Europapolitik
Schwieriger Neustart mit Brüssel: In der zweiten Runde stockt es bereits

Die Hoffnungen auf ein schnelles Vorankommen in den Gesprächen mit der EU haben sich zerschlagen. Brüssel ist zwar zu gewissen Zugeständnissen bereit, hält aber weitgehend an den alten Forderungen zur Lösung der institutionellen Fragen fest.

Remo Hess, Brüssel und Stefan Bühler
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Auf schwieriger Mission: Schweizer Chefdiplomatin Livia Leu. (Archiv)

Auf schwieriger Mission: Schweizer Chefdiplomatin Livia Leu. (Archiv)

Bild: Keystone

Verhalten optimistisch, lautete das Fazit nach der ersten Gesprächsrunde zum Neustart der Verhandlungen mit der EU vor gut einem Monat. Die EU-Kommission hatte sich die Vorschläge von Staatssekretärin Livia Leu aufmerksam angehört und viele Fragen gestellt.

Nach der zweiten Gesprächsrunde am Mittwoch wurde klar, dass Brüssel noch viele weitere Fragen hat. Man könne zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, ob die Ansätze des Bundesrates eine akzeptable Grundlage für Verhandlungen seien, so ein EU-Sprecher nach dem Treffen.

Nach dem Aus des institutionellen Rahmenabkommens vor einem Jahr hat der Bundesrat entschieden, nochmals einen Anlauf mit der EU zu nehmen. Anstatt eines breiten Vertrags-Dachs sollten die institutionellen Fragen einzeln in den bilateralen Abkommen gelöst werden.

Was genau der Bundesrat anstrebt, ist geheim. Hinter den Kulissen war aber die Rede von Ausnahmen im Bereich der sozialen Rechte von EU-Bürgern und eine Streichung der Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beim Lohnschutz. Etwas, auf dem die Schweizer Gewerkschaften kategorisch beharren.

EU will nicht einzeln verhandeln, sondern einen gleichen Ansatz für alles

War es von der Schweiz noch als positives Zeichen gewertet worden, dass der sektorielle Ansatz nicht postwendend zurückgewiesen wurde, legt die EU-Kommission jetzt rhetorisch den Rückwärtsgang ein: «Das Ziel der EU ist ein systematischer Ansatz zur Lösung aller strukturellen Fragen auf die gleiche Art über alle Abkommen hinweg», schreibt die EU-Kommission in einer Stellungnahme.

Das betreffe die dynamische Rechtsübernahme, die gleichen Wettbewerbsbedingungen, die Streitschlichtung inklusive EuGH und regelmässige finanzielle Beiträge im Rahmen der Kohäsion. Weiter macht die EU klar, dass sie auch an der Guillotine-Klausel festhält, die besagt, dass alle bilateralen Abkommen hinfällig werden, sofern eines gekündigt würde.

Staatssekretärin Livia Leu betonte nach dem etwas mehr als dreistündigen Gespräch, dass es weiterhin «grosse Differenzen zu diskutieren gibt». Die Schweiz sei aber interessiert daran, Lösungen zu finden. Weitere Treffen wurden laut informierten Kreisen bis jetzt keine vereinbart. Gleichwohl sollen die Gespräche weitergehen.

Positive Signale: EU stellt Zugeständnisse bei Freizügigkeit in Aussicht

Obwohl ein Durchbruch nicht zu erwarten war, gab es in den letzten Tagen von beiden Seiten doch auch positive Signale: Die EU-Kommission habe erkannt, dass sie für einen Deal mit der Schweiz Zugeständnisse im Bereich der Freizügigkeit machen müsse, hiess es in Brüssel. Gerade im Bereich der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie sehe man zusätzlichen Spielraum.

Und auch in Bern hatte man das Gefühl, dass es plötzlich schnell vorwärtsgehen könnte: Bei idealem Verlauf könne bereits im Sommer ein neues Verhandlungsmandat vorliegen, das nach den Ferien den Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments vorgelegt werden soll. Dies sei derzeit das Ziel des Bundesrats, war zu hören.

Bereits in wenigen Tagen ist ein Gipfeltreffen der Gewerkschaften, Arbeitgeber und des Gewerbeverbands mit Justizministerin Karin Keller-Sutter anberaumt. Mario Gattiker, der ehemalige Staatssekretär für Migration, feilt seit Monaten daran, eine innenpolitische Basis für die künftigen Verhandlungen zu schaffen.

Parallel dazu arbeitete das Aussendepartement auf ein politisches Spitzentreffen von Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis mit dem zuständigen EU-Kommissar Maros Sefcovic hin. Dieses hätte Ende Mai am Weltwirtschaftsforum in Davos stattfinden können, nachdem es im Januar wegen Corona verschoben wurde.

Als Alternative wäre auch das Swiss Economic Forum am 2. und 3. Juni in Interlaken ein möglicher Termin gewesen. Ob es jetzt auch ohne Fortschritte in den Gesprächen dazu kommt, ist unsicher.

SP-Europapolitiker Eric Nussbaumer: «Nur Transparenz führt zum Ziel»

Enttäuschte Reaktionen gab es unterdessen aus dem EU-Parlament. «Anscheinend hat es Frau Leu nicht verstanden, deutlich zu machen, dass der Bundesrat bis zu den Wahlen ernsthaft eine Lösung will, obwohl eine Sonderregelung für die Freizügigkeit möglich gewesen wäre. Das ist schade», sagt Andreas Schwab, Leiter der Schweiz-Delegation.

Von Schweizer Seite sagt SP-Europapolitiker Eric Nussbaumer: «Der Bundesrat dringt mit seinen Ideen offensichtlich nicht durch. Aber es weiss ja auch niemand, was er konkret will. Mit Versteckis-Mentalität kommt man nicht ans Ziel. Nur Transparenz führt zum Ziel», so Nussbaumer.