeitung: «Die Wahl von Johann Schneider-Ammann erwies sich aus heutiger Perspektive als nicht ideal angesichts seiner negativen Bilanz.» Man könnte diesen Satz wie ein Mea Culpa lesen. Denn die SP setzte auf den sozialpartnerschaftlich erprobten Unternehmer Johann Schneider-Ammann. Keller-Sutter galt als zu rechts, zu brillant. Ob die SP bei der nächsten FDP-Vakanz auf die Ständerätin setzen wird? «Ich erlebe sie in vielen Kommissionen und halte sie für durchaus fähig», antwortet Levrat.

Die Wandlung

Die Nichtwahl liegt sieben Jahre zurück. Eine Zeit der Methamorphose. Karin Keller-Sutter ist nicht mehr St. Galler Regierungsrätin, sondern Ständerätin. Nächsten Montag wird sie zur Ratspräsidentin gewählt. Aus der Asyl- und Anti-Hooligan-Politikerin ist eine Wirtschafts- und Sozialpolitikerin geworden. Die Metamorphose lässt sich an den Etiketten ablesen: von der «Hardlinerin», «Eisernen Lady» oder «Blocher im Jupe» hin zur «mächtigsten Politikerin des Landes». Oder prägnanter: «Die Grande», wie der «Tages-Anzeiger» schrieb. Keller-Sutter sagt dazu nur: «Ich bin eine grosse Anhängerin der Benediktinerregeln: Ich finde es wichtig, Demut und Distanz zu sich selber zu haben.» Ihr geht es nicht um die Schlagzeile, sondern die Wirkung.

Mit 36 Jahren wurde die verheiratete Kinderlose in die St. Galler Regierung gewählt. Es war ein Überraschungscoup. Keller-Sutter übernahm die Justiz- und Sicherheitsdirektion. Nicht, weil sie das wollte, sondern weil es die Konstellation erforderte. Die Volkswirtschaft- oder Bildungsdirektion wären ihr näher gelegen: Wegen ihrer Herkunft aus einer Wiler Gewerbefamilie und ihrer Zweitausbildung als Pädagogin. Keller-Sutter erging es wie Simonetta Sommaruga im Bundesrat. Etwas widerwillig übernahm sie die Justiz, erkannte aber schnell, welch grossen Gestaltungsraum sie hatte: Sie machte sich national einen Namen wegen ihres harten Durchgreifens gegen Hooligans, als toughe Asylpolitikerin und mit ihrem Kampf gegen häusliche Gewalt. Letzteres gefiel den Linken, das Übrige den Rechten. Bei Wahlen gab es deshalb immer Spitzenergebnisse.

Auch bei der Wahl 2011 in den Ständerat. Die Kampagne der «Weltwoche» gegen sie verpuffte. Dass sie in Bern andere Themen beackert als in St. Gallen, war ein bewusster Entscheid. Manche legen ihn so aus, dass sich die Ständerätin ein anderes Image überstreifen wollte auf ihrem Weg zur politischen Krönung: Auf dass die Wahl in den Bundesrat doch noch gelingen möge. Sie selbst sieht diesen Entscheid mehr als Rückkehr zu den Wurzeln. Sie habe zudem jene Themen gewählt, wo der Bund aufgrund seiner Kompetenzen viel zu bestimmen hat. Also Macht und Wirkung. So ist die überzeugte Föderalistin Mitglied der Kommissionen für Aussenpolitik, Wirtschaft und Soziales. Sie kämpfte zuvorderst gegen die Rentenreform. Den AHV-Ausbau um 70 Franken hielt sie für falsch. Kreuzfalsch.

Die Mentalität des Ostschweizers

«Meine gewerbliche Herkunft hat mich geprägt: Man kann kein Geld verteilen, bevor es verdient ist», sagt die 53-Jährige. So habe sie schnell gemerkt, dass sie liberal sei – obschon sie in der Kanti «links war». Mit ihrem Vater, einem CVPler, habe sie über Fristenregelung, die Stellung der Frau oder die Jugendunruhen gestritten. So erstaunt es nicht, dass Keller-Sutter der FDP und nicht der CVP beitrat. In Wil, einer einstigen CVP-Hochburg, setzte sich Keller-Sutter im Gemeinderat zusammen mit den Linken für ein Fixerstübli ein. Für sie ein Beweis, dass sie keine Ideologin sei, sondern pragmatisch und lösungsorientiert – wenn auch mit einem liberalen Kompass.

Um das Wesen der Ostschweizer zu charakterisieren, zitierte Keller-Sutter in einem Interview einmal den ehemaligen Ständerat Ernst Rüesch. Böse Zungen würden behaupten, eine Beerdigung in Zürich sei lustiger als eine Hochzeit in St. Gallen. Das habe etwas, sagt Keller-Sutter: «Wir sind nüchtern, bodenständig, pragmatisch und wir rufen nicht gleich nach dem Staat.» Das «Wir» schliesst die Ständerätin mit ein. Sie ist im Gespräch zwar offen und charmant. Sie gehört aber nicht zu den geselligsten Politikern. Und ihre Voten im Rat sind eher ernst als humorreich. Ratskollegen beschreiben sie als kompetent, stets gut vorbereitet, loben ihre geschliffenen Voten und ihren Fleiss. Doch sie reden auch von ihrer Distanziertheit. Ihrer Dünnhäutigkeit. Letzteres verneint Keller-Sutter vehement: «Ich bin nicht dünnhäutig, aber sensibel. Konstruktive Kritik nehme ich auf und stelle mich auch infrage.»

Kompetent und fleissig sind viele. Bei Keller-Sutter kommt hinzu, dass sie hervorragend kommuniziert. Klar, verständlich, nüchtern — in allen Landessprachen. Kein anderes, deutschsprachiges Parlamentsmitglied tritt in Westschweizer Radio- und Fernsehsendungen derart eloquent auf. Die gelernte Konferenzdolmetscherin hinterlässt einen souveränen Eindruck. Ihr kontrolliertes Auftreten lässt zudem nicht erahnen, dass Keller-Sutter einst Punkrock-Fan war und in London Konzerte von «The Clash» oder «The Lords of the New Church» besuchte.

2018 wird Keller-Sutter den Ständerat präsidieren. Und danach? Wird sie Nachfolgerin von Schneider-Ammann? Als Frau und Ostschweizerin wäre sie prädestiniert. Wäre, wenn sie denn will. Nach ihrer Nichtwahl schloss sie eine erneute Kandidatur aus. Jetzt sagt sie zum Thema nur: «Ständerat ist der schönste Job für eine Politikerin.»