Interview
Freisinnige Krise in den grossen Städten: «Die FDP leidet darunter, dass sie ihre Flügel gestutzt hat»

St. Gallen, Bern, Basel-Stadt: Die FDP war am Sonntag in den Städten die grosse Wahlverliererin. Der Politikwissenschafter Michael Hermann erklärt, weshalb der Zeitgeist, die nationale Politik und das politische Personal den städtischen FDP-Sektionen Mühe bereiten.

Christoph Bernet
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Der Roche Tower in Basel: Hier flog die FDP am Sonntag erstmals überhaupt aus der Regierung

Der Roche Tower in Basel: Hier flog die FDP am Sonntag erstmals überhaupt aus der Regierung

Anthony Anex / KEYSTONE

Wieso kommt die FDP in den Städten auf keinen grünen Zweig?

Die Freisinnigen haben schon länger Schwierigkeiten in den – vor allem grösseren – Städten. Diese haben sich jüngst noch einmal deutlich akzentuiert. Das hat viel mit dem politischen Stimmungswandel zu tun, den wir in der Schweiz jüngst erlebt haben. Die Grosswetterlage ist für die FDP zurzeit eher ungünstig.

Was zeichnet diese Grosswetterlage aus?

Michael Hermann

Michael Hermann



Die politische Mitte der Schweiz war jahrelang vom Thema Migration beherrscht. Das hat sich in jüngster Vergangenheit drastisch geändert. Auch in der politischen Mitte ist die Ökologie zum bestimmenden Thema geworden. Hinzu kommen vor Fragen wie Gleichberechtigung, welche vor allem für die städtische Wählerschaft wichtig sind.

Was kann die FDP tun, um in den Städten wieder Erfolg zu haben?

Der Wahlerfolg der LDP in Basel zeigt: Eine liberale Partei kann im urbanen Raum erfolgreich sein. Der Vorteil der LDP gegenüber der FDP: Sie gibt es nur in Basel, wo sie sich ganz auf eine städtische Politik konzentriere kann. Bei der FDP hingegen wirkt sich die Wahrnehmung der nationalen Partei auf die Erfolgsaussichten in den Städten aus. Doch für die FDP Schweiz macht es wenig Sinn, ihre Politik vollständig auf die städtischen Wähler auszurichten, wenn sie dadurch an Unterstützung auf dem Land oder in den Agglomerationen verliert. In den Städten hat die FDP nun ein Problem, weil sie unter ihrem früheren Präsidenten Fulvio Pelli ihre Flügel gestutzt hat, um das Profil zu schärfen: Es fehlt der progressiv-liberale Flügel, der hier punkten könnte.

Werden die Grünliberalen die FDP aus den Städten verdrängen?

Lange gelang es der GLP in den Städten kaum, Exekutivmandate zu erobern, weil ihr die Allianzen fehlte. Doch in Winterthur, Zürich oder jüngst in Basel hat sich das geändert. Für die FDP ist die Lage dadurch nochmals ungemütlicher geworden. Obwohl sie unter Parteipräsidentin Petra Gössi eigentlich thematisch vieles richtig macht.

Fehlt den Freisinnigen in den Städten das geeignete Personal ?

Lange hat die FDP vom Milizsystem profitiert. Wer in der Wirtschaft und im Militär Karriere machen wollte, engagierte sich politisch bei der FDP. Doch in der globalisierten Wirtschaft und der professionalisierten Politik geht dieser Spagat immer weniger. Liberal gesinnte Bürgerliche entscheiden sich tendenziell eher für eine Karriere in der Wirtschaft. Das ist mit mehr Prestige verbunden Im linksgrünen Millieu ist ein politisches Engagement hingegen attraktiver und angesehener.