Nagra-Chef Thomas Ernst sagt, wieso der Opalinuston am besten als Endlager-Gestein geeignet ist und warum wir den Atommüll nicht einfach ins All schiessen können.
Thomas Ernst: Das ist für uns Menschen natürlich ein unvorstellbar langer Horizont. Nur die Geologie kann solche Zeiträume beherrschen. Unser bevorzugtes Wirtgestein, der Opalinuston, ist ungefähr 175 Millionen Jahre alt. Wenn er also nur schon einen Tausendstel seines heutigen Alters weiter existiert, hat er seinen Zweck schon erfüllt.
In einem gewissen Mass schon. Das macht unsere wissenschaftliche Tätigkeit einzigartig. Es gilt aber immer, die Relationen zu wahren: Im Gegensatz zu vielen chemisch-toxischen Abfällen verlieren die radioaktiven Stoffe ihre Gefährlichkeit mit der Zeit.
Als Ingenieur habe ich früher Projekte über wenige Jahre realisiert. Das ist bei der Nagra nicht möglich. Wir können gut begründen, weshalb das so ist. Jeder Schritt wird von einer Vielzahl von Stellen überprüft, das ist auch sinnvoll so. Wir schiessen in der Schweiz nicht einfach drein.
Ein solches Bahnprojekt ist in der Bevölkerung positiv besetzt, entsprechend deutlich wurde die Volksabstimmung gewonnen. Man muss aber auch andere Projekte anschauen, zum Beispiel die A4 durchs Knonauer Amt oder die Zürcher Oberland-Autobahn, die haben Jahrzehnte in Anspruch genommen oder sind noch nicht mal im Bau. Grosse Infrastrukturvorhaben haben es schwer. Solche Schwierigkeiten gibt es also nicht nur bei der nuklearen Entsorgung. Wir haben aber auch keine Notwendigkeit, etwas zu überstürzen. Die Sicherheit hat absolut oberste Priorität.
Sicherheit hat erste Priorität. Daraus darf man aber nicht ableiten, dass wirtschaftliche Fragestellungen gar keine Rolle spielen. Wenn wir etwa in einer Einzelfrage verschiedene Varianten mit gleich hohem Sicherheitsniveau haben, kann man natürlich auch wirtschaftliche Überlegungen in den Entscheid einbeziehen – aber nur dann! Unsere Genossenschafter erleben im Strommarkt aktuell schwierige Zeiten, sie nehmen ihre Verantwortung für die Entsorgung aber sehr ernst.
Die Finnen sind sehr pragmatisch. Das Parlament hat der Rahmenbewilligung überwältigend klar zugestimmt. Sie sagen sich: Wir brauchen die Kernkraft und eine Lösung für die Abfälle. Zudem ist die Geologie sehr homogen und die Bevölkerungsdichte viel geringer. Der Suchprozess nach einem Standort war also einfacher – sowohl technisch wie auch politisch.
Der Opalinuston, den wir in der Schweiz priorisieren, hat eine solch hohe Qualität, dass wir den internationalen Quervergleich nicht scheuen müssen. Wir haben keine Zweitklass-Lösung, aufgrund welcher sich eine internationale Lösung aufdrängen würde. Zudem kennen Länder wie Finnland, Schweden und Frankreich ein Importverbot. Ich habe dafür Verständnis. Auch in der Schweiz würde man wohl kaum Akzeptanz finden für ausländischen Abfall.
Wir müssen einen eigenen Standort finden – allein schon aufgrund der aktuellen Gesetzeslage. Bevor man mit dem Bau beginnt, machen wir aber selbstverständlich nochmals eine weltweite Analyse. Ich erachte es als fahrlässig, auf eine hypothetische Auslandlösung zu setzen, ohne zu wissen, ob sie funktionieren würde und finanzierbar wäre.
Vom Moment an, wo der Abfall im Weltall ist, wäre das tatsächlich eine gute Lösung. Das Problem ist der Weg dorthin. Wenn eine Rakete mit atomarem Abfall explodiert, haben wir einen verheerenden Schaden. Das geht auf keinen Fall. Der Bundesrat hat Ende der Neunzigerjahre eine Expertengruppe ins Leben gerufen, um nochmals zu evaluieren, welche Entsorgungsoption die beste ist. Auch diese kam zu dem Ergebnis, dass es eine Lagerung in tiefen, geologischen Schichten sein muss.
Die Anlage ist massiv gebaut, bewacht und auf einen Flugzeugabsturz ausgelegt. Dasselbe wird auch für ein künftiges Tiefenlager gelten. Zudem müssen die abgebrannten Brennelemente, die im Zwilag sind, nicht mehr aktiv gekühlt werden. Sie sind also passiv sicher. Über Jahrzehnte ist die Zwischenlagerung eine gute Lösung, langfristig nicht.
Unsere Gesetzgebung verlangt die kontrollierte Rückholbarkeit. Bevor wir dereinst eine Betriebsbewilligung bekommen, müssen wir die Rückholbarkeit im Massstab 1:1 nachweisen. Ich persönlich schätze die Wahrscheinlichkeit allerdings als sehr gering ein, dass das je nötig wird. Wichtig ist aber die Option offenzulassen.
Dann folgt eine mindestens 50-jährige Beobachtungsphase. Da wird kontrolliert, ob sich das Lager verhält wie geplant. Sobald Gewissheit herrscht, gibt der Bundesrat das Okay für den Verschluss. Dann geht die Überwachung weiter. Ich habe aber keinen Grund anzunehmen, dass die strengen Schutzziele nicht langfristig gewährleistet sind. Für den Worst Case hätten wir die Möglichkeit, die Abfälle zurückzuholen.
Ein Tiefenlager kann man über Jahrzehnte offen lassen. Doch vor allem die Zugänge brauchen intensiven Unterhalt und Überwachung. Das geht nicht beliebig lang. Die Sicherheit ist am grössten, wenn das Tiefenlager verschlossen ist.
Wenn weitere radioaktive Abfälle anfallen, ist das denkbar.
Die nukleare Entsorgung kostet etwa 20 Milliarden Franken. Die Kostenersparnis eines Kombilagers betrüge einige hundert Millionen Franken. Diese relativ geringe Differenz kann nicht den Ausschlag geben.
Ein Kombilager bräuchte nur einen Standort. Im Untergrund müssten aber zwei getrennte Lager gebaut werden, je ein Lager für hoch- und eins für mittel- und schwachaktive Abfälle. Beide Lager wären separat zu erschliessen und müssten unabhängig voneinander betrieben werden.
Unsere Vorschläge sind das Ergebnis eines umfassenden und nachvollziehbaren sicherheitstechnischen Vergleichs. Dass die Vorschläge früheren Veröffentlichungen nicht widersprechen, liegt auch daran, dass sich die Geologie in den vergangenen Jahren nicht geändert hat. Geändert hat sich aber unser Kenntnisstand. Für die heutigen Ergebnisse haben wir den höheren Kenntnisstand gebraucht, um unsere Ergebnisse detailliert wissenschaftlich belegbar zu machen. Dass sie früheren Annahmen nicht widersprechen, spricht aus unserer Sicht auch für die Qualität unserer Arbeit von damals.
Heute haben wir belastbare Gründe für das Zurückstellen der vier anderen Standorte. Das ist ein reiner Sachentscheid. Wir wären völlig unglaubwürdig, wenn wir wegen dieser Aktennotiz nicht auf die nach den Untersuchungen effektiv obenauf schwingenden Standorte setzen würden. Der Weg, den wir gehen, ist sauber und gut begründet. Eine Nagra mit irgendeiner vorgefassten Meinung hätte keine Chance.
Ja, dafür stehen ich und alle anderen hundert Nagra-Mitarbeiter voll und ganz ein.