Jürg Stahl
Höchster Schweizer: Dieser SVP-Mann fällt auf, weil er nicht auffällt

Am Montag wird Jürg Stahl höchster Schweizer. Ist er heute schon der höchste Sportler?

Antonio Fumagalli
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Jürg Stahl
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Jürg Stahl ist schon seit 17 Jahren im Nationalrat.
Stahl war beim FC Nationalrat jahrelang ein Torgarant. Hier 2007 im Badener Esp gegen die Auswahl von Deutschland.
Sportler Stahl – hier als Skifahrer: Drei Tage nach der Wahl zum Präsidenten des Nationalrats steht für ihn die Wahl ins Präsidium von Swiss Olympic an.

Jürg Stahl

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Symbolischer könnte sie nicht sein, die Interviewzusage von Jürg Stahl. Er schlage als Treffpunkt das Restaurant National direkt am Bahnhof Winterthur vor. Und zwar um 10.10 Uhr, schreibt der designierte Nationalratspräsident. Nicht Punkt oder Viertel ab, nein zehn ab. Denn Stahl weiss, der Zug aus Zürich kommt um 10.09 Uhr an. «Ich bin ein Zahlenmensch. Ich hasse es, wenn Sitzungen nicht auf den Zugfahrplan abgestimmt sind», sagt er zur Begrüssung.

Die zuverlässige, fast schon penible und gleichzeitig zurückhaltende Art ist typisch für den SVP-Mann aus der Winterthurer Agglomerationsgemeinde Brütten. In einer Partei, in der es an Lautsprechern nicht mangelt, fällt er auf, weil er eben gerade nicht auffällt. Seit 17 Jahren sitzt er schon in der grossen Kammer, nur drei Nationalräte können eine längere Amtsdauer vorweisen. Und doch ist er in der Bevölkerung nicht ansatzweise so bekannt wie die Köppels, die Brunners oder die Ricklis. Die Wiederwahl war nie selbstverständlich. «Für mich war der Wahlkampf immer echt. Ich musste für mein Mandat kämpfen», sagt er. Auf nationaler Ebene war er stets erfolgreich, nicht so in Winterthur – zweimal verpasste er die Wahl in den Stadtrat, einmal mit der erinnerungswürdigen Differenz von einer (!) Stimme.

So war das Präsidialjahr von Christa Markwalder

Wohl noch nie zuvor stand eine designierte Nationalratspräsidentin bereits vor der Wahl derart im Gegenwind, wie es bei FDP-Frau Christa Markwalder wegen der «Kasachstan-Affäre» der Fall war. Im Amtsjahr selbst legte sich der Wirbel, die Bernerin führte den Rat umsichtig. Für Misstöne sorgte hingegen ihre rege Reisetätigkeit. Dafür erhielt sie Anerkennung, als sie SVP-Nationalrat Thomas Matter nach dessen Rücktrittsforderung an FDP-Mann Kurt Fluri persönlich massregelte. (FUM)

Vom Zehnkämpfer zum Torjäger

Die Ernennung zum Nationalratspräsidenten und damit höchsten Schweizer ist am kommenden Montag eine Formalität. Nur drei Tage zuvor ist aber ein weiterer Karriereschritt im Leben des gelernten Drogisten geplant – die Wahl ins Präsidium von Swiss Olympic. Denn Stahl, das ist immer auch Sport. Bereits jetzt sitzt er im Exekutivrat des Verbandes, war in jungen Jahren ein erfolgreicher Zehnkämpfer und beim FC Nationalrat jahrelang Torgarant. Mittlerweile sei er aber froh, wenn man ihn «überhaupt noch aufstelle», sagt er.

Es sind diese praktischen Erfahrungen und sein Netzwerk aus der Politik, die ihn bei der Wahl von heute Abend zum Favoriten machen. Könnte er diese Doppelbelastung denn überhaupt stemmen, zumal der passionierte Sammler von Taschenmessern seit einem Jahr auch noch Familienvater ist? «Es ist machbar. Viele Nationalratspräsidenten haben zusätzlich noch einen Verband geführt – teilweise solche, die mit deutlich mehr Aufwand verbunden waren», sagt Stahl. Sollte er gewählt werden, wolle er sich nicht zu stark in die Teilverbände einmischen. «Ich werde dem Ski-Chef nicht vorschreiben, welchen Wachs seine Fahrer verwenden sollen», sagt er und lacht.

Neben dem Sport gilt Stahls politisches Interesse dem Gesundheitsdossier. Als Kadermitarbeiter der Groupe Mutuel ist er seit Jahren prädestiniert als Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Ratskollegen erzählen, dass er dort überaus zurückhaltend agiere, aber konsequent die Interessen der Krankenkassen vertrete und in der Regel stramm auf SVP-Linie politisiere.

Ohnehin, das Verhältnis zu seiner Partei. Nie hat er zum inneren Machtzirkel gehört, sein Verhältnis zu alt Bundesrat Adolf Ogi («Mit 48 Jahren ist man zu alt für Vorbilder, aber er war für mich immer wichtig») war immer schon besser als zu Chefstratege Christoph Blocher. Er würde sich aber nicht getrauen, in zentralen Fragen von der Parteiposition abzuweichen. Umsetzung der Masseinwanderungsinitiative? «Die Schweiz hätte in Brüssel kompromissloser auftreten sollen.» Das Verhältnis zur EU? «Das Wichtigste ist, dass wir unsere Souveränität nicht aufgeben. Sie ist unser höchstes Gut.»

Beim Herausgehen aus dem Restaurant – das Ende des Gesprächs war selbstverständlich auf den Zugfahrplan abgestimmt – trifft er auf einen alten Kollegen aus dem Winterthurer Stadtparlament. Stahl, der Umgängliche, scheint es ganz gut mit ihm zu können. «Ein guter Typ. Einfach einer, bei dem im Parteibüchlein das V zwischen dem S und dem P fehlt», sagt er. Beide lachen schallend.