Externe Untersuchung
Nach gravierenden Missständen in Genfer Heim: Kanton überdenkt Betreuung von Kindern mit Handicap

Eine externe Untersuchung entlastet die Genfer Bildungsvorsteherin im «Dossier Mancy». Doch die Kritik an ihr verstummt nicht. Derweil zeigt der Kanton auf, wie er Misshandlungen von Kindern künftig verhindern will.

Julian Spörri, Lausanne
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Blick auf das Kinderheim Mancy, das in Genf derzeit für Schlagzeilen sorgt.

Blick auf das Kinderheim Mancy, das in Genf derzeit für Schlagzeilen sorgt.

Martial Trezzini / Keystone

Kinder und Jugendliche waren in ihren Zimmern eingesperrt, wurden in ihren Exkrementen zurückgelassen oder an ihren Kleidern von einem Raum in den anderen gezerrt. Ein 13-jähriges Mädchen erhielt zudem eine Überdosis mit einem Medikament verabreicht, sodass sie hospitalisiert werden musste. Diese gravierenden Missstände in einem Genfer Heim für autistische Kinder und Jugendliche kamen in den vergangenen Wochen und Monaten ans Licht.

Nun wurden am Donnerstag die Resultate einer externen Untersuchung zum «Dossier Mancy» veröffentlicht. Sie kommt zum Schluss, dass die Missstände durch verschiedene Faktoren ermöglicht wurden, darunter eine schlechte Infrastruktur, unzureichend ausgebildetes Personal und eine ungenügende Kommunikation der verantwortlichen Personen. Es gebe Probleme, die spezifisch für das Heim Mancy seien, aber auch strukturelle Mängel bei der medizinisch-pädagogischen Dienststelle, heisst es im Bericht. Diese führt das Genfer Heim seit dem Juni 2018 und untersteht dem kantonalen Bildungsdepartement.

Untersuchungsbericht wird in Frage gestellt

Dem Bildungsdepartement selber lastet der Bericht kein Versagen an. Die externe Untersuchung nimmt damit die zuständige Staatsrätin Anne Emery-Torracinta (SP), die von Seiten SVP und FDP scharf kritisiert wurde, aus der Schusslinie. An der Medienkonferenz vom Donnerstag hielt die Bildungsvorsteherin fest, dass die Warnungen von der zuständigen Dienststelle nicht ernst genommen und ihr nicht weitergeleitet worden seien. Bereits in den vergangenen Wochen hatte sie stets betont, dass ihr Departement unverzüglich reagiert und zwei Strafanzeigen eingereicht habe, nachdem es über die Missstände informiert worden war.

SP-Staatsrätin Anne Emery-Torracinta anlässlich der Medienkonferenz.

SP-Staatsrätin Anne Emery-Torracinta anlässlich der Medienkonferenz.

Martial Trezzini / Keystone

Zum Befreiungsschlag vermag der externe Untersuchungsbericht der kantonalen Bildungsvorsteherin indes nicht verhelfen: «Für die SVP hat Anne Emery-Torracinta versagt. Sie gibt dies nicht zu und wirft ihrer Dienststelle vor, ihre Arbeit nicht erledigt zu haben», schreibt die Genfer SVP kurz nach der Medienkonferenz in einer Mitteilung. Kritisiert wird auch der Untersuchungsbericht, weil er von einer ehemaligen Kaderangestellten des Bildungsdepartements mitverfasst wurde, wie die Zeitung «Le Courrier» berichtete.

Kanton setzt künftig auf private Einrichtungen

An der Medienkonferenz hat der Kanton Genf zudem über die Massnahmen informiert, die er seit Bekanntwerden der Missstände ergriffen hat. Demnach wurden im Heim Mancy über 20 Sofortmassnahmen veranlasst, wie beispielsweise die konsequente Weiterbildung der Mitarbeitenden.

Eine Schliessung des Heims kommt laut einer Mitteilung des Kantons derzeit nicht in Frage. Denn in Genf gebe es eine «sehr starke Zunahme» der Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder mit einer Behinderung. Mittelfristig will der Kanton deshalb nun auf die Errichtung von kleinen Heimstrukturen setzen, die von Privaten verwaltet und von der öffentlichen Hand subventioniert werden. Ab dem Schuljahr 2022 sollen betroffene Familien zudem von einem neuen Projekt zur häuslichen Betreuung profitieren.