Leitartikel
Hornkuh-Initiative: Verantwortung für das Tier

In ihrem Leitartikel zur Hornkuh-Initiative schreibt Inland-Redaktorin: «Wir züchten Kühe, um uns zu ernähren. Da tragen wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Tier – und stimmen Ja.»

Eva Novak
Eva Novak
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Für die Hornkuh-Initiative dürfte es gemäss den neusten Abstimmungsumfragen knapp werden. (Themenbild)

Für die Hornkuh-Initiative dürfte es gemäss den neusten Abstimmungsumfragen knapp werden. (Themenbild)

KEYSTONE/DOMINIC STEINMANN

Es stimmt, Kuhhörner haben in der Verfassung so viel verloren wie Minarette oder Velowege – nämlich gar nichts. Aber unsere direkte Demokratie, auf die wir zu Recht stolz sind, kennt nun mal nur die Verfassungsinitiative. Damit kann das Volk, wenn das Parlament ein Anliegen partout nicht ins Gesetz aufnehmen will, dieses direkt auf der nächsthöheren Stufe festschreiben. Also lautet die Frage an uns Stimmberechtigte nicht, ob Kuhhörner in die Verfassung sollen oder nicht. Vielmehr geht es darum, ob die «Volksinitiative für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere» dem Rindvieh (und nebenbei auch den Ziegen) zu Recht wieder zu Hörnern verhelfen will.

Nur eine verschwindend kleine Minderheit der Kühe trägt noch Horn. Es werden immer weniger – nicht nur in der Schweiz, sondern in weiten Teilen Europas. Das liegt an der modernen Landwirtschaft, da Kühe mit Hörnern im Freilaufstall mehr Platz brauchen und überhaupt mehr Aufwand bedeuten. Ist dies nicht gewährleistet, drohen Tier und Mensch Verletzungen.

So enthornen Bauern ihre Kälber:

Von Natur aus würden die weitaus meisten Kühe Hörner tragen. Mit gutem Grund. Die Kuh ist ein Herdentier, dem das Horn als äusseres Zeichen ihrer Stellung in der Herde dient. Kühe mit Hörnern verhalten sich denn auch anders als ihre hornlosen Artgenossen, berichten Bauern. Sie sind nicht etwa aggressiver, sondern tragen weniger Rangkämpfe aus. Meist genügt ein Blick aufs Horn der Artgenossin oder eine leichte Drohbewegung mit den Hörnern. Das bestätigten kürzlich auch Wissenschafter des Bundes-Forschungsunternehmens Agroscope. Sie fanden heraus, dass enthornte Kühe einander häufiger mit Kopfstössen zur Ordnung rufen. Diese führen zwar nicht zu klaffenden Wunden, dafür aber zu Blutergüssen oder gar Rippenbrüchen.

Bleibt die Frage, wie stark und wie lange die Tiere an Schmerzen leiden, nachdem ihnen der Hornansatz mit einem 600 Grad heissen Brennstab weggebrannt wurde. Die Antwort liefert – zum ersten Mal überhaupt – eine noch unveröffentlichte Untersuchung der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. Ihr Befund: Trotz Betäubung litten in den ersten 24 Stunden nach dem Eingriff fast alle Kälber. Drei Monate später waren es noch stolze 38 Prozent. Es gibt da offensichtlich Parallelen zum Menschen. 30 bis 40 Prozent der Patienten leiden nach Operationen jahrelang an chronischen Schmerzen.

Anders als Menschen können Kühe aber nicht sprechen, und sie lassen sich möglichst nichts anmerken. Das liegt an ihren Genen: Obwohl seit Jahrhunderten domestiziert, sind Kühe von der Veranlagung her Beutetiere. Als solche müssen sie alles daransetzen, chronische Schmerzen zu verbergen. Sonst riskieren sie, Opfer von Raubtieren zu werden. Also beschränken sie sich darauf, ihren Kopf zu schützen, indem sie ihn beim Fressen durch die Gitterstäbe so wenig wie möglich bewegen, damit es nicht wehtut.

Nicht zuletzt geht es um die Würde, wie die Bundesforscher von Agroscope ebenfalls herausgefunden haben. Kühe, denen sie Hornattrappen umbanden, trugen den Kopf deutlich höher. Also passt der Titel des Volksbegehrens, das ein kauziger Bergbauer praktisch im Alleingang gestemmt hat.

Für seine Initiative spricht auch, dass sie weder auf Verbote noch auf Gebote setzt, sondern auf Anreize. Der Bauer, der den Mehraufwand auf sich nimmt und seinen Kühen einen grösseren Stall anbietet, soll entschädigt werden. Allein deswegen wird keiner umsteigen, da sind sich Befürworter wie Gegner einig. Für die 190 Franken pro Kuh und Jahr, die dem Initianten vorschweben, rentiert es nicht, den Stall umzubauen. Aber der gute Wille würde honoriert.

Zusätzliche Subventionen kostet das nicht. Die 10 bis 30 Millionen Franken pro Jahr, die der Bund fürs Horn aufwenden müsste, würden anderswo im 3,5-Milliarden-Landwirtschaftsbudget eingespart. Etwa bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen. Unter diesem Titel werden pro Jahr mit 142 Millionen Franken unter anderem Trockensteinmauern, Hochstammobstbäume, Holzbrunnen oder «duftend würzige Blütenstreifen entlang von Wegen» gefördert.

Wir züchten Kühe einzig und allein zum Zweck, uns zu ernähren. Da tragen wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Tier – und stimmen Ja zur Hornkuh-Initiative.

eva.novak@chmedia.ch