Bundesbern
Frauenvertretung: Ständerat umschifft einen Affront

Nur zwei Votanten wagten es, die Geschlechterrichtwerte in Führungsgremien zu kritisieren.

Anna Wanner
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PETER KLAUNZER

Erst der vierte Redner wagte es, den Frauenstreik als Argument für Geschlechterrichtwerte in den Teppichetagen der hiesigen Unternehmen anzuführen. «Am Freitag gingen eine halbe Million Personen auf die Strasse, um für eine gleichberechtigte Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu kämpfen», sagte SP-Chef Christian Levrat. «Der Ständerat muss nun signalisieren, dass er das Zeichen verstanden hat.»

Dabei war im Ständerat weniger umstritten, dass Frauen in wichtigen Wirtschaftspositionen untervertreten sind und dass das freiwillige Bekenntnis der Wirtschaft zur Frauenförderung bisher wenig bis gar nichts gebracht hat. Umstritten war, für welches Gremium die Zielwerte gelten sollen. Während Bundesrat und Nationalrat solche Ziele für alle Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte von grossen, börsenkotierten Unternehmen vorgeschlagen hatten, verlangte die vorberatende Rechtskommission des Ständerats einen «Kompromiss»: Richtwerte sollen nur für den Verwaltungsrat gelten, nicht aber fürs Management.

Bereits die Minimallösung

Das sorgte für Aufregung. Denn für viele Parlamentarier ist die aktuelle Vorlage des Aktienrechts bereits ein Kompromiss oder die Minimallösung. Bis tief in die CVP ist die Ansicht verbreitet, es sei «fast peinlich» diese Diskussion überhaupt führen zu müssen. «Die Richtwerte sind die schwächsten der möglichen Vorschläge», sagte der Freiburger CVP-Ständerat Beat Vonlanthen. Das hat mit der sanften Umsetzung der Vorgaben zu tun:
Die Richtwerte sind tief angesetzt: Jedes Geschlecht soll zu zwanzig Prozent in der Geschäftsleitung vertreten sein, zu dreissig Prozent im Verwaltungsrat.

Wer die Zielvorgaben verfehlt, muss keine Sanktionen fürchten, sondern erklären, wieso das Ziel verfehlt wurde und welche Massnahmen zu dessen Erreichung getroffen werden.
Die Vorlaufzeit für die Umsetzung ist grosszügig angelegt: Der Verwaltungsrat muss innerhalb von fünf Jahren die Vorgaben erreichen, die Geschäftsleitung hat dafür zehn Jahre Zeit.
Nur börsenkotierte Unternehmen mit mehr als 450 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 40 Millionen Franken sind betroffen (laut Bundesrat sind das 200 bis 250 Firmen).

Die Gegner zeigten argumentative Mühe. Beat Rieder (CVP/VS) versuchte, die Richterwahl vom Morgen als Beweis ins Feld zu führen, dass es auch ohne Quoten ginge. Andrea Caroni (FDP/AR) zeigte seine poetische Ader und trug ein Gedicht vor, in dem er den Kompromiss als freiheitlichere Lösung bewarb. Das trug ihm aber mehr Häme als Anerkennung ein. Anita Fetz (SP/BS) sagte dazu, das Gedicht erinnere sie an die «Blumensträusse, die Männer ihren Frauen schenken, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben».

Weitere Argumente gegen die Richtwerte – weder im Allgemeinen noch im Besonderen – gab es keine, obwohl die vorberatende Kommission mit 8:6 Stimmen die Richtwerte für die Geschäftsleitung aus dem Gesetz kippen wollte. Kein anderer Ständerat wagte es, das Wort zu ergreifen. Ob es an den 13 Nationalrätinnen lag, die auf den Zuschauerrängen die Debatte genau verfolgten?

Jedenfalls schaffte es so die einzige Frau in der vorberatenden Kommission, CVP-Ständerätin Anne Seydoux (JU), sich erfolgreich gegen den Angriff zu wehren. Ob nun aus öffentlichem Druck, der Folge des Frauenstreiks oder aus Überzeugung unterstützten 27 Ständerätinnen und Ständeräte die Richtwerte für beide Gremien. Nur gerade 13 Männer waren anderer Meinung, darunter nebst FDP und SVP auch ein CVP-Vertreter.

Dass Massnahmen nötig sind, war aus allen Voten zu hören: Heute seien die Frauen gerade im Management untervertreten. Seit Jahren zeichne sich keine Besserung ab. Wer Richtwerte nur für Verwaltungsräte fordere, sende deshalb ein komplett falsches Zeichen, sagten mehrere Redner: Wesentliche Entscheide würden von der Geschäftsleitung ausgeführt, nicht vom Verwaltungsrat. CVP-Ständrat Konrad Graber (LU) brachte auf den Punkt, was der «halbe Schritt» für ein Signal sende: «Dort, wo es um strategische Fragen geht, brauchen wir Frauen. Dort, wo es um Arbeit geht, ums Umsetzen, brauchen wir sie nicht.»