Angeführt von den Freiheitstrychlern marschierten am Donnerstagabend 3000 bis 4000 Demonstranten durch Bern. Das Bundeshaus war wie eine Festung abgeschirmt. Und doch kam es zu Problemen auf dem Bundesplatz. Ein Augenschein.
Als ich um 19.28 Uhr von Zürich her Bern erreichte, schien alles wie immer. Geschäftsleute kehrten von der Arbeit in die Hauptstadt zurück. Erst auf der Rolltreppe zum Bahnhofplatz wurde klar, dass da etwas anders ist. Es waren die Rufe «Liberté, Liberté, Liberté» zu hören. Immer wieder.
Es müssen Tausende von Menschen gewesen sein, die zur Demonstration gegen die ausgeweitete Zertifikatspflicht angereist waren und auf dem Platz warteten. Ich ging durch die Menge und lief in Richtung Medienzentrum.
Doch in der Bundesgasse, die Richtung Medienzentrum und Bundeshaus führt, war Schluss. Polizisten in voller Kampfmontur mit schweren Helmen errichteten eine Sperre. Es gebe eine unbewilligte Demonstration, sagte ein Polizist. Deshalb die Sperre. Es gab kein Durchkommen.
Über den Hintereingang kam ich trotzdem ins Medienzentrum, wo ich mein Büro habe. Durch ein Fenster sah ich Jugendliche, die sich vor dem Aussen- und Justizministerium versammelt hatten. Es lag innerhalb der Sperre zum Bundeshaus. Die Polizei kam - und schickte sie kurzerhand weg.
Damit war klar: Die Berner Kantonspolizei ging von einer ernsthaften Bedrohungslage aus. Das zeigte auch der Gang auf den Bundesplatz.
Die Atmosphäre war ruhig, aber gespenstisch. Drei weisse Kastenwagen der Polizei standen auf dem Bundesplatz. Das Bundeshaus selbst war durch einen über zwei Meter hohen massiven Eisenzaun von der Nationalbank bis hin zur Berner Kantonalbank geschützt.
Inzwischen war der Zug der unbewilligten Demo zu sehen und zu hören. Die Demonstrierenden marschierten via Spitalgasse und Marktgasse in Richtung Zytglogge, am Bärenplatz vorbei - und damit auch am Bundeshaus. Vorne weg marschierten die Freiheitstrychler.
Zwischen 3000 und 4000 Personen schlossen sich dem Zug an. Immer wieder skandierte die Menge «Liberté, Liberté, Liberté». Die Stimmung wirkte aggressiv, selbst wenn am Schluss des Zugs auch noch hinduistische Hare-Krishna-Mönche mitmarschierten und sangen. Verdutzte Touristen fragten, was hier passiere.
Rund um den Bundesplatz lag ein Hauch von Revolution in der Luft. Die drei Kastenwagen der Polizei verliessen plötzlich mit Blaulicht den Bundesplatz in Richtung Zytglogge. Später kehrten sie zurück, warteten einen Moment - und fuhren dann in Richtung Waisenhausplatz. Dort liegt die Wache der Kantonspolizei.
Alles schien friedlich über die Bühne zu gehen. Ich ging nach Hause. Auf Twitter nahm ich dann zur Kenntnis, dass der unbewilligte Demonstrationszug doch noch vor das Bundeshaus kam.
Auf einem Tweet von Nicolas A. Rimoldi von der Jugendbewegung Mass-Voll war die Menschenmenge zu sehen, die sich auf dem Bundesplatz eingefunden hatte. «Das Volk hat genug!», schrieb Rimoldi.
Das Volk hat genug! ✊🏻💜 pic.twitter.com/1A2HtvP3Po
— Nicolas A. Rimoldi 💜 (@narimoldi) September 16, 2021
Gemäss Medienberichten rüttelten dann etwa 200 Personen am Gitter und erkletterten es teilweise. «Auf dem Bundesplatz wird weiter gegen die Sperre gedrängt und Feuerwerk gegen das Bundeshaus gezündet», schrieb die Kantonspolizei auf Twitter. «Wir setzen den Wasserwerfer ein. Die Demo wird nun polizeilich aufgelöst.»
Reto Nause, der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern, hielt in einem Tweet fest: «Polizei verhindert möglichen Sturm aufs Bundeshaus. Heikler Einsatz an aggresiver Massnahmen-Skeptiker-Demo. Danke für das Vorgehen!»
Inzwischen wirft Nicolas A. Rimoldi Nause Brandstiftung vor. «Geht's noch?», schreibt der Mass-Voll-Präsident. «Diese Brandstiftung ist völlig verantwortungslos.»
Geht's noch? Nause spielt mit dem Feuer. Diese Brandstiftung ist völlig verantwortungslos. https://t.co/G4C6PgCuf1
— Nicolas A. Rimoldi 💜 (@narimoldi) September 16, 2021
Nur: Bilder und Stimmung erinnern an den Sturm des Capitols in den USA. Die Frage stellt sich: Was wäre passiert, wenn die Berner Kantonspolizei nicht so gut vorbereitet gewesen wäre? Einen Hinweis darauf gibt die Tatsache, dass der Eisenzaun offenbar massiv beschädigt wurde - und es waren auch Schrauben gelöst worden.