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Schweiz
Im Walliser 250-Seelendorf Zeneggen können Senioren geschützt von 8 und 10 Uhr im Dorfladen einkaufen. Diesen Service sollten auch Migros, Coop, Lidl und Aldi anbieten, sagt Immunologe Beda Stadler. In vielen Ländern gibt es ihn schon.
Am Donnerstag hatte der Kanton Uri für über 65-Jährige eine Ausgangssperre ab 18 Uhr beschlossen. Nach einer Intervention des Bundesrats musste die Urner Regierung allerdings zurückkrebsen.
Der Kanton Tessin wiederum verbietet seit Samstag älteren und gefährdeten Menschen, selber einzukaufen. Ältere Menschen sollen Hilfe von Verwandten holen oder kommunale Dienste für die Hauszustellung nutzen, sagt die Tessiner Regierung. Sie will trotz Kritik aus Bern am Einkaufsverbot festhalten.
Ein Einkaufsverbot für Seniorinnen und Senioren hält Immunologe Beda Stadler aber für falsch. Für ihn hat sein Wohnort - das 250-Seelen-Dorf Zeneggen im Wallis - das Ei des Kolumbus gefunden. Es gebe dort elf Familien mit Personen über 65 Jahre, sagt Stadler.
Er gehört mit seinen 70 Jahren selbst dazu. «Die Älteren können im Dorfladen – dem Magusii – zwischen 8 und 10 Uhr einkaufen», sagt er. Der Laden biete auch die Möglichkeit, sich Waren nach Hause liefern zu lassen.
Genau das schlägt Stadler nun für die ganze Schweiz vor. «Migros, Coop, Aldi und Lidl sollten die Läden am Montagmorgen von 8 bis 10 Uhr exklusiv für Leute über 65 Jahre öffnen», fordert er. «Dann wären sogar jene Viren verschwunden, die am Samstag allenfalls in die Läden kamen.» Das habe er auch Alain Bersets Gesundheitsdepartement (EDI) vorgeschlagen.
Die Initiative müsse allerdings von den Detailhändlern ausgehen, findet er. «Wir sollten dem Bundesrat nicht auch noch die letzten Kompetenzen übertragen», betont er. «Wir wollen kein Nordkorea. Es passt mir nicht, wenn wir von Zentralisten regiert werden.»
In anderen Ländern sind exklusive Shopping-Zeiten für Seniorinnen und Senioren üblich. Die britische Supermarktkette Iceland etwa bietet den über 65-Jährigen in Nordirland ein Zeitfenster zwischen 8 und 9 Uhr, in dem nur sie einkaufen dürfen. Das Angebot gilt in 27 Filialen.
Woolworth öffnet in Australien am Morgen eine Stunde pro Tag ausschließlich für Senioren. Jeden Tag zwischen 7 und 8 Uhr dürfen nur über 60-Jährige und Menschen mit Behinderung die Märkte besuchen. Die Einzelhandelskette will den Menschen, die zu den Risikogruppen in der Corona-Krise gehören, ein entspannteres Einkaufen ermöglichen.
In Norwegen bot ein Supermarkt-Inhaber der Gemeinde Salangen als erster Risikogruppen besondere Öffnungszeiten an. Zwischen 7 und 9 Uhr morgens ist sein Laden für sie geöffnet. An der Ladentür achten Gemeindemitarbeiter, dass keine anderen Kunden das Geschäft betreten.
Immunologe Stadler möchte noch weiter gehen. Die SBB soll in jedem Zug ein Ruheabteil für über 65-Jährige mitführen. «Das wäre ohne Aufwand möglich», sagt er. «Man müsste das Abteil wie bei einer Reservation mit ‹Nur für Senioren wegen des Coronavirus› beschriften.»
Obwohl er diesen Vorschlag schon mehrfach äusserte, tat sich bislang nichts. Die SBB bauten nur Zugverbindungen ab, sagt Stadler. Deshalb geht der emeritierte Professor und ehemalige Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern nun einen Schritt weiter.
«Senioren sind auf den ÖV angewiesen. Ich könnte mir vorstellen, dass Ältere Taxis benutzen», hält er fest. «Dafür müsste der Taxifahrer eine Folie zwischen Hintersitz und Fahrer spannen.»
Für Stadler ist klar, dass der Bund den über 65-Jährigen wieder mehr Spielraum geben sollte. «Wir dürfen die Älteren nicht einsperren. Es ist wichtig für über 65-Jährige, dass sie sich bewegen», betont er. Sie sollten spazieren gehen, wenn sie dabei möglichst niemandem begegneten. «Sonst sind sie psychisch dermassen belastet, dass es auch deshalb zu Depressionen oder gar Todesfällen kommen kann.» Da müsse Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch nachbessern.
Stadler selbst hält sich übrigens als Immunologe strikt an die Vorgaben der Bundesbehörden, wie er festhält. «Ich bin doppelt gefährdet: Weil ich 70 bin und weil ich eine Lungenembolie hatte.» Als er vom Departement des Innern letzte Woche zu einem Expertentreffen aufgeboten wurde, sagte er ab. «Selbst als man mir anbot, eine Limousine mit Fahrer zu schicken.» Stadler: «Risikofälle sollen in Selbstquarantäne.»
Abgesehen von über 65-Jährigen und Risikopatienten hält er das Coronavirus allerdings für «harmlos», wie er sagt. «Es ist wirklich kein Killervirus à la Netflix.» Er habe noch nie «ein derart selektives Virus» gesehen wie das Coronavirus. «Weltweit starb noch kein Kind unter 10 Jahren.»
Ob der Kanton Tessin sein Einkaufsverbot für Senioren aufrecht halten kann, dürfte sich am Mittwoch entscheiden. Der Bundesrat befindet über sogenannte «Krisen-Fenster». Es geht darum, dass Kantone weitergehende Massnahmen als der Bund ergreifen dürfen, sollte es die spezifische Situation erfordern. Aber nur befristet, wie das Bundesamt für Justiz betont - und auf Gesuch hin.