50 Jahre nach der Eröffnung seines ersten Fitnesszentrums verkauft Werner Kieser sein Imperium. Im Interview spricht er über die Gründe und seinen Kampf gegen Fitness-Trends.
Werner Kieser hat vor 50 Jahren in Zürich das erste Fitnesszentrum eröffnet. Mit 77 Jahren gibt er sein Lebenswerk auf. Er verkauft seine Firma an das Management und den schweizweit bekannten Transportunternehmer Nils Planzer.
Wir haben Werner Kieser im Sommer getroffen, als er seine Nachfolge plante. Diese Woche, nachdem alles durch war, haben wir mit ihm gesprochen. Entstanden ist ein Interview, in dem der topfite Unternehmer zurückschaut und die Fitnessbranche heftig kritisiert.
Werner Kieser: Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Deshalb habe ich mich schon seit Jahren mit der Nachfolgeregelung befasst. Seit einem Jahr haben wir nun an dieser Lösung gearbeitet. Seit Anfang Januar ist es nun so weit. Mit dem 50-Jahr-Jubiläum des Unternehmens haben wir einen guten Rahmen gefunden.
Sie ist 19 Jahre jünger als ich, hat auch das nötige Rüstzeug. Es ist aber nicht jedermanns Sache, unternehmerisch tätig zu sein. Mit Michael Antonopoulos haben wir also eine ideale Lösung gefunden.
Nein. Ich bin seit über 10 Jahren ja nicht mehr operativ tätig. Ich weiss das Unternehmen in guten Händen. Das Band ist ja nicht völlig gekappt. Denn meine Frau arbeitet als Ärztin noch weiter und ist gleichzeitig Verwaltungsratspräsidentin. Falls was schieflaufen würde, bin ich ja auch noch in der Nähe.
(lacht) Ich muss Sie korrigieren: Ich komme ursprünglich aus Bergdietikon, nicht aus Dietikon! Im Ernst: Ich kannte Nils Planzers Grossvater sogar. Er war nach dem Krieg einer der Ersten, die einen Lastwagen hatten. Das hat mir als Junge unglaublich Eindruck gemacht. Nils Planzer kenne ich schon länger, er sitzt seit Jahren in unserem Verwaltungsrat – und er trainiert in unseren Zentren.
Nein. Ich bleibe der Firma erhalten. Ich werde auch künftig die Entwicklung neuer Geräte und Verfahren begleiten. Ich werde vielleicht häufiger mit dem Hund spazieren gehen und bin öfter im Münstertal als bisher.
Eher gefasst. Viele haben es ja ahnen können, dass ich nicht mehr länger dabei bleiben werde.
Fitness hat immer etwas mit Trends zu tun. Man rennt dem neusten Trend hinterher. Mal ist es Aerobics, mal Pilates oder Hot Yoga. Man kreiert in der Branche auch neue Trends, damit man etwas Neues verkaufen kann. Ich wollte immer etwas Anderes erreichen: einen medizinisch fundierten Ansatz. Deshalb habe ich früh mit Medizinern und Wissenschaftlern zusammengearbeitet. Heute sind über hundert Ärzte bei Kieser Training beschäftigt. Und als Papst eigne ich mich nicht. Ich bin nicht gläubig.
Klar. Es ist eigentlich ganz einfach: Wir machen Krafttraining. Das heisst, es geht vereinfacht gesagt um den Aufbau und die Wartung des Bewegungsapparates. Ich vergleiche das immer mit der Dentalhygiene: Auch die Zahnsteinentfernung ist eine simple und primitive Massnahme, um die Lebensdauer der Zähne zu verlängern. Aber sie ist sehr effektiv: Ich habe das noch erlebt, als dies aufgekommen ist vor rund 50 Jahren. Damals waren viele Zahnärzte noch dagegen.
Ja, damals wusste man noch nicht, zu was die Muskeln fähig sind. Muskeln wurden als Schmuck, als Dekoration, angesehen. Heute hat das ganz einen anderen Stellenwert.
Das ist ganz einfach: Es gibt physiologische Tatsachen. Diese ändern nicht so schnell. Die Muskeln halten alles zusammen. Die inneren Organe sind nur die Lieferanten der Muskeln. Und die neue Myokine-Forschung zeigt, dass Muskeltraining Botenstoffe auslöst, die unsere mentalen Zustände verändern. Man muss also Sorge zu den Muskeln tragen, ohne dass man es übertreibt. Und im Training heisst das: Man muss den Muskeln Widerstand bieten. Der Mensch braucht Widerstand. Wie oft? Das hängt ganz von den Zielen an.
Ja, das stimmt. Das habe ich mit 60 angefangen und mit 72 Jahren abgeschlossen. Eigentlich wollte ich ja nur besser Englisch lernen. Doch einfach in eine Sprachschule wollte ich nicht. Deshalb habe ich diesen Weg gewählt.
Ich wollte ursprünglich Schwinger werden. Ich habe mir jedoch als Kind zweimal den linken Arm gebrochen beim Schwingen. Dann hat der Arzt gesagt: «Wenn du den Arm noch einmal brichst, bleibt er ganz dünn.» Das hat mir Angst gemacht. Mein Lehrer schickte mich später zum Boxen. Im Boxclub Zürich wurde dann mein Talent entdeckt. Doch kurz vor der Schweizer Meisterschaft habe ich das Rippenfell gequetscht. Ich hatte Trainings- und Wettkampfverbot.
Ja. Aber es gab damals einen Spanier im Club, Ramon hiess er. Der hat mir gesagt, ich solle doch Gewichte heben, um schneller wieder fit zu werden. Im Boxkeller in der Zürcher Zentralstrasse lagen damals noch Hanteln herum. Dort habe ich angefangen und wurde rasch kräftig. Werner Hersberger aus Basel, damals der Trainer der Schweizer Nationalmannschaft im Gewichtheben, wurde ein wichtiger Mentor für mich. Er hat mir einen ganzen Stapel amerikanischer Kraftsportzeitschriften gegeben. So entdeckte ich das in der Schweiz noch unbekannte Bodybuilding.
Nein. Ich habe später alles aus diesen Zeitschriften herauskopiert, vergrössert und aus Alteisen nachgebaut. Ich weiss noch genau: Das Kilo kostete 40 Rappen. Ich war gelernter Schreiner, musste mir aber das Schweissen erst noch beibringen. Das Buch «Wie werde ich Elektroschweisser» habe ich heute noch.
Ja, etwa fünf Jahre nach der Eröffnung meines ersten Studios in Zürich war es so weit. Ich war zur rechten Zeit bereit mit meinen Geräten.
Es geht. Die Banken wollten mir keinen Kredit geben. Ich hatte privat Geld erhalten von Bekannten, und ich habe nach einer längeren Durststrecke Geld verdient und konnte neue Zentren aufmachen. Natürlich habe ich auch die ersten Fehlentscheide gemacht. Ich habe Saunas, Whirlpools in die Studios gestellt. Die Leute haben es toll gefunden, aber gar nicht mehr trainiert. Das hat mich gestört, ich habe alles wieder herausgerissen. Die Kunden haben protestiert und ich habe einen Drittel Umsatz verloren.
Da ich nicht so viel Kapital hatte, habe ich ab 1981 ein Franchise-System aufgebaut und konnte so Filiale um Filiale eröffnen. Zuerst in der Schweiz, später auch in Deutschland und anderen Ländern. Heute können Sie mit einem Kieser-Abo weltweit trainieren. Wir haben 141 Filialen mit rund 275 000 Kunden. Und in diesem Jahr wird in China das erste Kieser Training-Studio aufgehen.
Ende der 80er-Jahre wollte ich nach Deutschland expandieren. Ich verkaufte die Schweizer Fitnesszentren an einen Franchisenehmer. Mit dem machte ich einen Generallizenz-Vertrag für die Schweiz. Er verunglückte tödlich. Seine Nachfolger zogen nicht mit unseren neuen Entwicklungen mit. Für ein Franchising-System hat jedoch die Einhaltung der Standards durch alle Teilnehmer existenzielle Bedeutung. Wir boten an, die Schweizer Zentren zu kaufen.
Ja. Die 19 Schweizer Kieser-Zentren führen ab 2011 den Namen Exersuisse.
Ja, wir haben in der Schweiz sieben Zentren aufgebaut.
Das ist noch offen. Hier müssten Sie meine Nachfolger fragen.
Wir sind mit unserem Ansatz ein Nischenanbieter.
Zweifellos. Aber wichtig ist immer, dass man die Fakten kennt. Ich habe nichts dagegen, wenn sich junge Leute aufpumpen. Die Problematik sind hier die Drogen. Um auszusehen wie ein Arnold Schwarzenegger, reicht Training nicht; das kann man selbst mit hundert Jahren Training nicht erreichen. Dazu bedarf es einer extremen und raren Veranlagung. Deshalb greifen viele zu Drogen. Das ist enorm gefährlich.
Ja, das stimmt. Doch es geht mir primär um die Gesundheit. Der Aufbau der Muskeln trainiert ja auch die «Diener» der Muskeln, die inneren Organe. Wer das Extreme sucht, macht das ja nicht wegen der Gesundheit, sondern weil es sein Hobby ist. Aber das ist nicht das, wofür ich einstehe.
Sie ist entscheidend. Auch hier ist für mich das Extreme falsch. Das Problem ist jedoch, dass die meisten Menschen, vor allem die Jungen, zu viel Kohlenhydrate essen. Hier sind die Eltern gefordert.
Auf jeden Fall. Ich glaube an die Eigenverantwortung: Der Konsument hat es in den Händen. Man muss nicht der Nahrungsmittelindustrie die Schuld geben. Die bewegt sich schon, wenn die Verbraucher etwas Anderes wollen. Das sieht man etwa bei McDonald’s in den USA deutlich. Aber die Erziehung ist hier sehr wichtig.
Ich habe zu Hause Gipsabdrücke von Affenfüssen. Die zeigen deutlich: Füsse sind ursprünglich Greiforgane. Natürlich wurden die über die Jahrtausende etwas verformt. Aber wir sind keine Lauftiere, sonst hätten wir Hufe, wie die Pferde. Ich weiss, dass ich mir viele Feinde schaffe. Letztlich entstand eine Milliardenindustrie durch den Jogging-Trend. Aber die für den Kreislauf sinnvolle Pulsfrequenz erreicht man auch ohne Joggen. Ich kenne Manager, die laufen, weil sie endorphinsüchtig sind. Endorphin ist ein Hormon, das nach etwa einer halben Stunde Joggen Glücksgefühle auslöst.
Ich bin nicht radikal dagegen, wehre mich aber gegen die Gleichsetzung vom Kieser Training und Sport. Der Sport hat viele positive Seiten. Er hat aber auch negative. Meine Langzeitschäden sind vom Sport: Nicht nur vom Joggen, auch vom Skifahren und Boxen. Viele Ausdauersportler sind ja wandelnde Skelette. Ein Herz auf zwei Beinen sozusagen. Ein derart verkleinertes Blutversorgungsgebiet ist für die Ausdauer zwar vorteilhaft, für die Gesundheit aber nicht.
Danke. Ich trainiere zwei-, manchmal dreimal pro Woche. Eigentlich ist es klar: Die Evolution hat kein «Interesse» daran, dass wir Menschen älter als 25 Jahre werden. Dann haben wir normalerweise unsere Gene weitergegeben. Mit der Präventivmedizin versuchen wir, lediglich die «geschenkten Jahre danach» erträglich zu gestalten.
Das habe ich natürlich nicht so gesehen, als ich jung war. Ich konnte es mir auch nicht vorstellen, wie es sein würde, alt zu sein. Deshalb ist es für mich eine interessante Erfahrung, alt zu sein. Ich kann es nicht mehr hören, wenn einer sagt, dass früher alles besser war. Das stimmt nicht. Uns ging es noch nie so gut wie heute. Früher sind die Menschen an Bagatellen gestorben. Wir können froh und dankbar sein, dass es heute nicht mehr so ist.
Nein. Ich habe keine Angst. Als Atheist glaube ich nicht an ein Leben danach. Obwohl das Jüngste Gericht für einige vielleicht nicht schlecht wäre.
(lacht) Ja, das ist besser so. Nein, im Ernst: Natürlich will man nicht einen qualvollen Tod sterben. Aber das kann man sich ja nicht auswählen.
Ich habe immer eine Art «Parallelwelt» für mich gehabt. Das Geschäft war für mich nie Selbstzweck, sondern das Vehikel der Idee. Ich hatte und habe viele Interessen. So habe ich mich vor 55 Jahren schon mit Yoga befasst und mich für Philosophie und Kunst interessiert. Das hat mir immer einen Ausgleich ermöglicht. Das ist sicher entscheidend gewesen, dass ich mich nie vom Geschäftlichen vereinnahmen liess.