Masseneinwanderungsinitiative
Inländer-Vorrang «super-light»: Verkäuferinnen sollen nicht mehr profitieren

Der Bund will die Stellenmeldepflicht nur für Berufe mit mindestens 8 Prozent Arbeitslosigkeit. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative soll nochmals aufgeweicht werden. Was bedeutet das für die einzelnen Berufe?

Patrik Müller
Drucken
Das Staatssekretariat für Wirtschaft will die Stellenmeldepflicht erst Mitte 2018 einführen - und den Schwellenwert bei der Arbeitslosigkeit von 5 auf 8 Prozent heraufsetzen.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft will die Stellenmeldepflicht erst Mitte 2018 einführen - und den Schwellenwert bei der Arbeitslosigkeit von 5 auf 8 Prozent heraufsetzen.

KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER

Viel ist nach der Parlamentsdebatte zur Umsetzung der 2014 angenommenen Masseneinwanderungsinitiative nicht übrig geblieben. Das räumen Politiker aller Parteien freimütig ein. Am Ende kam eine sogenannte Stellenmeldepflicht heraus, auch “Inländervorrang light” genannt: Demnach müssen Firmen ihre offenen Stellen den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) melden, mit dem Ziel, dass Inländer bessere Chancen haben, einen Job zu bekommen. Bisher hiess es, diese Stellenmeldepflicht werde am 1. Januar 2018 einführt und sie gelte für Berufe, für die eine Arbeitslosenquote von 5 oder mehr Prozent gemessen wird.

Doch nun will das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) die Stellenmeldepflicht erst Mitte 2018 einführen - und den Schwellenwert bei der Arbeitslosigkeit von 5 auf 8 Prozent heraufsetzen. Dies berichtet die «NZZ». Was hiesse die Erhöhung des Schwellenwerts? Ein Blick in die neusten verfügbaren Arbeitslosenzahlen, die nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt sind, zeigen: Für Verkäuferinnen und sonstige Detailhandelsangestellte würde die Stellenmeldepflicht nicht mehr gelten. Ihre Arbeitslosenquote liegt über 5, aber unter 8 Prozent. Im Mittel des vergangenen Jahres waren 10'700 Detailhandelsangestellte arbeitslos gemeldet. Gebäudereiniger fallen ebenfalls nicht mehr unter die Meldepflicht - auch hier könnten die Arbeitgeber unkompliziert Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren. Zuletzt waren 5600 arbeitslose Gebäudereiniger gemeldet.

Weitere Berufe, die aus der Meldepflicht herausfallen: Elektrozeichner, Maurer, Glaser, Bauschreiner, Dachdecker, Bodenleger und Geisteswissenschaftler wie Philologen, Historiker und Archäologen. Bei ihnen allen liegt die Arbeitslosenquote zwischen 5 und 8 Prozent.

Welche Berufe haben über 8 Prozent Arbeitslose? Hier einige Beispiele:

  • Betonbauer, Zementierer, Verputzer: 19 Prozent Arbeitslosenquote.
  • Schauspieler: 14,6 Prozent
  • PR-Fachleute: 12,5 Prozent
  • Kuriere: 11,8 Prozent
  • Lageristen und Magaziner: 11,8 Prozent
  • Servicepersonal: 10,5 Prozent
  • Küchenpersonal: 9,0 Prozent

Einen Überblick über alle Berufe gibt es hier: https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/aktuell/gesetzgebung/teilrev_aug_art-121a/arbeitslosenquoten-d.pdf

Bundesrat entscheidet

Die verzögerte und mildere Einführung der Stellenmeldepflicht ist noch nicht definitiv. Das Seco will das so, ebenso die Kantone, deren RAV nicht für eine schnelle Umstellung bereit sind, und auch die Arbeitgeber haben sich in der Vernehmlassung für eine möglichst schlanke Umsetzung eingesetzt. Doch letztlich obliegt es dem Bundesrat, zu entscheiden.

Laut NZZ geht das Seco davon aus, dass die Landesregierung im Dezember definitiv - und im Sinn des Seco - entscheiden wird. Es soll eine Übergangfrist geben: Ab dem Jahr 2020 soll die 8-Prozent-Schwelle auf die ursprünglich vorgesehenen 5 Prozent gesenkt werden.

Der Aargau würde entlastet

Wenn die Stellenmeldepflicht erst ab 8 Prozent Arbeitslosenquote gilt, und nicht schon bei 5 Prozent, dann würde das die Aargauer RAV spürbar entlasten. Isabelle Wyss vom Amt für Wirtschaft und Arbeit rechnet gegenüber der AZ vor: Statt 7771 Stellensuchende wären dann nur 3870 Stellensuchende betroffen. So viele Menschen sind in jenen Berufen arbeitslos, für die eine mindestens 8-prozentige Arbeitslosigkeit gemessen wird. Bislang hiess es, die Aargauer RAV müssten 30 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Bei der weiteren geplanten Aufweichung der Stellenmeldepflicht wären es dann statt 30 nur noch 7 zusätzliche Jobs. Mit der Rekrutierung dieser RAV-Berater hat der Kanton noch nicht begonnen, „weil noch nicht alles klar ist“, wie Wyss sagt. Der Kanton könnte die Stellenmeldepflicht aber auf Mitte 2018 wie vom Seco vorgeschlagen umsetzen: „Dies ist für den Kanton Aargau leistbar. Wir sind bezüglich der Prozesse bereits sehr gut aufgestellt, haben vor einigen Jahren ein Kompetenzzentrum für Arbeitgeberberatung und Stellenkoordination auf den RAV aufgebaut.“ (pmü)

Ob der Bundesrat diesen Wünschen nachkommen wird, ist offen. Die zuständige Kommission des Ständerats ist mit der Verzögerung und der Senkung des Schwellenwerts gar nicht einverstanden. Kommissionsmitglied und Ständerat Philipp Müller (FDP/AG) sagt: “Wir akzeptieren das nicht. Die Kommission hat sich überaus klar ausgedrückt und spricht sich für die Einführung auf den 1. Januar 2018 und einen Schwellenwert von 5 Prozent aus.” Ansonsten, so Müller, würde die Stellenmeldepflicht ihre Wirkung grösstenteils verlieren. Es kann nicht sein, dass die Umsetzung, die ohnehin schon einiges vom Verfassungsartikel weg ist, nun noch mehr verwässert wird.”​

Müller kritisiert Sauter

Ein Hauptgrund für die vom Seco gewünschte Verzögerung sind Softwareprobleme, unter anderen bei den RAV. Die aktuelle IT sei nicht geeignet, so viele Dossiers zu verarbeiten, wie bei der ursprünglich vorgesehenen Meldepflicht eingehen würden, sagte Bruno Sauter, Präsident des Verbands Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden und Chef des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich. Philipp Müller hat für diese Haltung wenig Verständnis: «Man weiss schon lange, was auf die RAV zukommt. Wenn diese jetzt noch immer nicht bereit sind, dann muss man sich ernsthaft fragen, ob dort die richtigen Leute in der Führung sind.» Explizit kritisiert Müller den Zürcher Amtschef Sauter: «Wenn einer in einer Spitzenposition sagt, man sei überfordert, dann müsste er in der Privatwirtschaft seinen Posten räumen.»

Das Seco rechnet damit, dass in den RAV 270 zusätzliche Stellen nötig sind, um die Stellenmeldepflicht zu bewältigen. Seco-Sprecher Fabian Maienfisch sagt, die Erhöhung des Schwellenwerts von 5 auf 8 Prozent ändere nichts an diesem Bedarf: «Es sind zwar weniger Dossiers zu bearbeiten. Aber der Aufbau der ganzen Administration bleibt eine grosse Herausforderung.» Für Philipp Müller sind die 270 Stellen nicht das Problem: «Wenn die Leute gut arbeiten, lohnen sich diese Stellen: Dann holt man das Geld durch Einsparungen bei den ALV-Arbeitslosengeldern mehrfacht wieder herein.»