Zwangsausweisung
Frohe Weihnachten? Nicht wenn man aus der Wohnung geworfen wird

Die Behörden schrecken nicht davor zurück, auch um die Weihnachtszeit Leute aus der Wohnung zu werfen. Betrifft es Rentner, ist es für diese Leute besonders schwierig, eine neue Bleibe zu finden. Besonders unbeliebt auf dem Markt sind ältere Frauen.

Joël Hoffmann
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Die Behörden schrecken nicht davor zurück, zur Adventszeit Rentner aus der Wohnung zu werfen. (Archiv).

Die Behörden schrecken nicht davor zurück, zur Adventszeit Rentner aus der Wohnung zu werfen. (Archiv).

Keystone

Während der besinnlichen Adventszeit gibt es Menschen, die aus ihrer Wohnung geworfen wurden und nun ein neues Obdach suchen. Eine von ihnen ist die 77-jährige Ursula Bloss, die Anfang Dezember ihre Wohnung im Baselbieter Reinach verloren hat. Wie der «Blick» berichtete, war bei der Zwangsausweisung aus ihrer Wohnung die Polizei vor Ort. Die Rentnerin, deren Hab und Gut in einem Lager eingeschlossen ist, lebt nun in einer kleinen Zelle im Kloster Dornach SO.

Der Rauswurf der Rentnerin ist kein Einzelfall. Alleine im Baselbiet kam es dieses Jahr bereits zu über 80 solcher Zwangsausweisungen durch die Polizei. Die Uniformierten rücken zu jeder zweiten Mietausweisung aus, um diese zu vollstrecken. Bis es zu einer Mietausweisung kommt, braucht es einiges (siehe Box). Letztes Jahr behandelten die Baselbieter Bezirksgerichte 224 Mietausweisungsklagen. Die Polizei rückte 2012 122- mal zu einer Zwangsräumung aus.

Kosten für Räumung trägt der Vermieter

Der Weg zur Mietausweisung ist lang - zumindest im Baselbiet. Als Erstes muss die Kündigung des Mietverhältnisses rechtskräftig sein. Erst dann kann der Vermieter vor dem Bezirksgericht eine Mietausweisung beantragen. Dieses prüft die eingereichten Unterlagen beider Parteien darauf, ob beispielsweise alle Fristen eingehalten worden sind. Eine inhaltliche Prüfung, ob die Kündigung selbst gerechtfertigt war oder nicht, findet nicht mehr statt. Das Gericht prüft die Mietausweisung rein formal, auf soziale Aspekte kann es keine Rücksicht nehmen. Verfügt das Bezirksgericht eine Mietausweisung, setzt es dem Mieter eine kurze Frist, innerhalb der er die Wohnung zu räumen hat. Geht der Mieter jedoch nicht, kann der Vermieter beim Bezirksgericht den Vollzug beantragen. Diesen führt die Polizei durch. Die Kosten für neue Schlösser, Mietverlust oder Einlagerung des Mobiliars trägt der Vermieter. (jho)

Rauswurf zur Weihnachtszeit

Von einer solchen Zwangsräumung betroffen war 2012 das Rentnerehepaar E. (Name der Redaktion bekannt) aus dem Baselbieter Binningen. Beide sind um die 80 Jahre alt. Er ist krebskrank, trägt ein Stoma, einen künstlichen Darmausgang. Ebenfalls Anfang Adventszeit kamen sie nicht mehr in ihre Wohnung, ihr Hab und Gut wurde abtransportiert und eingeschlossen.

Am Anfang der ganzen Tragödie stand eine umstrittene Heizkostenabrechnung von 2000 Franken. Der Konflikt eskalierte: Betreibungen, Gerichtsverfahren, Mietkündigung und schliesslich die Zwangsräumung am 7. Dezember 2012. Seither lebt das Paar in einem Hotel. Auf Anfrage sagt Gemeinde-Sprecher Nic Kaufmann, dass sich seitens der Gemeinde nichts bezüglich des Ehepaars E. geändert habe.

200 Mietausweisungen im Aargau

Auch der Aargau zählte 2012 rund 200 Mietausweisungen, bei 80 war die Polizei dabei. Dieses Jahr sind es rund 160 Mietausweisungen. Davon 45 mit Anwesenheit der Polizei. Basel-Stadt hat noch keine Zahlen für dieses Jahr. 2012 kam es in Basel zu 112 Räumungen. Im Vorjahr waren es noch 93. Anders als im Aargau oder im Baselbiet ist in Basel stets der Gerichtsweibel bei der Räumung vor Ort. In besonders heiklen Fällen, wenn jemand nicht raus will, kommt der Sozialdienst der Polizei zum Einsatz. «So ein Fall ist mir aber nicht bekannt», sagt Basels erster Gerichtsschreiber Markus Grolimund.

Eine Räumung werde nur vollzogen, wenn diese zumutbar sei, sagt Grolimund. Was zumutbar ist, ist menschlich betrachtet schwierig zu sagen. Besonders ältere Menschen wie Frau Bloss und das Ehepaar E. haben es nicht einfach auf dem Markt eine neue Wohnung zu finden. Speziell schwierig wird die Wohnungssuche wenn man, wie die Rentner aus Binningen, Betreibungen am Hals hatte.

Alte Frauen sind unbeliebte Mieter

Eine Studie der Age-Stiftung für gutes Wohnen im Alter kommt zum Schluss, dass ältere Menschen ab 65 eine vergleichsweise schwierige Position auf dem Wohnungsmarkt haben. Liegenschaftsverwaltungen befürchten Mehraufwand. Diese gewinnorientierten Verwaltungen sind bereits überlastet, weshalb sie ihren Verwaltungsaufwand minimieren wollen. Darum, so die Studie weiter, wollen ältere Menschen so lange wie möglich in ihren Wohnungen bleiben. Wer raus muss, der findet kaum mehr eine neue Wohnung. Es bleibt oft nur der Umzug in ein Alters- oder Pflegeheim.

Hinzu kommt, dass besonders alleinstehende, ältere Frauen von Vermietern als kompliziertere Klientel angesehen werden als alleinstehende Männer gleichen Alters. Zudem sind ältere Frauen seltener als Männer bereit, in eine Einzimmerwohnung zu ziehen. Somit stehen Frauen wie Ursula Bloss in Konkurrenz zu anderen (älteren) Ehepaaren.

Wem aktuell eine Mietausweisung droht, der wird immerhin noch Weihnachten in seinen vier Wänden feiern können. Nicht etwa, weil die Behörden beseelt von der Adventszeit von Zwangsräumungen absehen – ab heute sind Gerichtsferien.