Coronavirus
Fällt heute die Sperrstunde? Diese 4 Punkte muss der Bundesrat klären

Heute soll es einen weiteren Schritt in die Normalität geben. Der Bundesrat wird mit der angekündigten «besonderen Lage» weitere Massnahmen lockern. Vier Fragen stehen im Fokus.

Petar Marjanović / watson.ch
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Der Gesundheitsminister Alain Berset und die Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (beide SP) waren während der Krise gefordert.

Der Gesundheitsminister Alain Berset und die Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (beide SP) waren während der Krise gefordert.

Keystone

Der Bundesrat kündigte an, dass er am heutigen Freitag, 19. Juni, die ausserordentliche Lage beenden will und epidemiologisch zurück zur besonderen Lage wechseln will. Es ist ein Schritt, der mit den gesunkenen Corona-Fallzahlen absehbar war. Bedeuten tut das vor allem eins: Den Kantonen wird wieder eine stärkere Mitsprache gewährt, wenn es um die Bewältigung der Pandemie geht.

Sie werden heute mit dem Entscheid des Bundesrates wieder vermehrt selbst gewisse Massnahmen anordnen dürfen, die in der Zuständigkeit der Kantone liegen. Ganz ohne Bundesregeln wird es aber nicht gehen: Der Bundesrat hat vor einigen Tagen den Kantonen seine Pläne vorgestellt und um Feedback gebeten. Die Resultate werden heute vom Bundesrat präsentiert – dabei wird er vor allem folgende Punkte klären müssen.

1. Anzahl Personen bei Veranstaltungen

Vom gelockerten Veranstaltungsverbot profitierten auch Kinos und Zoos: Am 6. Juni erhielten die Tiere im Zürcher Zoo wieder Besuch.

Vom gelockerten Veranstaltungsverbot profitierten auch Kinos und Zoos: Am 6. Juni erhielten die Tiere im Zürcher Zoo wieder Besuch.

Keystone
  • Veranstaltungen: Sie sind heute möglich, wenn weniger als 300 Personen teilnehmen und ein Schutzkonzept vorgelegt wird. Die Obergrenze könnte heute auf 1000 Personen erhöht werden. (Zu den Demonstrationen, siehe unten)
  • Spontane Menschenansammlungen: Sie sind heute auf öffentlichen Plätzen oder Wiesen gestattet, falls es weniger als 30 Personen sind. Hier könnte es Lockerungen geben.

Eine Massnahme, die bereits in einem frühen Stadion der Pandemie beschlossen wurde, war das Verbot von Grossveranstaltungen. Die Obergrenze wurde Ende Februar auf 1000 gesetzt, auf 100 reduziert und zum Höhepunkt der Krise auf fünf Personen festgelegt. Mit den Lockerungen sind seit einigen Tagen Veranstaltungen von bis zu 300 Personen wieder möglich, spontane Menschenansammlungen von mehr als 30 Personen blieben jedoch verboten.

Hier soll es heute vom Bundesrat weitere Lockerungen geben. Entsprechende Andeutungen gab es von den Regierungsmitgliedern in den vergangenen Tagen mehrfach. Erwartet wird, dass der Bundesrat heute die Obergrenze für Veranstaltungen auf 1000 Personen erhöht. Diesen Antrag wird der SP-Bundesrat Alain Berset heute im Bundesrat stellen, hiess es in den Zeitungen der Tamedia.

2. Abstandsregel, Masken und Tracing-App

  • Abstand: Wer die Zwei-Meter-Regel nicht einhält, wird heute bereits nicht mehr gebüsst – für Schutzkonzepte blieb es aber der Standard. Diese Regel könnte auf 1,5 Meter gelockert werden.
  • Contact-Tracing-App: Der Bundesrat muss nach der Annahme des Parlaments entscheiden, ab wann die SwissCovid-App von der Bevölkerung legal genutzt werden kann.

Die Lockerungen beim Veranstaltungsverbot wird der Bundesrat mit der «Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger» begründen. Statt mit einschneidenden Verboten soll die Pandemie mit individuellen Massnahmen unter Kontrolle gebracht werden. Etwa mit der Contact-Tracing-App: Das Parlament gibt heute Freitag den gesetzlichen Segen dafür, und auch der Bundesrat wird zudem entscheiden, ab wann die SwissCovid-App von der breiten Bevölkerung genutzt werden darf.

In Richtung Selbstverantwortung geht es auch bei der Abstandsregel. Zwar gibt es keine Bussen mehr, von Arbeitgebern und Restaurants wird aber nach wie vor erwartet, dass der Zwei-Meter-Abstand eingehalten werden kann. Hier wird erwartet, dass der Bundesrat diese Abstandsregel lockert – laut Tamedia-Zeitungen steht ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern zur Debatte.

Und was ist mit der Maskenpflicht? Andeutungen, dass sowas auch für die Schweiz kommen könnte, gibt es keine. Anders als in Deutschland können Pendlerinnen und Pendler den öffentlichen Verkehr ohne Mundschutz nutzen. Das führt dazu, dass in internationalen Zügen auf deutschem Boden die Maske angezogen werden muss.

3. Polizeistunde im Ausgang

Mit dem Sommer und der «besonderen Lage» könnten sich Ausgangsmeilen wie die Zürcher Langstrasse wieder mehr füllen.

Mit dem Sommer und der «besonderen Lage» könnten sich Ausgangsmeilen wie die Zürcher Langstrasse wieder mehr füllen.

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  • Polizeistunde: Gastronomen müssen heute um Mitternacht ihre Türen schliessen. Dieses bundesrätliche Notrecht wäre in einer «besonderen Lage» nicht mehr möglich, die Bundessperrstunde dürfte heute fallen.

Weitere Lockerungen gibt es laut Zeitungsberichten auch bei der bundesrätlichen Polizeistunde: Restaurants, Clubs und Pubs mussten seit den Lockerungen jeweils um Mitternacht schliessen. Eine solche bundesrechtliche Regelung wäre in einer «besonderen Lage» nicht mehr möglich, da Öffnungszeiten von Gastronomie-Lokalen zur Kompetenz der Kantone gehören.

Fällt die bundesrätliche Polizeistunde, werden Kantone sich überlegen müssen, ob sie selbst aktiv werden. Hier könnte es zu einem Flickenteppich kommen: Dort, wo Ausgangsmeilen belebter sind, werden Kantonsregierungen strikter durchgreifen als in Dörfern, wo in Beizen und Pubs seltener nach Mitternacht ein reges Gedränge herrscht.

4. Demonstrationen

Die «Black Lives Matter»-Demonstration brachte am 13. Juni über 10'000 Menschen auf die Strassen.

Die «Black Lives Matter»-Demonstration brachte am 13. Juni über 10'000 Menschen auf die Strassen.

watson.ch
  • Demonstrationen: Die Versammlungsfreiheit wird heute bei mehr als 300 Personen eingeschränkt. Vollzogen wurde diese Regel wegen des Verhältnismässigkeitsgebots nicht von allen Kantonen.

Die Frage nach dem Demonstrationsrecht war während der Coronakrise eine hochpolitische Frage. Das Grundrecht auf Versammlungen durfte nicht absolut verboten, sondern nur verhältnismässig eingeschränkt werden. Dieses juristische Detail führte gar unter Regierungsräten zu Unstimmigkeiten. Polizeien reagierten bei grösseren Demonstrationen unterschiedlich, was auch zu politischer Kritik führte.

Sonnige Tage brachten bereits während der Coronakrise hunderte bis tausende Menschen auf die Strassen. Das Bedürfnis, sich durch Grossdemonstrationen Gehör zu verschaffen, dürfte in den Sommermonaten nicht kleiner werden. Der Bundesrat wird die Demo-Frage klären müssen, wenn er verhindern will, dass die Glaubwürdigkeit der Corona-Einschränkungen schwindet. Zeitungsberichten zufolge könnte ein solcher Entscheid erst nächste Woche kommen. Einen Zwang zu Lockerungen durch den Wechsel zur «besonderen Lage» gibt es nicht.

Coronakrise: Entwicklung in der Schweiz

Behörden werden aktiv: Im Januar reagieren die Schweizer behörden, sie erlassen unter anderem eine Meldepflicht für Verdachtsfälle.

Erster positiver Fall in der Schweiz: Am 25. Februar wird ein Tessiner positiv getestet.

Besondere Lage: Am 28. Februar 2020 ruft der Bundesrat die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz aus.

Ausserordentliche Lage: Am 16. März 2020 ruft der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» aus.

Erste Lockerung: Ein Grossteil der Notmassnahmen wurden am 11. Mai 2020 wieder aufgehoben.

Zweite Lockerung: Ab 6. Juni werden weitere Massnahmen gelockert. Per 19. Juni soll wieder die besondere Lage gelten.