Im erstinstanzlichen Verfahren wurde einer der Beschuldigten freigesprochen, obwohl seine Geschichte nicht stimmen konnte. Ausgerechnet er wurde später als mutmasslicher Terrorunterstützer bekannt. Jetzt wird der Freispruch überprüft.
Vor fünf Jahren wurde die Winterthurer An’Nur-Moschee als Islamisten-Treffpunkt bekannt. Es kam zur Eskalation: Die Jugendgruppe der Moschee fand zwei Verräter in den eigenen Reihen und verprügelte sie. Vor drei Jahren wurden neun junge Männer dafür verurteilt, einer wurde freigesprochen. Am Montag verhandelt das Zürcher Obergericht den Fall.
Seit der Tat ist viel passiert. Die Moschee wurde geschlossen. Die Szene zerstreute sich. Einige mässigten sich. Einer radikalisierte sich.
D.C. ist 25 Jahre alt und war bei der ersten Verhandlung eine Nebenfigur. Er wurde als Einziger freigesprochen. Inzwischen ist er aber plötzlich zu einem mutmasslichen Terror-Unterstützer geworden. Er gilt als der Kollege des Wiener Attentäters.
Gemäss Ermittlungen der Bundesanwaltschaft fuhr er vor einem Jahr mit einem jüngeren Kollegen in einem Audi A3 nach Wien. Sie trafen den Mann, der später das Attentat von Wien verübte, und übernachteten bei ihm. Am Tag nach ihrer Abreise versuchte der spätere Attentäter, Munition für eine Kalaschnikow zu beschaffen. D.C. wird der Gehilfenschaft zu Mord verdächtigt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Kürzlich wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen.
Bevor es nun zu einem Prozess wegen der Wienreise kommt, wird nochmals die Vorgeschichte vor Gericht verhandelt. War es wirklich richtig, ihn damals freizusprechen und ihm sogar eine Wiedergutmachung von 34000 Franken für die Haft zu zahlen? Die Staatsanwältinnen sehen darin einen Fehler und fordern einen Schuldspruch.
Das schriftliche Urteil des Winterthurer Bezirksgerichts zeigt, wie es zum Freispruch kam. Der Mann behauptete, er habe sich während der Schlägerei im leeren Frauenzimmer der Moschee aufgehalten und dort alleine den Koran gelesen. Er habe dort den ganzen Abend auf den Gebetsruf gewartet. Von den tumultartigen Szenen habe er überhaupt nichts mitbekommen und erst davon erfahren, als die Polizei kam. Die anderen Beschuldigten kenne er kaum, eigentlich nur vom Sehen.
Die Geschichte trug er geschickt vor. Im Unterschied zu einigen Kollegen verwickelte er sich nicht in Widersprüche, sondern erzählte immer das Gleiche. Das Gericht bezeichnet seine Darstellung dennoch als «eher wirklichkeitsfremd und unrealistisch». Es sei kaum denkbar, dass er über zwei Stunden auf das Gebet gewartet habe, ohne sich je im Gebetsraum danach zu erkundigen.
Er kenne die anderen Männer zudem besser, als er zugebe. Mit einem war er in den Ferien. Ein anderer wurde in der Wohnung von D.C. verhaftet. Es sei deshalb «eigentlich ausgeschlossen», dass er an diesem Abend tatsächlich immer im Nebenraum war.
Doch die Aussagen der beiden Opfer gegen ihn seien zu vage. Sie sagten aus, er sei dabei gewesen, wussten aber nicht mehr genau, wie er sich an der Tat beteiligte. Das Gericht kam zum Schluss, dass dies für eine Verurteilung nicht ausreicht. Aufgrund der verbleibenden Zweifel sei zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er tatsächlich nicht dabei war. Das Gericht sah sich aufgrund der dünnen Beweislage also gezwungen, eine unglaubwürdige Geschichte zu glauben.
Jetzt wird sie an fünf Verhandlungstagen überprüft. Das Urteil ist für den 6. Oktober angekündigt.