Vormundschaft
Gemeinden wollen keine Bevormundung

Das Vormundschaftswesen im Kanton Bern soll professioneller werden. Der Regierungsrat bevorzugt eine kantonale Organisation – die meisten Gemeinden nicht.

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Johannes Reichen

Lilly Riggenbach kann nicht viel anfangen damit, dass das Vormundschaftswesen professionalisiert wird. «Es sollte ja bald jeder studiert haben», sagt SVP-Gemeinderätin von Oberbipp, zuständig für Soziales. Hier ist der Gemeinderat Vormundschaftsbehörde. «Wir kennen die Leute, die hier wohnen und finden meistens einfache und gute Lösungen.»

Es steht aber fest, dass politische Gremien sich künftig nicht mehr um das Vormundschaftswesen kümmern. So verlangt es das neue Erwachsenen- und Jugendschutzrecht in der Schweiz. Behörden mit mindestens drei Fachleuten, zwingend aus der Juristerei sowie beispielsweise aus der Sozialarbeit, Medizin oder Psychologie, werden zuständig sein.

Gemeinden gegen Kantonalisierung

Die Frage im Kanton Bern lautet nun noch, ob das Vormundschaftswesen kantonalisiert werden oder weiterhin in der Kompetenz der Gemeinden bleiben soll. Die Antworten sind vielschichtig, wie die Ergebnisse der Vernehmlassung zeigen.

«Eine Mehrheit der Gemeinden ist für das kommunale Modell», sagte gestern Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) vor den Medien. Grössere Gemeinden und Städte aber wollen die Kantonalisierung, so beispielsweise Langenthal, Burgdorf, Thun und Biel. Bern hat weder für das eine noch für das andere Modell Partei ergriffen.

Gemäss eine Umfrage von kommunalen Verbänden sind 86 Prozent der Gemeinden, die zusammen 75 Prozent der Einwohner stellen, für das kommunale Modell. Gemeindeautonomie und Bürgernähe sind die wichtigsten Argumente dafür. Auch Riggenbach ist dafür, dass die Kompetenz bei den Gemeinden liegt; in diesem Sinn hat sich die Gemeinde Oberbipp vernehmen lassen.

Höhere Anforderung

Mit dem neuen Bundesrecht stiegen die Anforderungen an die Behörden stark an, sagt Andrea Weik, Vorsteherin des kantonalen Jugendamts. Die neuen Fachbehörden, wo immer sie auch angesiedelt werden, erhalten mehr Kompetenzen und sind künftig etwa auch für fürsorgerische Freiheitsentzüge (FFE) zuständig, über die aktuell die Regierungsstatthalter entscheiden. «Die FFE stellen einen markanten Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar», sagt Weik. Darum würden hohe Anforderungen an die Abklärungen und die Durchführung eines «rechtstaatlich einwandfreien Verfahrens» gestellt. «Bei einem kommunalen Modell könnte das sehr kritisch werden», sagt sie. Zudem übernehmen die neuen Behörden von den Regierungsstatthaltern auch die Kompetenz über die Entziehung des elterlichen Sorgerechts ohne Zustimmung, welches ebenfalls viel Sorgfalt verlange, so Weik. Nicht nur qualitiativ, auch quantitativ sind die Behörden immer mehr gefordert: die Anzahl von Kindesschutzmassnahmen hab in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent zugenommen, Fälle von Erwachsenenschutzmassnahmen um 40 Prozent. (joh)

Schwierigkeiten für Laienbehörden

Die Gemeinde Aarwangen beispielsweise spricht sich aber für das kantonale Modell aus. «Es ist in unserem Sinn, dass sich Fachleute darum kümmern», sagt Gemeinderat Edgar Wyss (SVP) mit Ressort Soziales. Er ist Präsident der Vormunschaftskommission und hat die Erfahrung gemacht, dass es für Laienbehörden schwierig sei, immer aufgrund der richtigen gesetzlichen Grundlagen zu handeln.

«Natürlich haben wir auch mit externen Spezialisten zusammengearbeitet, aber auch das braucht Zeit.» Heute müsse man schnell reagieren können, und dafür seien professionelle Fachstellen besser geeignet. Zudem könne der Kanton die Fachleute besser rekrutieren.

Damit liegt Aarwangen auf der Linie des Regierungsrats. «An die Fachlichkeit und Professionalität werden hohe Ansprüche gestellt», sagt Neuhaus. Dafür seien grosse Einzugsgebiete von Vorteil - für die Konferenz der kantonalen Vormundschaftsbehörden sind mindestens 50 000 Einwohner notwendig.

Elf Fachbehörden sollens richten

Mit den im kantonalen Modell vorgesehenen elf Fachbehörden würde diese Anforderung beinahe vollständig erfüllt. Es sieht in der Regel eine Behörde je neuen Verwaltungskreis vor. Der grösste der zehn Kreise, Bern-Mittelland, soll aber drei erhalten, die beiden Simmentaler Kreise im Oberland sollen dafür zusammengelegt werden.

Der Bericht wird nun dem Grossen Rat vorgelegt, der im Januar 2010 einen Richtungsentscheid fällt. Von den Parteien befürworten SP, Grüne, EVP und CVP das kantonale, SVP, BDP und mit Vorbehalten die FDP das kommunale Modell. Frühestens 2012, «eher aber 2013», so Neuhaus, soll das neue Erwachsenen- und Jugendschutzrecht in Kraft treten.