UNO in Genf
Geheime Videoaufnahme von UNO-Chef Antonio Guterres schockt Genfer Praktikanten – nun reagieren sie

Nach dem Genfer Ja zum weltweit höchsten Mindestlohn pochen frustrierte UNO-Angestellte auf faire Bezahlung. Doch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres schockt in einer geheimen Videoaufnahme die Angestellten mit einer Aussage.

Benjamin Weinmann
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Lockt viele Weltverbesserer an: Der prestigeträchtige Sitz der Vereinten Nationen in Genf.

Lockt viele Weltverbesserer an: Der prestigeträchtige Sitz der Vereinten Nationen in Genf.

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Das Resultat sorgte weltweit für Schlagzeilen – und ungläubiges Staunen: Am letzten Abstimmungssonntag vom 27. September sagte eine deutliche Mehrheit des Genfers Stimmvolks Ja zu einem Mindestlohn von 23 Franken im Kanton. Staatsrat Mauro Poggia durfte sogar dem US-Sender CNN Auskunft darüber geben, dass rund sechs Prozent der Angestellten im Kanton vom neuen Gesetz profitieren werden. Konkret sind es 30'000 Personen.

Nicht alle profitieren jedoch. Die prestigeträchtigste Organisation in Genf – die Vereinten Nationen (UNO) – ist von der Gesetzesanpassung nicht tangiert. Denn für sie gelten eigene, internationale Regeln, die nicht an jene des Gastgeberlandes oder des Kantons geknüpft sind. Darunter leiden vor allem die zahlreichen Praktikanten in Diensten der UNO.

Denn ein Grossteil der UNO-Praktika sind nicht bezahlt, unter anderem im Hauptdepartement von Generalsekretär Antonio Guterres. In anderen so genannten UN-Agenturen wie dem Kinderhilfswerk Unicef oder der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt es zum Teil Saläre, mit denen der Lebensunterhalt aber nicht bezahlbar ist.

«Wir werden einen Brief an Ignazio Cassis schreiben»

Die «Geneva Interns Association» hofft nun auf die Gunst der Stunde. «Der Entscheid, ob und wie Praktikanten für ihre Arbeit entlöhnt werden, fällt ein UNO-Komitee am Hauptsitz in New York in Abstimmung mit allen Mitgliedländern», sagt Albert Barseghyan, Sprecher der Gruppierung. «Aber das Genfer Ja zu einem Mindestlohn liefert uns ein starkes Argument für unsere Position.»

Man werde nun versuchen, das Momentum zu nutzen und Schweizer Parlamentarier und die Schweizer UNO-Botschaft zu kontaktieren, um mehr Unterstützung zu erhalten, sagt Barseghyan. «Wir werden auch einen Brief an Aussenminister Ignazio Cassis schreiben, um unserer Forderung nach einer fairen Bezahlung zu betonen.»

Die 23 Franken pro Stunde dienen dabei in erster Linie als Verweis auf die hohen Lebenskosten in der Rhone-Stadt. Diese liegt laut einer aktuellen Studie in der Rangliste der teuersten Städte der Welt auf Rang zehn. Die eigentliche Forderung der Hochschulabsolventen zielt viel tiefer.

«Wir verlangen bloss das absolute Minimum der Armutsgrenze», sagt Barseghyan. Und dieses liege laut dem Kanton Genf bei 2600 Franken pro Monat. «So viel braucht es, um in Genf überleben zu können.»

Studenten aus ärmeren Ländern benachteiligt

Wenig Support erwarten die frustrierten Hochschulabgänger von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Der oberste Direktor der Vereinten Nationen schockte die Angestellten im Dezember an einer internen Personalveranstaltung. Journalisten waren nicht zugelassen.

Die «Schweiz am Wochenende» ist jedoch in Besitz einer bisher unveröffentlichten Videoaufnahme, in der Guterres sagt: «Ich muss sagen, dass meiner Meinung nach Praktika nicht bezahlt werden sollten. Ein Praktikum ist etwas anderes als eine Festanstellung, das ist ein Unterschied.»

Eine solche Aussage vom obersten UNO-Direktor sei schlicht schockierend unakzeptabel, sagt Barseghyan. «Seine persönliche Meinung widerspricht komplett den UNO-Werten und was, die UNO bezüglich fairer Bezahlung predigt.»

Guterres räumt ein, dass diese Handhabung eine unfaire Situation schaffe. Denn so könnten es sich nur Leute aus wohlhabenden Ländern leisten, als Praktikant zu arbeiten. «Leute aus armen Ländern hingegen nicht.» Deshalb werde man sich das Thema nochmals anschauen.

Nur: Die UNO hatte bereits 2009 in einem Report Massnahmen zur Verbesserung angekündigt. Von den aktuell 75 Praktikanten im Departement von Guterres stammt mehr als die Hälfte aus den fünf westlichen Ländern Frankreich, Schweiz, Italien, Deutschland und USA.

Es ist nicht das erste Mal, dass die UNO-Praktikanten ihren Arbeitgeber kritisieren. Für internationales Aufsehen sorgte 2015 die Meldung des 22-jährigen David Hyde aus Neuseeland, der sich im teuren Genf keine Bleibe leisten konnte und deshalb im Zelt schlafen musste.

«Die Empörung war damals gross, aber leider hat sich seither nicht viel getan», sagt Barseghyan. Der nimmt die Schweiz in die Pflicht. «Gerade sie als Gastgeberin der UNO sollte sich stärker für unsere Anliegen einsetzen und andere Mitgliedstaaten überzeugen, schliesslich bezahlt sie der UNO Millionen von Franken für die Erneuerung ihre Genfer Büros.»

Den Support von etwas sozialistischeren Ländern wie Frankreich oder aus Afrika habe man bereits. «Aber die Schweiz verhält sich in dieser Sache leider etwas gar neutral.»

Heuchlerisches Verhalten der UNO gegen aussen

Diese Zeitung konnte mit mehreren aktiven und ehemaligen UNO-Praktikanten und -Angestellten sprechen. Sie alle malen ein ähnlich negatives Bild. In der breiten Öffentlichkeit geniesse die UNO einen guten Ruf als Organisation, die sich für Menschenrechte, Gleichberechtigung und faire Bezahlung einsetze.

«Doch mit den eigenen Angestellten geht sie teilweise miserabel um», sagt eine Amerikanerin. Tatsächlich ist es Usus, dass hochqualifizierte Universitätsabsolventen von einem unbezahlten Praktikum zum nächsten gehen. «Oft sind es drei, vier oder sogar mehr», so die Ex-Praktikantin.

Die UNO nutzt Angebot und Nachfrage aus. Denn sie erhält Unmengen an Bewerbungen von Idealisten mit renommierten Universitätsabschlüssen, die mit ihrer Arbeit bei der UNO zu einer besseren Welt beitragen möchten. Wieso zahlen, wenn es auch gratis geht, sagt sich die 75 Jahre alte Organisation.

«Ihr Verhalten als Weltverbesserin gegen aussen ist heuchlerisch angesichts des Umgangs mit seinen Angestellten», sagt ein ehemaliger Praktikant.

16 Arbeitsverträge in 6 Jahren - und bald à la Uber?

Bis man eine der begehrten Festanstellungen erhält, kann es Jahre dauern. Nach mehreren Praktika werden viele zu so genannten Consultants – Beratern. Die UNO speist diese mit Verträgen ab, die auf wenige Monate befristet sind. Das geht so lange, bis viele irgendwann ihren UNO-Traum aufgeben und in die Privatwirtschaft wechseln. AHV- und Arbeitslosengeld gibt es auch keines.

«Innert sechs Jahren hatte ich 16 Praktika- und Beraterverträge und war unter stetigem Druck, mir eine neue Stelle suchen zu müssen», sagt eine ehemalige Angestellte. Dies habe sich stark auf ihre Psyche ausgewirkt. «Mein Kardiologe sagte mir gar, er rate angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten jedem davon ab, im UNO-System zu arbeiten.»

Und es warten weitere Hürden. Vor einigen Tagen warnte der UNO-Personalverband vor internen Plänen der Direktion, künftig Verträge im Uber-Stil zu lancieren. Heisst: Die Vertragslaufzeiten und -Löhne würden noch stärker unter Druck geraten.

Jene Auserwählten, die es zu einer Festanstellung schaffen, werden hingegen generös entlöhnt. Auch Steuern fallen dann keine an, doch die Aufenthaltsbewilligung ist strikt an eine UNO-Stelle geknüpft. Arbeitet also jemand zehn oder zwanzig Jahre in Genf und verliert die Stelle, droht der Rauswurf aus der Schweiz.

Seit 2017 ist der Portugiese Antonio Guterres Generalsekretär der Vereinten Nationen, die sich weltweit für Menschenrechte, Gleichberechtigung und gute Sozialbedingungen einsetzt. Doch die Forderung seiner Praktikanten nach einer fairen Bezahlung unterstützt er nicht.

Seit 2017 ist der Portugiese Antonio Guterres Generalsekretär der Vereinten Nationen, die sich weltweit für Menschenrechte, Gleichberechtigung und gute Sozialbedingungen einsetzt. Doch die Forderung seiner Praktikanten nach einer fairen Bezahlung unterstützt er nicht.

Peter Schneider / EPA/KEYSTONE

Doch weshalb hat sich wenigstens bei den Praktikanten nichts geändert? Albert Barseghyan von «Geneva Interns Association» verweist auf die hohe Fluktuation bei den Praktikanten: «Da viele die Position ständig wechseln oder keinen Job erhalten und das Land verlassen müssen, ist es schwierig, regelmässig und tatkräftig Druck zu machen.» Aktuell zähle man knapp 30 aktive Mitglieder, und 300 passive Mitglieder. Barseghyan vertritt zudem die «Fair Internship Initiative», die sich ebenfalls für bessere Praktika-Bedingungen in der UNO einsetzt.

UNO-Generalsekretär schiebt Verantwortung ab

Die «Schweiz am Wochenende» hat die UNO mit der Kritik konfrontiert. Eine Sprecherin des UN-Sekretariats will jedoch zu den Aussagen von Antonio Guterres am Personalanlass und seinem Votum für unbezahlte Praktika keine Stellung nehmen.

Sie betont, dass es bei Praktika darum gehe, etwas zu lernen. Und der Generalsekretär könne gar nicht darüber entscheiden, ob sie bezahlt werden sollen oder nicht. Dies liege in der Verantwortung der Mitgliedsländer. Zudem versuche man die Finanzlast der Praktikanten zu lindern, in dem sie in der Mensa günstiger oder teils gratis essen dürften.

Diese Argumente werden kaum etwas daran ändern, dass am 20. Februar so wie jedes Jahr zahlreiche Praktikanten auf dem Genfer Place des Nations vor dem stolzen UNO-Gebäude streiken werden, um für faire Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Es ist der Tag der sozialen Gerechtigkeit –ein Motto, mit dem sich die UNO sollte anfreunden können.