Deutschland
«In der Schweiz bleibt netto mehr übrig als in Deutschland»

Erstmals äussert sich Deutschlands Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zum Datenklau. Zudem ist er besorgt darüber, dass so viele Deutsche in die Schweiz auswandern – und startet eine «Rückholpolitik».

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Rainer Brüderle

Rainer Brüderle

Keystone

Interview: Patrik Müller
Herr Minister, das Verhältnis Schweiz - Deutschland hat sich verschlechtert. Man fühlt sich an die Kavallerie-Aussagen von Herrn Steinbrück erinnert.
Die etwas drakonische Art von Herrn Steinbrück ist längst vergessen. Aussenminister Guido Westerwelle hat ein sehr gutes Verhältnis zur Schweiz. Ich meinerseits mag die Schweiz ebenfalls sehr gern. Die Schweizer Freisinnigen sind unsere Partner und Freunde, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
Ist es freundschaftlich, wenn Deutschland gestohlene Bankdaten aus der Schweiz kauft?
Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Auch nicht in der Schweiz. Es geht ja darum, Straftaten aufzudecken. Auch die Schweizer verfolgen Steuerbetrüger, die ihr Geld beispielsweise in Deutschland anlegen und in der Schweiz nicht deklarieren. Massnahmen, die zur Aufdeckung von Steuerstraftaten führen, sind deshalb kein «unfreundlicher Akt», sondern Ausdruck steuerpolitischer Souveränität eines Staates. In der Schweiz wie in Deutschland.
Finanzminister Merz verurteilte den Datenkauf. Widerspricht der Kauf nicht Ihrem Rechtsverständnis?
Die steuerehrlichen Bürger würden es nicht verstehen, wenn rechtswidrige Steuerhinterziehung ignoriert würde und sie deshalb mehr Steuern zahlen müssten. Gerade meine Partei, die FDP, möchte die Steuern für alle senken. Dies erfordert, dass alle, die nach dem Gesetz Steuern zahlen müssen, das auch tun. Ich glaube nicht, dass Finanzminister Merz das bezogen auf die Schweizer Steuerzahler anders sieht.
Was erwarten Sie von der Schweiz?
Ich erwarte, dass bei den geplanten Verhandlungen über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz möglichst schnell ein Informationsaustausch nach OECD-Standard vereinbart wird.
Wie der alten Regierung geht es auch der neuen CDU-FDP-Koalition darum, Schwarzgeld aus der Schweiz zurück nach Deutschland zu holen.
Es hat sich einiges geändert. Die Schweiz hat faktisch ihr Bankgeheimnis auf amerikanischen Druck sehr weit geöffnet. Die europäischen Bemühungen hatten dies nicht möglich gemacht. Das sehe ich mit gemischten Gefühlen – auch mit Blick auf Deutschland: Ein gewisses Bankgeheimnis hat seinen Sinn. Wir reden immer von Datenschutz, von Intimsphäre. Wenn sich das Finanzamt mit der Sparkasse unmittelbar austauscht, dann haben wir möglicherweise etwas falsch gemacht.
Gegenüber den USA hat die Schweiz nachgegeben. Fordert Deutschland gleich lange Spiesse wie Amerika – oder sind Sie bereit für eine differenzierte Lösung?
Wir müssen differenzieren. Ich habe mit Besorgnis die Diskussionen über das Swift-Abkommen verfolgt. Wir brauchen in Europa eine gemeinsame Position. Denn es geht um etwas sehr Ernstes: Um den Wettbewerb der Finanzplätze. Kontinentaleuropa steht in Konkurrenz zu London und New York.
Die Schweiz soll gemeinsam mit Europa gegen London und New York kämpfen?
Die kontinentaleuropäischen Finanzplätze wie Zürich, Paris und Frankfurt sollten im Wettbewerb der Finanzplätze Gemeinsamkeiten suchen. Wir laden unsere Schweizer Freunde ein, diese Themen noch vertiefter mit uns zu diskutieren.
Meinen Sie einen EU-Beitritt?
Ich würde mir wünschen, dass die Schweiz der EU beitritt, aber es kann auch sonst eine engere Zusammenarbeit sein. Das entscheiden die Schweizer. Ich bin ein Anhänger von Volksentscheiden.
In der Schweiz ist die starke Zuwanderung aus Deutschland ein grosses politisches Thema. Auch für Sie?
Das ist auch für uns ein Thema, weil wir Fachkräfte, Wissenschafter und andere Topleute verlieren. Es wandern geistiges Know-how und Managementfähigkeiten ab – das bereitet uns Sorgen. Manche Deutsche bleiben ja nur ein paar Jahre in der Schweiz, das ist im Sinn von Goethes «Wanderjahren» sogar positiv. Dauerhafte Auswanderungen müssen wir aber im Auge behalten – und gegebenenfalls auch gegensteuern.
Wie denn?
Indem wir Deutschland attraktiv für die Zuwanderung qualifizierter Leute wie zum Beispiel Hochschullehrer und Forscher machen. Es gibt in Deutschland schon erfolgreiche Programme, um Spitzenforscher aus den USA für eine Tätigkeit in Deutschland zu gewinnen.
Warum wandern aus Ihrer Sicht so viele Deutsche in die Schweiz aus?
Einerseits ist in der Schweiz die Beschäftigungslage etwas besser, andererseits liegt es auch an den niedrigeren Steuern und Sozialabgaben – es bleibt netto mehr übrig als in Deutschland. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen in Deutschland verbessert werden. Hier setzen wir auch bei unserer Rückholpolitik an.
Wie soll diese funktionieren?
An unseren Hochschulen haben wir im internationalen Vergleich zu starre Strukturen, etwa in der Besoldung. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, flexibler werden und den Hochschulen mehr Autonomie geben. Sie müssen Forscher als Wachstumspole zurückgewinnen, denn sie sind die Vordenker für die Arbeitsplätze von morgen. Für Spitzenfussballer gibt man Riesenbeträge aus; auch Spitzenforscher und -wissenschafter sollten wir uns etwas kosten lassen. Ich sage aber auch deutlich: Der grenzüberschreitende Austausch von Talenten ist sinnvoll. Ich betrachte die Schweiz als zentraleuropäische Kernregion, es geht um einen vernünftigen, sportlichen Wettbewerb um die besten Leute. Es arbeiten ja auch Schweizer in Deutschland – vornehmlich in Führungsfunktionen. Ein prominentes Beispiel ist Josef Ackermann von der Deutschen Bank.