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Seit Juni steht die «Open-Air- Festival-Kultur» auf der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz. Ist das nach dem Verkauf vom «Frauenfeld» noch gerechtfertigt?
199 Bräuche stehen auf der «Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz», die das Bundesamt für Kultur (BAK) 2012 zusammengestellt und im vergangenen Juni überarbeitet hat. Unter den 34 Neuzugängen findet sich neben der Badenfahrt und dem Aareschwimmen auch der Eintrag «Open-Air-Festival-Kultur». Damit, sagt Rico Valär vom BAK, meine man die Gesamtheit der Schweizer Festivalkultur, die jedes Jahr ein grosses Publikum in der Schweiz erfreue.
Das zahlenmässig grösste Open Air der Deutschschweiz, das Openair Frauenfeld, wurde vergangene Woche vom amerikanischen Grosskonzern Live Nation übernommen (siehe Artikel links). Die Übernahme durch den Eventgiganten aus Übersee wirft die Frage auf, ob der Platz der Open Airs auf der offiziellen Brauchtums-Liste überhaupt noch gerechtfertigt ist. «Klar gehört das Openair Frauenfeld zu den bekanntesten Festivals, aber es ist ja längst nicht das einzige», betont Rico Valär. Er verweist auf die grossen Festivals in Murten, Nyon, St. Gallen oder Locarno und auf die Hunderten kleinen Open Airs, die alle nach wie vor in Schweizer Hand seien. Unmittelbar von der Liste gestrichen werde der Eintrag wegen des Verkaufs des Openairs Frauenfeld deshalb sicher nicht.
Ein bisschen Amerika darf also nach Ansicht des BAK in den Schweizer Brauchtümern stecken, ohne dass die gleich ihren Status als «lebendige Tradition» verlieren. Allerdings müsse man die Situation schon im Auge behalten, findet Walter Leimgruber. Der Leiter des Seminars für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Uni Basel hat als Experte bei der Zusammenstellung der Liste mitgewirkt. «Man muss die Entwicklung abwarten», sagt er. Garantiert gesichert sei der Listenplatz nicht. «Je nach Entwicklung wird man den Eintrag auf der Liste diskutieren», betont der Kulturwissenschaftler.
Wenn Live Nation seine eben angefangene Einkaufstour im Schweizer FestivalBasar erfolgreich fortsetzt und die helvetischen Open Airs inskünftig mehr und mehr aus Beverly Hills gesteuert werden, könnte es also eng werden für die eben noch «lebendig» geglaubte Open Air-Tradition. Bisher wurde allerdings noch nie einer der aufgelisteten Bräuche wieder von der BAKListe gestrichen. Diese sei erst wenige Jahre alt, erklärt Leimgruber. «Im Laufe der Zeit werden sicherlich nicht nur Ergänzungen hinzukommen, sondern auch Streichungen vorgenommen. Sonst würde die Liste viel zu lang», sagt der Basler Professor.
Wirklich nützen tut die Liste den 199 aufgeführten Traditionen nichts. Finanzielle Zustüpfe gibt es keine. Und das BAK betont, die Liste sei auch nicht als Wertung der aufgeführten Bräuche gedacht. Die Schweiz musste die Liste 2012 im Zusammenhang mit ihrem Beitritt zum Unesco-Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes anfertigen.
Zu hoffen bleibt, dass die Aufzählung nie in den Händen der Live-Nation-Manager landet und von ihnen als Shopping-Liste missverstanden wird. Wer weiss, ob die nicht auf die Idee kämen, auch andere «lebendige Traditionen» in goldene Cash-Cows mit helvetischem Anstrich zu verwandeln.