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Schweiz
Die Churer Domherren haben die Dreierliste des Papstes für einen neuen Bischof zurückgewiesen. Der konservative Flügel wittert im Vorschlag von Rom den Versuch, das Bistum Chur auf Zeitgeist zu trimmen. Das zeigt das Protokoll zur geplatzten Bischofswahl.
Der Sündenbock war schnell eruiert: Martin Grichting. Gemäss verschiedenen Medienberichten führte der 53-jährige Generalvikar am Montag die konservative Opposition an gegen die Dreierliste von Papst Franziskus, aus denen die 22 Churer Domherren einen Nachfolger für Vitus Huonder hätten küren sollen. Zur Wahl standen Mauro-Giuseppe Lepori (61), Generalabt des Ordens der Zisterzienser in Rom, Vigeli Monn (55), Vorsteher des Klosters Disentis, und Joseph Bonnemain (72), im Bistum Chur zuständig für die Beziehungen zu den Landeskirchen. Eine knappe Mehrheit des Domkapitels (11 zu 10 bei einer Enthaltung) trat gar nicht auf den Wahlvorschlag ein.
Grichting gilt als Huonders Bruder im Geist und mächtiger Mann im Bistum Chur. Einer Eigenheit der Schweiz, dem dualen System mit der demokratisch organisierten Landeskirche und der römisch-katholischen Kirche, steht er ablehnend gegenüber. Doch agierte wirklich das Schreckensgespenst der progressiven Katholiken als Strippenzieher? Unserer Zeitung liegt das Protokoll des Vorgangs der Nichtwahl vor. Es vermag die Frage nicht zu beantworten, weil nicht steht, von wem welche Voten stammen. Das Protokoll offenbart aber, dass viele Stimmen die Liste aus Rom verschmähten, und welche tiefe Gräben der seit Jahrzehnten schwelende Streit ins Wahlgremium des Bistums Chur gerissen hat. Im Kern geht es um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Lagern: Konservative gegen Moderate, Befürworter gegen Gegner der Landeskirche.
Ein Domherr taxierte die Dreierliste als Versuch, «die bisher vom gesellschaftlichen Mainstream abweichende Stimme des Bistums Chur zum Schweigen zu bringen». Die Dreierliste bedeute eine feindliche Übernahme des Bistums Chur durch die Bischöfe von Basel, St. Gallen und den Abt von Einsiedeln.
Sie haben sich, wie bekannt geworden ist, in Rom direkt massiv in die Bischofsernennung von Chur eingemischt.
Das Gleiche gelte für die Vertreter des staatskirchenrechtlichen Systems. Der Domherr spricht von «erpresserischen Drohungen». Damit gemeint sind Äusserungen von Vertretern der Landeskirche, die Bistumsbeiträge im Fall der Wahl eines konservativen Kandidaten zu kürzen. Ein weiterer Domherr stützte diese Position: Er wolle im Bistum Chur keine Zustände wie in den Bistümern Basel und St. Gallen. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf die offene Haltung, die der Basler Bischof Felix Gmür und sein St. Galler Kollege Markus Büchel in der Frauenfrage oder beim Zölibat pflegen.
Auf wenig Wohlwollen stiess bei einem anderen Domherrn Opus-Dei-Mitglied Joseph Bonnemain. Der frühere Mitarbeiter von Bischof Haas habe sich massiv gewandelt und sei die «grösste Priesterenttäuschung meines Lebens». Monn war diesem Wahlberechtigten nicht genehm, weil er nie einer Pfarrei des Bistums tätig gewesen sei, und Lepori habe «keine Ahnung von unserem Bistum».
Vertreter der moderaten Domherren reagierten konsterniert auf die Rückweisung der Kandidaten: «Es ist traurig, dass wir ein weiteres Kapitel der Trauergeschichte des Bistums Chur schreiben.» Ein Domherr hielt fest, auf der Liste stünden «keine Feinde der Kirche». Nach dem einmaligen Vorgang der Nichtwahl liegt der Ball bei Papst Franziskus. Da das Domkapitel sein Wahlprivileg nicht wahrgenommen hat, könnte er gemäss Kirchenrecht in Eigenregie einen neuen Churer Bischof ernennen. Bleibt die Frage, weshalb Grichting die Nichtwahl orchestriert haben sollte. Auf jeden Fall ginge er mit solch einem Manöver ein hohes Risiko ein. Denn der Papst könnte auch einen moderaten Bischof installieren, der nicht dem Gusto der Konservativen entspricht. Franziskus kenne die Situation im Bistum Chur sehr gut, sagte etwa Martin Kopp, der im Frühling als Generalvikar des Bistums Chur entlassen wurde, gegenüber SRF. «Der Papst will eine Brücke bauen.» Man könne sich selber ausdenken, dass er keinen extrem reaktionären oder konservativen Bischof wolle.
Zum Bistum Chur gehören rund 700'000 Gläubige der Kantone Schwyz, Uri, Ob- und Nidwalden, Zürich, Glarus und Graubünden. Es ist geprägt von Spannungen zwischen der Bistumsleitung und einem Teil der Gläubigen und der Mitglieder im Kirchendienst.
Übrigens: Das Bistum St. Gallen und der Einsiedler Abt Urban Federer kommentieren die Vorwürfe des Domherrn nicht. Das Bistum Basel sagt dazu: «Eine Vernehmlassung ist nicht Teil des Wahlverfahrens.»