Startseite
Schweiz
Der Bundesrat hat nun drei Jahre Zeit, Kontingente einzuführen. Die EU wird eng verfolgen, wie die Schweiz dabei vorgeht. Im schlimmsten Fall kündigt Brüssel die bilateralen Verträge.
So etwas kommt nur ganz selten vor: Die Schweiz ist in den Nachrichtensendungen unserer Nachbarstaaten das Hauptthema. Und auch auf den Onlineportalen und in den Zeitungen von heute ist das hauchdünne Ja des Stimmvolks zur Masseneinwanderungsinitiative ein Topthema. Die Freude ist insbesondere bei Rechtspopulisten gross. Diese wollen die Schweizer Abstimmung dazu nutzen, die Freizügigkeit vor den Europawahlen vom Mai zu thematisieren.
Mit Bedauern reagierten die EU-Kommission in Brüssel und die deutsche Regierung in Berlin. Man warte nun ab, wie die Schweiz vorzugehen gedenke. Brüssel stellt aber klar: Die Personenfreizügigkeit ist als Grundprinzip der EU «unverhandelbar». Im schlimmsten Fall droht die Kündigung der bilateralen Verträge.
Innenpolitisch geht es nun darum, rasch ein Gesetz für Kontingente auszuarbeiten. Das Bundesamt für Migration hat bereits entsprechende Vorarbeiten geleistet. An seiner Sitzung vom Mittwoch soll der Bundesrat dem Vernehmen nach erste Weichen stellen. Kniffligste Frage ist, wie hoch die Kontingente sein sollen und wer diese definiert.
Unklar ist auch, wie die Kontingente auf Kantone und Branchen verteilt werden sollen. Zudem muss ein Modus gefunden werden, wie Schweizer bei der Arbeitssuche künftig bevorzugt werden können. SVP und FDP plädieren dafür, jetzt primär die Einwanderung aus Drittstaaten drastisch zu reduzieren.
Sichtlich konsterniert traten gestern gleich vier Mitglieder der Landesregierung vor die Presse. Sie erklärten, wie die Initiative nun umgesetzt wird. Innenpolitisch geht es um die rasche Einführung von Kontingenten und Höchstzahlen für alle Bereiche des Ausländerrechts. Betroffen davon sind also Zuzüger, Asylbewerber und Grenzgänger. Gleichzeitig muss der Bundesrat das Gespräch mit Brüssel suchen, wie es in den bilateralen Beziehungen weitergehen soll.
Wer definiert Kontingente?
Der Initiativtext lässt viele wichtige Fragen offen und gibt damit dem Bundesrat Handlungsspielraum. Unklar ist etwa, wie gross die Kontingente sein sollen. Die SVP fordert, dass die Einwanderung substanziell reduziert werden muss. Ansetzen will man primär bei der Einwanderung aus Drittstaaten, die notabene gar nicht Gegenstand der Abstimmung war. «Hier müssen endlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden», sagt der Bündner SVP-Migrationsexperte Heinz Brand.
Auch die FDP teilt diese Forderung. In einem nächsten Schritt sollen laut Brand die materiellen Anforderungen etwa beim Familiennachzug auch für EU-Bürger deutlich verschärft werden. «Wir müssen die Einwanderung jener drastisch einschränken, die nicht arbeiten», sagt Brand. Erst als letztes Mittel soll die Einwanderung von Arbeitskräften falls nötig mit Quoten reduziert werden.
Unklar ist weiter, wer die Kontingente definiert - Bundesrat, Parlament oder Sozialpartner und Kantone - und wie diese auf Kantone oder Branchen aufgeteilt werden. Auch muss der Inländervorrang bei der Besetzung von Arbeitsstellen geregelt werden. Die Initianten sind in diesem Punkt nicht präzise. SVP-Präsident Toni Brunner will die Arbeitgeber verpflichten, zuerst Inländer anzustellen, ehe im Ausland rekrutiert werden darf.
Unter Inländern sind auch Deutsche oder Italiener gemeint, die bereits in der Schweiz leben. Im Initiativtext ist aber wörtlich von einem «Schweizervorrang» die Rede. Dies bedeutet, dass eigentlich nur Bürger mit einem roten Pass bei der Arbeitsvergabe privilegiert werden können.
Die federführende Justizministerin Simonetta Sommaruga kündigt an, rasch vorwärtszumachen. Dem Vernehmen nach soll der Bundesrat bereits übermorgen Mittwoch erste Entscheide fällen. In erster Linie geht es darum, das Vorgehen festzulegen. Offenbar soll das Kontingentsgesetz nicht in einer Arbeitsgruppe, sondern im Justizdepartement ausgearbeitet und dann noch dieses Jahr in die Vernehmlassung geschickt werden. 2015 wäre dann bereits das Parlament am Zug.
Brüssel wartet ab
Der Bundesrat ist auch an der europapolitischen Front gefordert. Er wird parallel zum Gesetzgebungsprozess im Inland das Gespräch mit Brüssel suchen müssen. Dabei geht es darum, auszuloten, ob die EU überhaupt bereit ist, mit der Schweiz neu über die Personenfreizügigkeit zu verhandeln. Erste Reaktionen aus Brüssel geben wenig Anlass zu Hoffnung: Die Personenfreizügigkeit als Grundprinzip sei «unverhandelbar», teilte ein Sprecher der EU-Kommission mit.
Laut EU-Experte Dieter Freiburghaus wird Brüssel aber pragmatisch bleiben und zuerst abwarten, was die Schweiz konkret vorschlägt. Weigert sich die EU, mit der Schweiz zu verhandeln, passiere aber immer noch nichts. Bis es zu einer Kündigung der Personenfreizügigkeit und - wegen der Guillotine-Klausel - der Bilateralen I komme, brauche es eine konkrete Vertragsverletzung durch die Schweiz. Für wahrscheinlicher hält Freiburghaus deshalb, dass die EU die Schweiz piesackt. So könnte Brüssel etwa als Vergeltung den Zugang von Schweizern zum europäischen Arbeitsmarkt sukzessive erschweren.
Auf Eis gelegt werden wohl die geplanten Verhandlungen im institutionellen Bereich. Dies hat zur Folge, dass das Energieabkommen und weitere geplante Verträge bis auf weiteres nicht zustande kommen werden.