Wirtschaft
Ignazio Cassis und der Krankenkassen-Knatsch zwischen Sanitésuisse und Curafutura

Der Krankenkassenverband Santésuisse verliert einen Kadermann an die Konkurrenz. Deren Präsident: Bundesratsanwärter Ignazio Cassis.

Andreas Möckli
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Der Konflikt zwischen den Krankenkassenverbänden Santésuisse und Curafutura erhält neuen Auftrieb. Der Grund ist ein Wechsel von Andreas Schiesser. Er war bei Santésuisse als Projektleiter Medikamente tätig. In der Öffentlichkeit bekannt ist sein jährlicher Preisvergleich zwischen ausländischen und schweizerischen Medikamentenpreisen, den Santésuisse zusammen mit der Pharmaindustrie erstellt. Per 1. September wechselt Schiesser zu Curafutura. Die beiden Verbände bestätigen entsprechende Recherchen.

Santésuisse hat am Wechsel selbstredend keine Freude und hat Schiesser umgehend freigestellt. Offenbar wirft Santésuisse dem Verband Curafutura vor, Schiesser abgeworben zu haben. Dem sei aber nicht so, sagen Personen, die Curafutura nahestehen. Schiesser habe sich vielmehr von sich aus gemeldet. Weder Santésuisse noch Schiesser wollen sich zu Details des Wechsels äussern.

Der Streit ist auch insofern pikant, da FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis als Curafutura-Präsident an der Spitze des Verbands steht. Cassis wird als möglicher Nachfolger von Bundesrat Didier Burkhalter gehandelt.

Curafutura wurde vor gut vier Jahren gegründet. Im Streit traten damals die vier grossen Kassen Helsana, CSS, KPT und Sanitas bei der Santésuisse aus, unter anderem, weil sich innerhalb der Branche gröbere Meinungsverschiedenheiten beim Thema Risikoausgleich aufgetan hatten. Es ging dabei vor allem um die unterschiedliche Risikostruktur der Versicherten etwa bei den beiden grossen Kassen Helsana und Groupe Mutuel. Letztere gilt seit dem Austritt der erwähnten vier Kassen als einflussreichster Krankenversicherer innerhalb von Santésuisse.

Skurrile Situation

Cassis ist seit der Gründung von Curafutura deren Präsident. Zuvor war er zwölf Jahre lang Kantonsarzt im Tessin und weitere vier Jahre Vizepräsident der Ärztevereinigung FMH. Neben seinem Curafutura-Amt ist er Präsident des Heimverbands Curaviva. Angesichts dieser Mandate überrascht es nicht, dass er in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats sitzt. Seit Ende 2015 ist er deren Präsident und bezieht dafür jährlich 180 000 Franken.

Mit dem Bündner SVP-Nationalrat Heinz Brand sitzt auch der Präsident der Santésuisse in der SGK. Verschiedene Gesundheitspolitiker erzählen von skurrilen Situationen, wenn an Anhörungen der Kommission Cassis und Brand jeweils die Vertreter ihrer Verbände entsenden und dabei teilweise unterschiedliche Positionen vertreten, obwohl sie von der gleichen Branche stammen.

Mehrere Gesundheitspolitiker ärgern sich über diese Situation, so etwa CVP-Ständerat Pirmin Bischof. Ihm wäre lieber, wenn die Gesundheitspolitiker nur einen Ansprechpartner bei den Krankenkassen hätten, sagt er stellvertretend für andere. «Curafutura und Santésuisse grenzen sich krampfhaft voneinander ab und inszenieren deshalb einen selber kreierten Konkurrenzkampf», sagt Bischof, der in der SGK des Ständerats sitzt. Das sei mühsam. Letztlich trage diese unnötige Zweiteilung nicht zur Meinungsvielfalt bei. Er erwartet von den beiden Verbänden, dass sie sich bei wichtigen Positionsbezügen vorher miteinander absprechen. Andere Player im Gesundheitswesen wie etwa die Ärzte, die Spitäler oder die Patientenschützer agierten deutlich besser.

Je nachdem, mit wem man im Gesundheitswesen spricht, sind die Differenzen zwischen Curafutura und Santésuisse unterschiedlich gross. Auch wenn die Unterschiede nur klein sein mögen, kann es schwierig sein, die Positionen der beiden Verbände genau auseinanderzuhalten.

So verhält sich dies etwa beim Thema der Globalbudgets. Mit diesen will die Politik das Kostenwachstum bremsen. Liegt dieses in einem Jahr über einem definierten Wert, so reduziert sich der Tarif für ärztliche Leistungen im Folgejahr automatisch. Während Santésuisse dies relativ deutlich ablehnt, ist die Haltung von Curafutura differenzierter. Die Stossrichtung sei zwar richtig, jedoch dürfe diese nicht auf eine Rationierung der Leistungen hinauslaufen.

Grosser Einfluss

Einen unterschiedlichen Ansatz haben die beiden Organisationen etwa auch beim Eingriff in den Ärztetarif Tarmed verfolgt. Santésuisse wollte den Bundesrat zusammen mit den Chirurgen dazu bewegen, vermehrt über Pauschalen abzurechnen. Curafutura hat zwar nichts gegen Pauschalen, möchte aber zuerst die Tarifstruktur anpassen. Der Bundesrat ist hier Curafutura gefolgt.

Die Mitgliederfirmen der beiden Kassenverbände sind in den Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat gut vertreten. Die Krankenversicherer, die bei Santésuisse angeschlossen sind, haben sechs Vertreter in den beiden Kommissionen, bei Curafutura sind es fünf.

Angesprochen auf die Kritik der Politiker zeigt Curafutura-Direktor Pius Zängerle ein gewisses Verständnis: «Wir verstehen, dass Politiker gerne nur eine Branchenstimme hören würden.» Wenn es aber innerhalb einer Branche erhebliche Unterschiede gebe, sei es sinnvoll, dass diese auch klar zum Ausdruck kämen. Santésuisse sagt, dass die jahrelange Erfahrung zeige, dass der Konsens zwischen den Krankenversicherern mit den Leistungserbringern eine weitaus grössere Herausforderung darstelle als mögliche Detailfragen zwischen den Verbänden.