EU-Zoff
Droht der Schweiz der Strommangel? Aufsichtsbehörde sieht erhebliche Risiken

Die Stromaufsichtsbehörde Elcom warnt: Wegen des Streits mit der EU und des zu langsamen Ausbaus der erneuerbaren Energien, ist die Strom-Versorgungssicherheit im Winter gefährdet.

Lucien Fluri
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Die Schweiz ist beim Strom stark vom Ausland abhängig.

Die Schweiz ist beim Strom stark vom Ausland abhängig.

KEYSTONE/Valentin Flauraud

Wenn die Schweiz jetzt nicht handelt, könnte sie künftig im Winter ein Problem mit der Stromversorgung bekommen. Davor warnt die Elcom, die eidgenössische Stromaufsichts- und Regulierungsbehörde. Grund dafür: Wenn die Atomkraftwerke dereinst abgestellt werden, ist das Land stärker als heute von Stromimporten abhängig. Doch diese sind nicht garantiert: Mit dem Abbruch der Verhandlungen um das Rahmenabkommen habe sich die Lage nochmals verschärft, sagt Werner Luginbühl, Elcom-Präsident und früherer Berner Ständerat. Denn mittelfristig werde es für die Schweiz kein Stromabkommen mit der EU geben.

Elcom-Präsident Werner Luginbühl fordert einen rascheren Ausbau der erneuerbaren Energien.

Elcom-Präsident Werner Luginbühl fordert einen rascheren Ausbau der erneuerbaren Energien.

Anthony Anex/Keystone

Für die Aufsichtsbehörde ist deshalb klar: Die Schweiz muss sich jetzt rasch Gedanken machen, wie sie die Produktion im eigenen Land schneller ausbauen kann; konkret: mehr Solar- und Windstrom sowie ein Ausbau der Wasserkraft. Zwar ist dies bereits im revidierten Stromversorgungs- sowie im Energiegesetz vorgesehen. – Die Vorlagen kommen demnächst ins Parlament. Doch die Elcom hält die dort festgehaltenen Ausbaupläne des Bundes für ungenügend. «Wir haben erhebliche Zweifel, ob die Ziele erreichbar sind», sagt Luginbühl. – Die Warnung der Elcom ist auch ein Aufruf ans Parlament, die bundesrätlichen Pläne zu verbessern. Sonst, so Luginbühl, werde die Schweiz in «nicht vertretbaren Mass» auf Importstrom angewiesen.

Die Nachbarländer haben selbst Importbedarf im Winter

Konkret geht die Elcom von mehr als 10 Terawattstunden Strom aus, die die Schweiz jeweils im Winterhalbjahr importieren müsste. Dies sei zwar unter normalen Bedingungen möglich. Das System müsse aber auch bei «unvorhergesehenen Stressfaktoren» funktionieren, so Luginbühl. Und da gibt es Zweifel: Im Winter 2016/17 habe man gesehen, dass die Situation angespannt sei, wenn die Exportbereitschaft der Nachbarländer eingeschränkt sei.

Die Elcom schliesst nicht aus, dass die Nachbarn künftig weniger Strom exportieren wollen. Denn der EU-Strommarkt verändert sich gerade grundsätzlich: Auch die Nachbarstaaten setzten stärker auf erneuerbare Energien. Wetterabhängige, unregelmässige Produktionsformen wie Wind und Sonnenenergie lösen die konstante lieferenden Gas-, Atom- oder Kohlekraftwerke ab. Nachbarländer rechnen deshalb damit, dass sie unter Umständen künftig im Winterhalbjahr selbst mehr Strom importieren müssen.

Die EU gesteht der Schweiz derzeit keine Vorteile zu

Gleichzeitig will die EU einen gemeinsamen Strommarkt von Estland bis Portugal aufbauen. Das gibt den einzelnen Ländern mehr Flexibilität: «Irgendwo scheint da immer die Sonne oder hat es Wind», sagt Luginbühl. Doch ob die Schweiz an diesem Markt teilhaben kann, ist ungewisser denn je. Bisher ging die Elcom davon aus, dass die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU abschliessen könnte. Nun, mit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen, ist dies dahin.

«Wir müssen uns deshalb gewisse grundlegende Gedanken zu unserer Selbstversorgungsfähigkeit machen.»

Zwar will die Schweiz mittels technischer Abkommen negative Auswirkungen auf das Stromnetz verhindern. Doch ob diese Abkommen zustande kommen, sei nicht gewiss. «Die EU achtet darauf, dass die Schweiz keine Vorteile erreichen kann.» Ohne diese Abkommen aber, so Luginbühl, könne der sichere Betrieb des Stromnetzes nicht gewährleistet werden: Denn ungeplante und kurzfristige Stromflüsse durch das Schweizer Netz würden zunehmen.

Könnte man nicht einfach die Atomkraftwerke länger laufen lassen?

Heute liefern die Schweizer Atomkraftwerke im Winterhalbjahr 14 der benötigten 32 Terawattstunden Strom. Grundsätzlich können die AKW so lange weiterlaufen, wie sie als sicher gelten; ein fixes Abschaltdatum für Beznau (Inbetriebnahme 1969) oder Gösgen (1974) gibt es nicht. Doch Luginbühl warnt:

«Je älter die AKW werden, desto grösser werden die Risiken, dass unvorhergesehene Abschaltungen notwendig werden.»

Zudem würden die Investitionen teurer. Auch deshalb müsse mit dem Ausbau der Erneuerbaren jetzt rasch vorwärts gemacht werden. Denn es dauere aufgrund von Beschwerdeverfahren bekanntlich «unglaublich lange», bis Staumauern erhöht oder Windräder gebaut werden können. Luginbühls Fazit: Wenn die Politik das Problem jetzt nicht angehe, «haben wir früher oder später ein Problem».