Startseite
Schweiz
Zum Abschied von der «Nordwestschweiz» lässt Blattmacher Gieri Cavelty seine Frau das letzte Wort haben. Die Mutter und Autorin fordert einen Feminismus, der nicht primär den Arbeitgebern, sondern der Familie zugutekommt.
Sieben Jahre war ich bei der «Nordwestschweiz», fünf davon habe ich als Blattmacher den überregionalen ersten Bund dieser Zeitung verantwortet. Das heisst konkret: Zusammen mit den Ressortleitern und Redaktionskollegen habe ich mir tolle Themenseiten ausgedacht, Schwerpunkte und Schlagzeilen besprochen, Frontseiten gestaltet – und was da noch alles war. Eine spannende Aufgabe. Und eine zeitintensive Arbeit.
Meine Ehefrau Sibylle Stillhart hatte also genügend Gelegenheit, sich daheim in unserer Berner Wohnung allerlei Gedanken über Gleichberechtigung und Familienmodelle zu machen. Und sobald ihr unsere mittlerweile drei Söhne den Raum liessen, hat sie diese Gedanken auch zu Papier gebracht. 2015 hat Sibylle Stillhart ein Buch zum Thema veröffentlicht: «Müde Mütter, fitte Väter.»
Zu meinem Abschied von der «Nordwestschweiz» soll sie auch an dieser Stelle das letzte Wort haben. Sie lesen heute gewissermassen die Rückseite all der Themenseiten der vergangenen Jahre.
Sibylle Stillhart: Was ist daran so schwierig, mit mir zu reden?
Kritik kann ja auch konstruktiv sein. Kein Problem, wenn Du mich hinterfragst!
Die gebürtige St. Gallerin war Redaktorin bei der «Schweizer Illustrierten», bei «Facts» sowie «Beobachter» und schrieb als freie Journalistin für diverse Zeitschriften und Zeitungen. Später war sie als Pressesprecherin für die Bundesverwaltung tätig. Heute arbeitet die 42-Jährige für ihre drei Söhne sowie als Autorin. 2015 erschien im Limmat-Verlag ihr Buch «Müde Mütter – fitte Väter. Warum Frauen immer mehr arbeiten und es trotzdem nirgendwohin bringen». (NCH)
Ohne Dich hätte ich das nicht machen können ...
Du hast in der Tat sehr viel gearbeitet. Und sehr lange. Seit der Geburt unseres ersten Sohnes ist mir allmählich bewusst geworden, was es heisst, einen Job und daneben Kinder zu haben. Der erstgeborene Sohn war ein unglaublicher Einschnitt, auf den wir überhaupt nicht vorbereitet waren. Wir waren so sozialisiert worden, dass wir – trotz Kindern – erwerbstätig bleiben wollten. Etwas anderes kam gar nicht infrage. Erst allmählich haben wir gemerkt, dass diese sogenannte Vereinbarung, wie sie uns suggeriert worden ist, nicht einfach war.
Du warst in dieser Zeit häufig abwesend, Dein Beruf hat Dich ziemlich beansprucht. In dieser Zeit war ich alleine mit zwei Kleinkindern zu Hause, ging zusätzlich zu 50 Prozent einer Erwerbsarbeit nach. Ich habe alles allein geschultert. Das hat man als «normal» angeschaut, doch ich konnte so viel Arbeit schlicht nicht bewältigen. Alle sprachen davon, wie einfach es ist, Kinder und Job zu vereinbaren – niemand sagte, welche Anstrengungen und Entbehrungen dies bedeutet.
Liebe Leserinnen und Leser
Es ist kein Zufall, dass sich der stv. Chefredaktor Gieri Cavelty mit einem Familieninterview verabschiedet: Jahrelang erschienen solche Gespräche von Redaktoren mit spannenden Verwandten zwischen Weihnachten und Neujahr – initiiert und betreut von Cavelty.
2009 kam er als Inlandchef zur «Nordwestschweiz», später wurde er Leiter des ersten Bundes und stv. Chefredaktor. Es ist zu einem wesentlichen Teil sein Verdienst, dass die «Nordwestschweiz» als drittgrösste bezahlte Tageszeitung der Schweiz heute publizistisch eine Stimme ist, die wahrgenommen wird. Cavelty war ein überaus kompetenter, umsichtiger Blattmacher. Er selber hat eine spitze Feder, die ihresgleichen sucht. Vor allem aber war er ein loyaler, aber gleichzeitig kritischer und stets verlässlicher Kollege. Der Abschied schmerzt. Was bleibt, ist ein grosses Danke für die gemeinsame Zeit und für seinen enorm grossen Einsatz, verbunden mit den besten Wünschen für seine neue, anspruchsvolle Aufgabe als Kommunikationschef beim Staatssekretariat für Migration (SEM).
Christian Dorer, Chefredaktor
Die Werbung und die Medien suggerieren, alles sei so einfach. Derweil behauptet die Wirtschaft, ihr sei die Vereinbarung sehr wichtig.
Die Politik macht praktisch nichts. Es gibt kaum eine Familienpolitikerin, der es gelingt, Aufmerksamkeit zu erzeugen und Mehrheiten im Parlament zu schaffen. Vielleicht ein paar linke Mütter, die in der Politik tätig sind.
Das sind Frauen, die längst keine Kleinkinder mehr zu Hause haben. Sie wollen wohl einfach nicht wahrhaben, dass – sobald Kinder im Haus sind – auch sehr viel Arbeit anfällt. Vermutlich entspricht dies noch der Denkweise der 1950er-Jahre. Die Frauenrechtlerin Iris von Roten hatte damals zu Recht gesagt, dass Frauen arbeiten sollen, um sich aus der Abhängigkeit des Ehemanns zu befreien. Doch heute sind wir einen Schritt weiter. Frauen verfügen über die gleichen Ausbildungsstandards wie Männer. Bloss: Die Arbeitswelt hat den Schritt zur Emanzipation noch nicht vollzogen. Sie ist nach wie vor auf Männer ausgerichtet und funktioniert nach männlichen Prinzipien. Das ist auch der Grund, weshalb Männer immer noch mehr verdienen und viel einfacher Karriere machen.
Ja klar! Aber sobald ein Kind auf der Welt ist, ändert sich alles. Mittlerweile hat es sich so eingespielt, dass Männer, wenn sie Väter werden, Vollzeit weiterarbeiten, während Mütter ihr Erwerbspensum reduzieren. Das heisst, dass sich Frauen zusätzlich um den Nachwuchs und um den Haushalt kümmern. Ein enormes Pensum: Das Bundesamt für Statistik hat ausgerechnet, dass die Person, die den Haushalt verantwortet, 55 Stunden die Woche arbeitet. Geht sie zusätzlich einer Teilzeit-Erwerbsarbeit nach, erhöht sich die Stundenzahl auf 71 Stunden. Das sind zehn Stunden pro Tag! Sieben Tage! Je höher das Arbeitspensum, desto höher die Gesamtbelastung der Frau. Hand aufs Herz: Ist das ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben?
Stimmt, haha! Mit einem Kleinkind sind die Nächte sehr erholsam. Du kannst eine 71-Stunden-Woche doch nicht allen Ernstes als Erholung bezeichnen! Vielmehr ist es so: In unserer Leistungsgesellschaft zählt nicht, was eine Mutter – oder in wenigen Fällen: ein Vater – leistet. Haushalt? Das gilt nicht als Arbeit. Dass dies so ist, hat damit zu tun, dass diese häuslichen Arbeiten vom Geldfluss abgekoppelt, mithin entwertet wurden.
Bis vor ungefähr zweihundert Jahren arbeiteten Mann und Frau zusammen im Familienbetrieb. Das Geld, das sie gemeinsam erarbeiteten, gehörte beiden. Die bürgerliche Ideologie wollte dann, dass die Frauenarbeit nicht mehr mit Geld entlöhnt wird – allein die «Ehre», sich um Kinder und Haushalt zu kümmern, sollte der Frau genügen, während der Mann für das Geld zuständig wurde. Damit wurden sämtliche Arbeiten, die Frauen ausführten, entwertet. Das ist bis heute so geblieben.
Der Einwand gilt vielleicht, solange die Ehe hält. Die Scheidungsrate liegt aber bei knapp 50 Prozent. Deshalb will heute jeder über sein eigenes Geld verfügen. Auch fehlen der Frau oft die Pensionskassengelder, nachdem sie aus dem Arbeitsprozess hat aussteigen müssen.
Kitas entlasten die berufstätigen Mütter nicht wirklich. Im Gegenteil: Man hetzt einfach noch zuerst in die Kita, ehe man zu spät ins Büro kommt. Und wirklich Arbeit machen einem die Kinder sowieso erst nach Feierabend, wenn man vom Büroalltag geschafft ist.
In einer gleichberechtigten Gesellschaft sollte meiner Meinung nach jeder das machen können, was er möchte. Wie Familien ihren Alltag bewältigen, ist deren Sache: Wenn die Mutter Vollzeit arbeiten möchte und der Mann zu Hause bleibt, sollte das ebenso möglich sein wie umgekehrt. Ebenfalls wenn beide einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen.
Keineswegs. Die Strukturen sind nach wie vor so, dass vorwiegend Männer Vollzeit arbeiten und die Frau entweder Teilzeit oder ganz aufhört. Die Wirtschaft hat überhaupt kein Interesse daran, dass Männer Teilzeit arbeiten. Während Männer allein dank ihrer Präsenz im Büro die Karriereleiter emporklettern, wird die Teilzeitarbeit der Frauen bedeutend weniger geschätzt. Auch wenn Frauen häufig effizienter arbeiten, erhalten sie weniger Lohn und haben weniger Aufstiegsmöglichkeiten.
Man müsste einmal über unsere Arbeitsstunden nachdenken. Die Schweiz gehört zu den Ländern mit den höchsten Präsenzzeiten. Aber macht es Sinn, dass ein Arbeitstag acht oder neun Stunden dauert? Sind wir effektiv so lange effizient? Würde es mit einem Arbeitstag von fünf oder sechs Stunden nicht ebenso gut funktionieren? Oder die Ferien: Während Arbeitnehmer vier oder fünf Wochen Ferien haben, sind es bei Schulkindern 13 Wochen. Was machen die Schulkinder, während ihre Eltern im Büro sitzen?
Früher hiess es: Ein Primarlehrer könne niemals seine Stelle mit einer anderen Person teilen. Heute ist der Lehrerberuf einer der häufigsten, der im Teilzeitpensum ausgeführt wird.
In der DDR waren Frauen voll erwerbstätig und die Strukturen so ausgelegt, dass dies trotz Kindern möglich war. In der Realität war es dann so, dass die Mütter ihre Kinder am Montagmorgen in die Krippe brachten und erst am Freitagabend wieder zu sich nach Hause holten. Während Frauen vorwiegend «hausfrauisierende» Tätigkeiten ausführten, hatten die Männer die interessanten Jobs – Männer befahlen, Frauen dienten. Die weibliche Arbeitskraft wurde auch in der DDR nicht wirklich geschätzt. Man müsste schlicht den Begriff «Arbeit» neu definieren.
Die Ökonomin Mascha Madörin hat ausgerechnet: Das gesamte Bruttoinlandprodukt der Schweiz besteht aus zwei Dritteln bezahlter und einem Drittel unbezahlter Arbeit, darunter fallen Haushalt, Kinderbetreuung und die Pflege älterer Familienangehöriger. 80 Prozent dieser Tätigkeiten – man spricht von Care-Arbeit – werden von Frauen ausgeführt.
Dies allein laut auszusprechen, ist momentan unmöglich. Viel zu utopisch.
Würde der Haushalt bezahlt, würde dies bestimmt zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft führen. Man darf sich schon fragen, weshalb vor allem männliche Berufe wie etwa im Bank- oder Versicherungswesen so gut, während weibliche Tätigkeiten schlecht oder nicht entlöhnt werden.
Der Staat. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Im Vergleich zu anderen Ländern leistet es sich aber nicht einmal ein Familiendepartement. Geld ist vorhanden, doch der politische Wille für eine solche Idee fehlt.
Das wäre eine Möglichkeit.
Die Gleichstellungsbeauftragen üben einen enormen Druck auf die Frauen aus. Dabei bezweifle ich, dass eine gute Ausbildung daheim einfach verpufft. Kindererziehen ist sehr herausfordernd. Und einen Haushalt zu schmeissen, ist vielleicht eine Sisyphus-Arbeit. Mit Büro-Arbeit lässt sie sich aber ohne weiteres vergleichen.
Ja, dank meiner freiberuflichen Tätigkeit als Journalistin konnte ich dieses Buch schreiben, während die Kinder an zwei Tagen die Woche in der Kita betreut wurden. Die Freiberuflichkeit verschaffte mir die Flexibilität, die ich noch heute brauche. Hat ein Kind die Grippe, bedeutet dies keine Katastrophe mehr. In den Ferien brauche ich die Kinder nicht umständlich irgendwo zu parkieren. Diese Lösung ist für unsere Familie perfekt. Genau das war ja auch der Ausschlag, weshalb wir uns für ein drittes Kind entschieden haben. Wäre ich angestellt geblieben – drei Kinder wären nicht möglich gewesen.
Warum hast Du es denn bleiben lassen?
Soll ich Dir das tatsächlich glauben? Du bist ein toller Vater, der seine Kinder liebt und alles tut, um ihnen ein schönes Leben zu ermöglichen. Aber sobald das Handy klingelt und jemand aus dem Büro dran ist, lässt Du alles stehen und liegen. In solchen Momenten bist Du froh, dass ich hier die Stellung halte.
Man müsste von einem arbeitgeberfreundlichen Feminismus zu einem familienfreundlichen Feminismus kommen. Aus Sicht der Familie nimmt die Erwerbsarbeit einen zu hohen Stellenwert ein. Die Arbeit müsste sich für Familien öffnen, der Staat müsste eine faire Familienpolitik fördern. Solange nicht geschätzt wird, was Frauen leisten, werden sie zur Manövriermasse politischer Strömungen. Heute müssen Mütter erwerbstätig sein, bleiben sie daheim, müssen sie sich rechtfertigen. Doch noch vor wenigen Jahren galt eine berufstätige Mutter als Rabenmutter.
Du?
Dafür kochst Du das Mittagessen!