Erstmals seit dem Aus des Rahmenabkommens trafen sich am Donnerstag Diplomaten der EU und des Bundes zu neuen Sondierungsgesprächen. Die Berner Delegation setzte auf Klartext.
Mehr als vier Stunden diskutierte die Schweizer Staatssekretärin Livia Leu am Donnerstag in Brüssel mit hohen EU-Beamten. Ihr Ziel: In sogenannt exploratorischen Gesprächen ausloten, ob es nach dem abrupten Aus des Rahmenabkommens vergangenes Jahr noch eine Möglichkeit gibt, die offenen institutionellen Fragen im Verhältnis zur EU zu lösen und den bilateralen Weg fortzuführen. Die nun aufgenommenen Gespräche sollen in neue Verhandlungen münden, und dies - wie es heisst - nicht erst nach den eidgenössischen Wahlen 2023, sondern rasch.
Aus Sicht der Schweizer Delegation sei es ein guter Start gewesen, war nach dem Treffen zu vernehmen. Demnach haben die von Staatssekretärin Livia Leu angeführten Berner Diplomaten die Vorschläge des Bundesrats vorgestellt. Diese sehen vor, dass die Übernahme von neuem EU-Recht sowie die Streitbeilegung im Bereich der bilateralen Abkommen in allen Verträgen einzeln, vertikal geregelt werden sollen. Zudem strebt er ein Paket mit mehreren Verträgen an, etwa zu Energie, Gesundheit und Forschung. Dadurch erhofft man sich in Bern bei der eigenen Bevölkerung eine grössere Akzeptanz für Kompromisse mit Brüssel zu schaffen, als dies beim abstrakten Rahmenabkommen der Fall war.
Die Diplomaten des Bundes signalisierten in Brüssel weiter, dass man zwar offen sei, im Bereich Streitbeilegung und Rechtsübernahme auf die Wünsche der EU einzugehen, dass es aber Probleme gebe und man in gewissen Bereichen Ausnahmen brauche. Chefdiplomatin Leu entspricht mit dieser Verhandlungsstrategie den Forderungen verschiedener Akteure in Bern, bei der EU nun keinesfalls Erwartungen zu schüren, welche man nachher nicht einhalten könne. Gerade bei der Personenfreizügigkeit müsse man Klartext reden, es brauche Ausnahmen und Schutzklauseln.
Mit den Vorschlägen habe man sich bei diesem ersten Treffen einen «first mover advantage» verschafft, glaubt man auf Seite des Bundes: Den Vorteil, dass nun Brüssel auf die Ideen reagieren müsse. In der Tat stellten die EU-Unterhändler im Rahmen des Gesprächs zahlreiche Fragen. Immerhin: «Njet» haben sie nicht gesagt zu den Ideen aus Bern.
Von Seiten der EU-Kommission hiess es nach dem Treffen, man habe sich über die diversen Elemente des bundesrätlichen Vorschlags unterhalten. So richtig den Durchblick hat man offenbar noch nicht: zusätzliche Klärungen von Seiten der Schweiz seien nötig, so ein EU-Sprecher. Auf Ende April ist eine weitere, zweite Diskussionsrunde vorgesehen. An ihren bekannten Kernforderungen hält die EU ausdrücklich fest.
Andreas Schwab, Leiter der Schweiz-Delegation im EU-Parlament, sprach am Donnerstag auf Anfrage auch von einer «Vertrauens-Basis», die sich nicht zuletzt aus der Übernahme sämtlicher EU-Sanktionen gegen Russland ergeben habe: «Ich bin vorsichtig optimistisch, dass man auf dieser Vertrauens-Basis alle Themen offen ansprechen kann, auch bei der Personenfreizügigkeit.»