Asylbewerber
Junge Eritreer und das Alkoholproblem: Suchtprävention schlägt Alarm

Rund 1000-mal musste die Kantonspolizei Aargau innert Jahresfrist wegen Asylbewerbern ausrücken. Oft war Alkohol im Spiel. Eine Ärztin führt traumatische Erlebnisse als Grund für die Exzesse an. Nun wird das Alkoholproblem auch bei den Suchtpräventionsstellen zum Thema.

Beat Schmid
Drucken
Verbreiten Angst und bereiten zunehmend Sorge: Bier trinkende Asylbewerber, namentlich aus Eritrea, an Bahnhöfen und weiteren öffentlichen Orten. (Symbolbild)

Verbreiten Angst und bereiten zunehmend Sorge: Bier trinkende Asylbewerber, namentlich aus Eritrea, an Bahnhöfen und weiteren öffentlichen Orten. (Symbolbild)

Keystone/DPA dpa/A3923/_ANGELIKA WARMUTH

Sie stehen rum, schwatzen, trinken Bier: jugendliche Flüchtlinge aus Eritrea an Schweizer Bahnhöfen. Meistens enden die Zusammenkünfte ohne Probleme. Doch manchmal gibt es Ärger und die Polizei muss ausrücken.

Beim Bahnhof Aarau ist das sehr oft der Fall. Es kommt zu Schlägereien, Pöbeleien und Gewaltanwendungen, wie es dann in den offiziellen Polizeimitteilungen heisst. Das sei der Alltag der Ordnungshüter und und fast immer ist Alkohol im Spiel, sagt Roland Pfister, Sprecher der Aargauer Kantonspolizei.

Rund 1000-mal musste die Kapo innert Jahresfrist wegen Asylbewerbern ausrücken. Das gab die Kapo im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage bekannt.

Das Thema betrunkene Eritreer ist heikel, viele schauen weg, wollen nicht sehen, was sich täglich an den Bahnhöfen abspielt. «Wenn ich mich in den Medien dazu äussere, erhalte ich immer ganz viele böse E-Mails», sagt der Kapo-Sprecher. Auch die meisten Flüchtlingsorganisationen würden das Thema am liebsten unter den Teppich kehren.

Wenige machen viel Ärger

Die AOZ betreut im Auftrag des Bundes, der Stadt und des Kantons Zürich und weiterer Gemeinden gemäss eigenen Angaben mehrere tausend Personen im Asylprozess. Damit ist die öffentliche Organisation einer der grössten Unterbringer von Asylbewerbern in der Schweiz.

AOZ-Sprecher Thomas Schmutz bestätigt Probleme mit Alkohol: «Es gibt seit längerer Zeit einen relativ kleinen Anteil unter den eritreischen Asylbewerbern, der immer wieder durch übermässigen Alkoholkonsum auffällt.» Laut Schmutz «kaufen sie billiges Dosenbier, konsumieren dies abends irgendwo ausserhalb der Unterkunft und kommen dann betrunken nach Hause.»

Zurück in den Flüchtlingsunterkünften gehe es in erster Linie darum, dass sie die übrigen Bewohner nicht stören, sagt Thomas Schmutz. «Oft versucht das Betreuungspersonal, betrunkene Personen zum baldigen Einschlafen zu bewegen.» Besitz und Konsum von Alkohol ist in den Gemeinschaftsunterkünften verboten, so der AOZ-Sprecher.

Probleme sind bekannt

Fana Asefaw kennt die Probleme junger Eritreer in der Schweiz nur allzu gut. Sie ist leitende Ärztin im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Winterthur bei der Klink-Gruppe Clienia. Sie stammt ursprünglich aus Eritrea und ist eine der wenigen Fachpersonen in der Schweiz, die mit den Eritreern in der Muttersprache über ihre Probleme sprechen können.

Von überall in der Schweiz kommen traumatisierte Eritreer zu Fana Asefaw in die Behandlung. Ihre Praxis ist hoffnungslos überlaufen. Sie sagt, die meisten Flüchtlinge seien bei ihrer Ankunft in der Schweiz psychisch stabil gewesen. «Aber wenn sie in die Durchgangsheime kommen und das Warten auf den Asylentscheid beginnt, haben sie Flashbacks.» Traumatische Erlebnisse aus ihrem Heimatland oder von der Flucht würden erst dann zum Problem.

Den meisten jungen Menschen sei es in Ländern wie Libyen und Sudan psychisch besser gegangen, glaubt die Ärztin. «Dort konnten sie etwas tun, gingen kleinen Jobs nach oder verrichteten andere Gelegenheitsarbeiten. Dadurch entwickelten sie eine Resilienz gegen das, was ihnen früher zum Teil angetan wurde.» Die Ärztin wird demnächst eine Studie zum Thema veröffentlichen, die auf Interviews mit 65 jungen Eritreern basiert.

Ein grosses Problem sei, dass die Flüchtlinge in der Schweiz keine Aufgabe hätten und zum Herumsitzen verdammt seien, sagt Fana Asefaw. «Das ständige Warten lähmt und zerstört, es demoralisiert und führt zu Alkoholkonsum, Drogen und Medikamentenmissbrauch.» In den Gesprächen sagten ihr die Jungen, dass sie früher keinen Alkohol getrunken hätten. «Einen Franken kostet eine Bierdose, das reicht, um sich zu betäuben», so die Ärztin. Effektiv kommt man beim Grossverteiler einen halben Liter Bier bereits für 45 Rappen.

Das Alkoholproblem unter den Flüchtlingen aus Eritrea wird zum Thema bei Suchtpräventionsstellen: «Wir haben begonnen, vermehrt Präventions-Angebote wie Broschüren und Flyer auf Tigrinya – Eritreas Hauptsprache – zu übersetzen», sagt Joseph Oggier von der Fachstelle für interkulturelle Suchtprävention und Gesundheitsförderung im Kanton Zürich.

Da es schwierig sei, junge Eritreer zu erreichen, sucht die Organisation nach geeignetem Personal. «Wir suchen nach interkulturellen Vermittlerinnen und Vermittlern, welche in der Landessprache direkt mit den Flüchtlingen in Kontakt treten können», sagt der Präventionsspezialist.

Verbot beschränkt sinnvoll

Auch die Flüchtlingsunterkünfte sehen sich in der Pflicht, etwas zu tun. Thomas Schmutz von der AOZ sagt, dass die beste Prävention eine «sinnvolle Tages- und Freizeitstruktur» sei. Mit entsprechenden Vorkehrungen gehe dies die AOZ «proaktiv» an. Einfach ein Alkoholverbot zu verhängen, habe nur eine beschränkte präventive Wirkung, so Schmutz.

Die Asylorganisation arbeitet laut dem Sprecher mit verschiedenen Präventionsstellen zusammen – im Bereich der Alkoholprävention mit der Suchtprävention Kanton Zürich sowie mit regionalen Fachstellen.

Suchtprävention allein dürfte das Problem allerdings kaum lösen. Die Polizei in Aarau beispielsweise rechnet jedenfalls mit einer steigenden Zahl an Einsätzen. Jetzt, wo es wieder wärmer wird und die Tage länger werden, dürften neben den Bahnhöfen neue Hotspots entstehen, befürchtet Kapo-Sprecher Pfister. Auch Ärztin Fana Asefaw ist skeptisch, dass sich das Problem schnell auflöst. Im Gegenteil: «Ich befürchte, dass das Problem noch zunehmen wird.»