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Happiger Aufschlag droht: Wird die Mehrwertsteuer auch in der Schweiz bald zweistellig?

Im internationalen Vergleich ist die Mehrwertsteuer in der Schweiz sehr tief. Aber das kann sich schon bald ändern.

Doris Kleck
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Die Mehrwertsteuer in der Schweiz ist vergleichsweise tief. (Symbolbild)

Die Mehrwertsteuer in der Schweiz ist vergleichsweise tief. (Symbolbild)

Keystone

Nein, die Mehrwertsteuer und die Politik, das war nicht immer eine Liebesgeschichte. Zweimal sagte das Volk Nein zur Ablösung der Warenumsatzsteuer (Wust) durch die Mehrwertsteuer (MwSt). Die Exportindustrie ächzte unter der Wust. Doch die Linke (und auch die Vertreter der Berggebiete) empfanden die Mehrwertsteuer als unsozial. Erst im dritten Anlauf stimmte die Bevölkerung 1993 zu. Es brauchte dafür einen Kraftakt aller vier Bundesratsparteien.

Bei der Einführung 1995 lag der Mehrwertsteuersatz bei 6,5 Prozent. Dreimal wurde die Konsumsteuer bislang erhöht — dieses Jahr sank sie zum ersten Mal und der Normalsatz liegt nun bei 7,7 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das ein sehr tiefer Wert. In den EU-Ländern beträgt die Mehrwertsteuer zwischen 17 (Luxemburg) und 27 Prozent (Ungarn) — lediglich in fünf Staaten liegt sie unter 20 Prozent.

Doch auch hier könnte die Mehrwertsteuer bald zweistellig werden. Denn wenn irgendwo finanzielle Mittel benötigt werden, ertönt meist der Ruf nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Happiger Aufschlag droht

Besonders hoch ist der Finanzbedarf bei der AHV. Der Bundesrat hat deshalb im März angekündigt, dass die Mehrwertsteuer um 1,7 Prozent erhöht werden soll. Das würde der AHV bis im Jahr 2035 zusätzliche Einnahmen von 6,6 Milliarden Franken bringen. Damit soll verhindert werden, dass die AHV aufgrund der höheren Lebenserwartung und der Pensionierung der Babyboomer in die roten Zahlen rutscht. Teil der neuen Rentenreform sollen zudem Kompensationsmassnahmen für die Erhöhung des Frauenrentenalters sein. Der Bund prüft derzeit verschiedene Varianten. Maximal 1,1 Milliarden Franken will die Regierung dafür ausgeben — finanziert über zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen und/oder Lohnbeiträge. Die Mehrwertsteuer könnte nochmals um 0,3 Prozent aufschlagen — sie würde auf 9,7 Prozent steigen.

Ein happiger Aufschlag. Es ist zwar nicht damit zu rechnen, dass das Parlament diese bundesrätlichen Pläne einfach durchwinken wird. Allerdings wird es ohne Erhöhung nicht gehen. CVP-Präsident Gerhard Pfister hat von einer Erhöhung um ein Prozent gesprochen.

Nicht nur Sozialminister Alain Berset sondern auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann will die wichtigste Finanzierungsquelle des Bundes anzapfen. Der Abbau des Grenzschutzes für die Schweizer Landwirtschaft ist zumindest in einer Übergangsphase mit Kosten verbunden. Bei einer vollständigen Marktöffnung mit der EU rechnet die Landesregierung mit einer Mehrbelastung des Bundeshaushaltes von 1 bis 1,5 Milliarden Franken in den ersten vier Jahren. Zur Finanzierung könnte die Erhöhung der Mehrwertsteuer geprüft werden, schreibt der Bundesrat in der Gesamtschau zur Agrarpolitik. Er hat auch genaue Vorstellungen über die Höhe: 0,4 Prozentpunkte in den ersten vier Jahren nach einer Marktöffnung und anschliessend eine Senkung auf 0,2 Prozentpunkte.

Kleine Nebenwirkungen

Weshalb hat sich zwischen Politikern und Mehrwertsteuer eine grosse Liebe entwickelt? Weil sie als Steuer mit den kleinsten Nebenwirkungen gilt. So hemmt eine hohe Einkommenssteuer die Arbeitsleistung und eine hohe Gewinnsteuer schmälert die Standortattraktivität. Bei der AHV bietet sich die Finanzierung über die Mehrwertsteuer an, weil so auch die Rentner mithelfen, die erste Säule zu sichern. Bei einer Finanzierung über die Lohnbeiträge, die ebenfalls denkbar wäre, wäre das nicht der Fall. Zudem würde die Arbeit verteuert, was negativ für die Beschäftigung wäre.

Von ganz Links kommt manchmal Kritik, weil sie die Mehrwertsteuer als unsozial empfinden. Der Millionär zahlt pro Café gleich viel wie der Sozialhilfeempfänger. Die Partei der Arbeit lehnte die letzte Rentenreform deshalb nicht nur wegen der Erhöhung des Frauenrentenalters ab, sondern kritisierte auch die Finanzierung über höhere Mehrwertsteuerprozente. Zumindest für die bürgerlichen Politiker ist die Mehrwertsteuer aber das kleinste Übel, um Mehreinnahmen für den Staat zu generieren. Eine Erhöhung ist mit weit geringerem Widerstand verbunden, als bei den direkten Steuern. Denn MwSt wird sozusagen in homöopathischen Dosen verabreicht: Bei jedem Coiffeurbesuch, bei jedem Café, bei jedem Kleiderkauf – ob ein Promille oder gar ein Prozent ist nicht spürbar. Deshalb ist die MwSt des Politikers liebste Steuer.