Uriella – Oberhaupt der Sekte Fiat Lux – nannte sich das Sprachrohr Gottes. Nun ist sie 90-jährig gestorben. Autor Beat Kraushaar hat Uriella mehrmals getroffen – ein Nachruf.
Uriella, das selbsternannte Sprachrohr Gottes, ist tot. Ruhe in Frieden, möchten wir normal sterblichen ihr wünschen. Ein frommer Wunsch. Für ihre Sektenanhänger ist die Nachricht vom Ableben Uriellas eine Fake News. Das unangefochtene Oberhaupt des Ordens Fiat Lux (es werde Licht) ist für sie unsterblich.
Uriella wird weiterleben, oder in der Logik von Fiat Lux wiederauferstehen. Alles andere wäre der Untergang und Ende der Sekte. Uriella alias Erika Bertschinger-Eicke verkündete zwar mehrfach den Weltuntergang, wobei Fiat Lux Mitglieder durch Ausserirdische mit Raumschiffen hätten gerettet werden sollen. Aber da Uriella nie behauptete, dass mit ihrem Tod die Welt untergeht, müssen ihre Anhänger weiterhin auf die Ankunft der Raumschiffe warten.
Die Fiat-Lux Gemeinde ist auf die Zeit nach Uriellas Tod schon lange vorbereitet. Bei einem vor Jahren geführten Gespräch verriet mir ihr Ehemann Icordo, dass Uriella erdbestattet wird und einen Grabstein bekommen soll. Weil Uriella als Sprachrohr Gottes die höchste geistige Sphäre erreicht hat, darf sie nach ihrem Tod im Paradies bleiben. So sehen es auf jeden Fall Icordo und die Sektenmitglieder. Sie glauben fest an ihre Wiedergeburt. Gut möglich also, dass Uriella vom Paradies aus göttliche Botschaften über ihren Ehemann an die Sektenanhänger sendet. Nichts ist bei Fiat Lux unmöglich. Immerhin hat Icordo behauptet, er sei im 15. Jahrhundert der Zürcher Reformator Zwingli gewesen.
Für die nicht von Uriella erleuchteten Erdbewohner mag das Sprachrohr Gottes eine schrullige immer ganz in weiss gekleidete Scheinheilige gewesen sein. Aber ganz so harmlos war die Wunderheilerin nicht. Ich kann mich erinnern, dass ich vor vielen Jahren beim Pilzsammeln durch das im Schwarzwald gelegen Ibach/Lindau fuhr. Dabei kreuzte ich eine nicht enden wollende Kolonne von parkierten Autos, alle in weisser Farbe. Massenhaft strömten in weisse wallende Kleider gehüllte Frauen und Männer Richtung „Heiligtum“, um die neuesten göttlichen Botschaften von Uriella zu empfangen. Die Farbe weiss ist bis heute Pflicht - da diese den Strahl von Luzifer abwehrt.
Die Erleuchtung hat Uriella sprichwörtlich 1973 getroffen. Nach einem Reitunfall erlitt sie schwere Kopfverletzungen. Danach behauptet sie „hellsehend“ zu sein, und nannte sich seither Uriella. 1980, nach dem Tod ihres ersten Mannes, gründete sie in Egg ZH den Orden Fiat Lux. Dort verkündete sie ihrer zahlreichen Anhängerschaft, dass sie in Kontakt mit dem Erzengel Uriel stehe, der ihr schon viele Male erschienen sei. Und als Sprachrohr Gottes empfange sie Offenbarungen direkt von Jesus oder Maria. Zu ihrer Blütezeit zählte die Sekte Fiat Lux bis zu tausend Anhänger.
Ende der 90er Jahren zogen dann dunkle Wolken über der Sekte auf. Die damals 69-jährige Uriella wurde wegen Steuerhinterziehung in über 280 Fällen zu 22 Monaten auf Bewährung verurteilt. Dabei ging es um Medikamentenschmuggel in grossem Stil von der Schweiz nach Deutschland. Für Uriella und ihre Anhänger war die Verurteilung ein Skandal. Schliesslich hat Jesus persönlich die Medizin via sein göttliches Sprachrohr empfohlen. Man hat also quasi im Auftrag des Heilands gehandelt. Aufs Glatteis begab sich die Sektengöttin auch als Geistheilerin. Vor allem weil ihre Anhänger glaubten sie könne auch unheilbare Krankheiten wie Krebs heilen. Dabei verabreichte man an Kranke auch das „Athrum-Wasser“, dass Uriella, angeblich in Trance mit einem Silberlöffel, zubereitete. Die Zürcher Gesundheitsdirektion stellte 1989 fest, dass das „Heilwasser“ mit Bakterien und Schimmelpilzen kontaminiert war.
Die zunehmende Kritik am selbsternannten Sprachrohr Gottes und die nicht erfolgten Weltuntergangs-Prophezeiungen führten dazu, dass die Anhängerzahl schrumpfte. Ende der 90er Jahre versuchte die Sekte noch einmal an Einfluss zu gewinnen. Icordo kandidierte erfolgreich an der Spitze einer Wahl-Liste von Fiat Lux Anhänger um einen Sitz im Ibacher Gemeinderat. Während des Wahlkampfes kamen Befürchtungen auf, dass Fiat Lux mit ihrer Wahlliste die Macht im Dorf übernehmen könnte. Danach wurde es ruhiger um Uriella und ihren vierten Ehemann. Die beiden machten nicht mehr mit Prophezeiungen von Weltuntergängen, sondern vor allem durch skurrile Fernsehauftritte und Interviews auf sich aufmerksam.
Nach meiner vor Jahrzehnten erfolgten Begegnung mit Fiat Lux im Schwarzwald, begleitete ich Uriella fast zehn Jahre lang als Journalist. Ich war dabei als das bereits erkrankte Sprachrohr Gottes ihre Villa, das einstige Sektenzentrum in Egg (ZH) verkaufen musste. Im Garten stand noch immer ein Gipsjesus und diverse Plastikengel herum, die nach dem Verkauf nach Ibach gezügelt wurden. Ich war in ihrem Haus in Schwellbrunn (AR), dass von Dutzenden Gartenzwergen bewacht wurde. Und zuletzt veröffentlichte ich das Interview, “Uriella auf dem Weg ins Paradies“, dass ich mit Icordo im Zentrum Ibach führte. Sie war damals todkrank. Und selbst Sektenmitglieder gaben ihr nur noch wenig Zeit zum Leben. Damals liess ihr Jesus ausrichten, dass „ihr Leben auf Messers Schneide“ stehe. Das war vor 10 Jahren.
Und ich gebe zu, bis ich gestern vom Tode von Uriella erfahren habe, war ich mir fast sicher, dass sie schon einige Zeit nicht mehr lebte und irgendwo einbalsamiert wurde. Dass man ihren Tod verheimlicht, damit die Sekte weiterleben kann. Ich war nicht der Einzige mit dieser Meinung.
Aber ganz besonders bei Uriella gilt: Totgesagte leben länger. „Wenn ich diese Erde einmal verlasse, bin ich mit meinem Geist immer noch beim Orden Fiat Lux“, sagte die Sektengöttin in einem ihrer letzten Interviews.