Coronakrise
«Es brodelt in der Wirtschaft»: So lief die Präsidenten-«Arena» zur Lockdown-Lockerung

Die Parteipräsidenten debattierten in der «Arena» über die ersten Lockerungsschritte in der Coronakrise. Es ging um Masken und Mieten, aber richtig disharmonisch wurde es nie.

Peter Blunschi
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Die Parteipräsidenten in der publikumslosen «Arena».

Die Parteipräsidenten in der publikumslosen «Arena».

Screenshot SRF

Einen Monat nach der Verhängung der «ausserordentlichen Lage» zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hat der Bundesrat erste Massnahmen zur Lockerung des Lockdowns beschlossen. Macht er zu viel, zu wenig oder gerade genug, fragte «Arena»-Moderator Sandro Brotz die Präsidenten und die Präsidentin der vier Bundesratsparteien.

Es war bereits die neunte «Arena» – inklusive Sondersendungen – ohne Publikum. Er habe sich schon fast daran gewöhnt, meinte Brotz. Er sei aber auch froh, «wenn es nicht mehr so ist». Bei seinen Gästen rannte er damit offene Türen ein: Alle vier vermissen unisono die menschlichen Kontakte. «Irgendwann ist genug mit Videokonferenzen», meinte SP-Präsident Christian Levrat.

Das fehlende Publikum wirkte sich auf die Stimmung aus. Sie blieb mau. Richtig in Fahrt kam die Debatte selten. Einen ersten Akzent setzte der zugeschaltete Epidemiologe Marcel Salathé von der ETH Lausanne. Er fand, der Bundesrat befinde sich «auf dem richtigen Weg». Gefehlt hätten ihm mehr Details zu den Schutzmassnahmen. «Es braucht sie, sonst kommt die nächste Welle.»

Perspektiven für Gastronomie

Die stärkste Kritik kam von der SVP. «Am 1. April hatten wir den Höhepunkt der Fallzahlen», stellte Präsident Albert Rösti fest. Deshalb hätte die Öffnung eine Woche früher erfolgen können. Gerhard Pfister, dessen CVP die Linie des Bundesrats mitträgt, verteidigte hingegen das gestaffelte Vorgehen. Am 11. Mai könnten alle Geschäfte wieder öffnen, «aber wir müssen vorsichtig bleiben».

FDP-Chefin Petra Gössi vermisste Perspektiven für Bereiche wie die Gastronomie oder die Grenzöffnung. «Es brodelt in der Wirtschaft, bei den Leuten, im Gewerbe», meinte die Schwyzerin. Als stossend empfänden viele, dass kleine Geschäfte vorerst nicht öffnen, Migros und Coop aber das gesamte Sortiment anbieten könnten. Diese Kritik kann selbst Levrat nachvollziehen.

Petra Gössi über die Öffnung der Geschäfte:

«Man kann einen genaueren Fahrplan wünschen, aber das ist mit vielen Unsicherheiten verbunden», sagte der Freiburger Ständerat. Es handle sich um «Shooting on a moving target». Als abschreckendes Beispiel nannte Levrat das lange als Vorbild gefeierte Singapur und das nun einen Lockdown verfügt habe: «Singapur befindet sich mitten in einer zweiten Welle».

«Tausende könnten Konkurs gehen»

«Wir haben deutlich mehr Kapazität in den Spitälern, als wir vor fünf Wochen geahnt haben», sagte hingegen SVP-Chef Rösti.: «Es kann nicht angehen, dass der Detailhandel 14 Tage vor den Fachgeschäften öffnen kann. Es kann nicht angehen, dass man die Gastrobranche im Ungewissen lässt. Tausende Betriebe könnten Konkurs gehen.»

Albert Rösti kritisiert den Fahrplan:

Auch der zugeschaltete GLP-Präsident Jürg Grossen brach eine Lanze für die kleinen Läden. Als Vorbild verwies er auf die Bäckereien, die als Teil der Grundversorgung gelten und deshalb geöffnet bleiben: «Sie haben Schutzmassnahmen ergriffen, die bestens funktionieren.»

Was zu einem Thema führte, das längst zum Corona-Dauerbrenner geworden ist: Braucht es Schutzmasken oder nicht? Er erhalte «unzählige Mails» mit dieser Frage, sagte Sandro Brotz. Marcel Salathé sprach Klartext: «Es gibt starke Evidenzen, dass Masken etwas bringen. Die Übertragung findet ein bis drei Tage vor einer Erkrankung statt, deshalb müssen Masken unbedingt auf den Tisch.»

Gerhard Pfister zur Schulöffnung:

«Masken soll man einsetzen, wenn es sinnvoll und möglich ist», meinte CVP-Präsident Pfister. Als ehemaliger Inhaber einer Privatschule sprach sich der Zuger klar für die Öffnung der Schulen am 11. Mai aus. Der Bundesrat müsse aber sagen, wie die Kinder geschützt werden. «Es sind viele Fragen offen, Wie viele Kinder sollen im Schulzimmer sitzen, was macht man in der Freizeit?»

Wer zahlt die Mieten?

Bei Ralf Inderbitzin, Sekundarschullehrer in Meilen (ZH), rannte er offene Türen ein: «Wir freuen uns, dass der Unterricht weitergeht und würden gerne sofort zum Normalzustand zurückkehren, aber das geht nicht.» Auch Petra Gössi zeigte sich «extrem dankbar» für die geplante Schulöffnung: «Mir geht es um die Chancengleichheit. Man muss die Kinder wieder zusammenbringen.»

Marcel Salathé zur Maskenfrage:

Ein weiteres Reizthema sind die Mieten, die viele Gewerbetreibende weiterhin zahlen müssen, obwohl sie wenig oder gar keinen Umsatz mehr haben. «Der Mietzins beschäftigt mich am meisten», bestätigte der Aargauer Gastronom Daniel Grüter. Er skizzierte einen Lösungsvorschlag: «Mieter und Vermieter sollen je 40 Prozent zahlen und der Bund 20 Prozent.»

Gastwirtschaft und Läden sollen also mindestens einen Teilerlass erhalten. Pikanterweise hatte der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser dies vor zwei Wochen gefordert. Brotz konfrontierte Gössi damit, doch sie antwortete ausweichend: «Viele Hauseigentümer machen das von sich aus, Wir wollen, dass der Bundesrat mit den Branchenverbänden griffige Lösungen findet.»

Gastronom Daniel Grüter und sein Mietvorschlag:

Christian Levrat will den Bundesrat zwingen, einen Mieterlass herauszuholen. Für Albert Rösti hingegen ist die beste Lösung, «dass Herr Grüter wieder arbeiten kann». Ein Mieterlass löse das Problem nicht. Gerhard Pfister wiederum sprach sich ganz CVP-konform für einvernehmliche Lösungen aus. «Es ist dumm, wenn ein Vermieter seinen Mieter in den Konkurs zwingt.»

Contact Tracing «kein Wundermittel»

Die aus dem Homeoffice eingespielte Grünen-Präsdentin Regula Rytz erwähnte als Beispiel ihre Coiffeuse: «Sie will keinen Kredit, weil sie sich nicht verschulden will.» Ihr Vermieter, eine grosse Immobilienfirma, finde hingegen, die Politik müsse das regeln. Der Bundesrat oder das Parlament müssten deshalb Klarheit schaffen, findet Rytz: «Kleine Betriebe sollen keine Miete zahlen.»

Schliesslich brachte Sandro Brotz das Contact Tracing ins Spiel, die Rückverfolgung von Infektionsketten mit einer App. Für den ETH-Epidemiologen Marcel Salathé ist es «kein Wundermittel, aber ein essenzieller Teil». Er hat sich gerade aus einem Projekt zurückgezogen, das zu wenig transparent sei: «Die Politik muss Transparenz schaffen, damit die Leute mitmachen.»

Die Reichen sollen zahlen

Für die Schweiz sei ein solches System «kulturfremd», fand Christian Levrat von der traditionell überwachungskritischen SP. Angesicht der medizinischen Herausforderung ist aber auch er nicht völlig gegen das Contact Tracing: «Wenn die Wissenschaft sagt, dass es nötig ist, wenn es funktioniert, freiwillig ist und der Datenschutz geregelt ist, soll man diesen Weg gehen.»

Christian Levrat will die Reichen zur Kasse bitten:

Das war für Sandro Brotz schon fast zu viel der Harmonie. «Ist die anfängliche Solidarität der Parteien nicht weggebrochen?», fragte er provokativ. «Es gibt immer noch eine starke Kohäsion, aber die Geschlossenheit wird bei der Frage brechen, wer die Kosten trägt», meinte SP-Chef Levrat. «Wir finden, die reichsten 10 Prozent sollen für einige Jahre einen Solidaritätsbeitrag leisten.»

Das bürgerliche Lager mochte auf diese Provokation nicht einsteigen, auch weil die Sendezeit längst überschritten war. SVP-Präsident Rösti fasste es zusammen: «Vor vier Wochen mussten wir alle am gleichen Strick ziehen. Aber jetzt sind wir wieder Parteien. Es braucht den Wettbewerb.» Dieser dürfte spätestens zum Auftakt der Sondersession am 4. Mai mit voller Wucht einsetzen.