Europapolitik
Es droht eine Eskalation mit der EU: Das Parlament steckt in der Kohäsionsfalle

Der Streit zwischen der Schweiz und der EU droht zu eskalieren. Im Parlament stellt man sich nun die Frage, wie es mit der neuen Kohäsionsmilliarde weitergehen soll.

Doris Kleck
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Der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann.

Der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann.

Keystone

Den Humor hat Karin Keller-Sutter nicht verloren: «Geht es um die EU, geht in der Schweiz der Alarm ab.» Kurz bevor die Bundesrätin gestern ein Kommissionszimmer im Bundeshaus verliess, wurde der Lift blockiert und die Brandschutztüre hochgefahren.

Die Justizministerin musste sich einen anderen Weg suchen. Die Situation mit der EU ist tatsächlich angespannt. Die Ratlosigkeit im Parlament ist gross. Tags zuvor hatte die EU-Kommission entschieden, die Anerkennung der Schweizer Börse vorläufig nicht zu verlängern, weil sie keine Fortschritte beim Rahmenabkommen sieht.

Aufgrund der angespannten Lage wollte die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrates ein positives Signal nach Brüssel schicken. Sie diskutierte im Beisein von Keller-Sutter die Begrenzungs-Initiative der SVP. Bei einem Ja zum Volksbegehren hätte der Bundesrat ein Jahr Zeit, um mit der EU die Beendigung der Personenfreizügigkeit auszuhandeln.

Gelingt das nicht, müsste er das Abkommen kündigen. Die APK spielt in diesem Dossier nur eine Nebenrolle. Bei der Sitzung ging es um einen ­Mitbericht. Die Aussenpolitiker empfehlen der federführenden Staatspolitischen Kommission, die Initiative abzulehnen. «Unser Nein ist ein Ja zum bilateralen Weg», sagte APK-Präsidentin ­Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP).

Ob die EU-Kommission das Zeichen empfangen hat, sei dahingestellt. Im Parlament glaubt auf alle Fälle kaum jemand mehr daran, dass die EU die Schweizer Börse doch noch als gleichwertig anerkennen wird. «Die Situation ist komplett blockiert», sagt SP-Aussenpolitiker Eric Nussbaumer.

Angst vor der Eskalation

Das Problem sehen dabei viele Beobachter nicht bei der Schweizer Börse; der Bundesrat hat sich einen Notfallplan für die Nicht-Anerkennung ausgedacht. Als problematisch wird vielmehr die drohende Eskalationsspirale angesehen. Denn nicht nur die EU hat sich ein Druckmittel ausgedacht, sondern auch das Bundesparlament.

Was für die EU die Börsenäquivalenz ist, ist für Bern die Kohäsionsmilliarde. Während zehn Jahren soll Bern rund 1,3 Milliarden Franken investieren, um die sozialen Ungleichheiten in der EU zu mindern. Es ist das Eintrittsgeld für die Teilnahme am europäischen Binnenmarkt.

Beide Kammern haben im Grundsatz Ja gesagt zum Kohäsionsbeitrag. Die Frage ist noch, wohin die Gelder genau fliessen sollen. Das Geschäft könnte in der Septembersession zu Ende beraten werden. Doch so weit soll es nicht kommen. Hinter den Kulissen laufen Gespräche, um den definitiven Entscheid in die Dezembersession zu verschieben, «weil zu viel auf dem Spiel steht», wie es ein Politiker formuliert.

Denn die beiden Räte haben bereits zugestimmt, dass die Zahlung nur unter einer Bedingung erfolgen kann: Die EU darf keine diskriminierenden Massnahmen gegen die Schweiz erlassen. In dieser Logik darf das Parlament der Kohäsionsmilliarde nicht zustimmen, wenn die EU die Börsenäquivalenz Ende Juni nicht verlängert.

FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sagt es deutlich: «Wir können die Zahlung nicht freigeben, solange das Verhältnis zur EU nicht geregelt ist.» Das Problem dabei: «Lehnt das Parlament die Kohäsionszahlung im September ab, entsteht ein grosser Flurschaden.» Das Druckmittel der Kohäsionsmilliarde werde zur Last, sagt der freisinnige Aussenpolitiker: «Das Parlament sitzt in der Falle.»

Die Innenpolitik ist das Problem

SP-Nationalrat Nussbaumer spricht in Bezug auf den Kohäsionsbeitrag davon, dass das Parlament «vorsichtig weiterarbeiten müsse». Er sagt aber auch: «Wir sitzen nicht in der Kohäsionsfalle, sondern in einer europapolitischen Falle.»

Die Schweiz habe ein aussenpolitisches Problem mit der EU, weil sie nicht in der Lage sei, innenpolitisch eine Lösung zu finden: «Die Schweiz kann der EU nicht sagen, wie es weitergehen soll», sagt der Aussenpolitiker. Solange die Sozialpartner darauf beharren, dass der Lohnschutz von der dynamischen Rechtsentwicklung ausgeschlossen werden müsse, komme man nicht zu einem Ziel.

Die Situation sei sehr schwierig. «Vielleicht gibt es nach den Sommerferien noch einmal ein Zeitfenster, um bis Ende Oktober eine Lösung zu finden. Sonst ist das Rahmenabkommen erledigt und der europapolitische Weg für Jahre blockiert», sagt Nussbaumer.