Startseite
Schweiz
Standesämter müssen nur noch Alte, Kranke und Hochschwangere trauen. Dank Kantönligeist kann man aber an Orte ausweichen, wo die Regeln weniger streng sind.
Ein Knall hallt durch den leeren Lichthof des Zürcher Stadthauses. Es ist kurz nach 11 Uhr und Daniel und Andrea Josi, die eben noch Kühni hiess, sind endlich am Ziel. Sie sind verheiratet. Der Bauch von Andrea wölbt sich unter dem champagnerfarbenen Hochzeitskleid. Daniel nimmt sie in die Arme. Ein Stock tiefer springt der Korken ein paar Mal vom Steinboden auf. Er ist aus Plastik, der Schaumwein alkoholfrei. Sie ist im siebten Monat schwanger.
Normalerweise gleicht das Verwaltungsgebäude der grössten Schweizer Stadt einem Bienenhaus. Menschen kommen und gehen. Wegen der Coronakrise ist es stiller als sonst. Viele Beamte arbeiten von zu Hause aus. Die verbliebenen Mitarbeiter langweilen sich an leeren Schaltern. Davon bekommen die frischvermählten Josis nichts mit. Andrea, 33, und Daniel, 32, sehen jetzt aus wie ein ganz normales, frisch vermähltes Paar, und doch haben sie eine besondere Geschichte.
Drei Stunden vorher stiegen Andrea und Daniel in Oberhofen am Thunersee zusammen mit ihren Trauzeugen in ein Auto. 150 Kilometer fahren sie auf leeren Autobahnen nach Zürich. Das Standesamt in Thun, wo sie vor Monaten einen Trauungstermin vereinbart hatten, hat ihre Hochzeit wegen der Coronakrise kurzfristig abgesagt.
Die Zivilstandesämter sind wegen des Coronanotstandes nur noch verpflichtet, einen Grundbetrieb aufrecht zu erhalten. Vorrang haben Personen, die alt oder krank sind, und Hochschwangere. Im Kanton Bern wird im Moment nur noch getraut, wer den Geburtstermin vor dem 1. Mai hat. Das Kind von Andrea und Daniel kommt Anfang Juni. Doch länger warten wollen sie nicht.
Am Freitag verschickte das Eidgenössische Amt für das Zivilstandswesen eine Weisung, welche die Praxis des Kantons Bern bestätigt. Allerdings dürfen Zivilstandesämter auch alle anderen Paare grundsätzlich weiter trauen, wenn sie die Coronavorsichtsmassnahmen einhalten. Andrea und Daniel fanden nach Absagen aus zwei weiteren Kantonen darum doch noch einen Ort zum Heiraten: das altehrwürdige Stadthaus an der Limmat.
In Zürich finden Trauungen fast ganz normal statt. Aussenlokale wie der Prime-Tower sind zwar geschlossen, und ausser den Trauzeugen darf niemand dabei sein. Die Standesbeamtin sitzt zudem hinter einer Plexiglasscheibe. Die Paare können aber weiterhin zwischen einer langen und einer kurzen Zeremonie wählen. Andrea und Daniel nehmen die kurze. Sie machen sich ohnehin nicht viel aus Ritualen. Auf eine kirchliche Trauung verzichten sie und ob es überhaupt noch ein Hochzeitsfest gibt, ist ungewiss. «Von mir aus nicht unbedingt», sagt der Bräutigam. Das Hochzeitsfest mit Freunden, das eigentlich am vergangenen Samstag hätte stattfinden sollen, haben sie zum simplen Grillieren im kleinen Kreis eingedampft. Nach der Trauung fahren sie zurück in den Kanton Bern und machen bei ihren Eltern je einen Halt zum Anstossen.
Andrea und Daniel sind seit zehn Jahren zusammen. Kennengelernt haben sie sich bei der Arbeit. Sie war einmal seine Praktikantin in der Küche eines Altersheims. Heute ist er Küchenchef und sie stellvertretende Heimleiterin. Ihre Leidenschaft ist das Reisen. «Dass unsere Hochzeit durch Corona verkompliziert wurde, ist halb so schlimm, viel mehr weh hätte es getan, wenn es uns auf einer Reise erwischt hätte und wir Hals über Kopf hätten zurückkehren müssen,» sagt Andrea.
Als Andrea und Daniel sich auf der Münsterbrücke von Passanten noch ein letztes Mal per Smartphone ablichten lassen, schneiden Gabriel und Luiz gerade ein paar Meter entfernt ihre Hochzeitstorte an. Auch der Zürcher und der Brasilianer haben sich eben das Jawort gegeben. Sie tragen rot-schwarze Gewänder, die an afrikanische Trachten erinnern. Etwas entfernt warten Gabriels Schwester, ihre beiden Buben und ein Freund. Gerade ist ein Streifenwagen vorbeigefahren. Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten. Nur für ein Gruppenfoto steht die kleine Hochzeitsgesellschaft kurz zusammen. Dann geht sie wieder auseinander. Sicher ist sicher.
Gabriel und Luiz haben sich in Brasilien kennen gelernt, wo der Sozialarbeiter Gabriel vor zwei Jahren ein Austauschsemester absolvierte. Dank der eingetragenen Partnerschaft – eine Homo-Ehe gibt es in der Schweiz noch nicht – kann Luiz nun ohne Probleme in der Schweiz bleiben. In Zeiten von geschlossenen Grenzen ist das noch wichtiger als sonst. Darum war für sie klar, dass sie ihre Partnerschaft trotz der Krise eintragen lassen. Als sie die Vermählung vereinbart hatten, war Corona aber nur eine Biermarke.
Plötzlich stösst ein Mann zur Gruppe dazu. Er hat eine Kartonschachtel dabei. Es ist das Hochzeitsgeschenk einer Freundin, die nicht selber kommen kann. Sie befindet sich in Quarantäne, weil sie Coronasymptome hat. Sie sollen vorsichtig sein beim Auspacken und sich nachher die Hände waschen, sagt der Überbringer noch, da ist das Paket schon offen. Heiraten in Zeiten von Corona: noch möglich und doch anders als sonst.
Dürfen die Kantone Hochzeiten absagen?
Die Notstandsverordnung des Bundesrates gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob Hochzeiten noch stattfinden können. Die öffentliche Verwaltung darf grundsätzlich geöffnet bleiben, aber muss sie auch? Die Bundesverfassung garantiert das Recht auf Ehe und Familie. Allerdings sind im Moment auch Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. «In der jetzigen Situation halte ich Einschränkungen für vertretbar», sagt Felix Uhlmann, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich. «Sollte die Corona-Krise länger dauern, müsste man die Frage aber sicher nochmals prüfen».