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Auch Türken, die in der Schweiz leben, könnenn über Erdogans Verfassungsreform abstimmen. Die Kurdisch-Linke wirbt aktiver als die Anhänger des Präsidenten.
Friedlich spazieren rund 150 Männer dem Bahndamm entlang. Es ist Freitag, in der Quartierstrasse des Berner Vororts Ostermundigen herrscht Mittagsruhe. Am Ende der Strasse betreten die Männer einen unauffälligen Bau. Er beherbergt die Moschee der Türkisch-Islamischen Vereinigung Bern.
In sechs Wochen lässt der türkische Präsident Erdogan über die Verfassungsreform abstimmen, die ihm mehr Macht zuschanzt. Rund 2,9 Millionen Türkinnen und Türken im Ausland sind zur Abstimmung zugelassen, darunter auch die knapp 70'000 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft in der Schweiz. Einer von ihnen ist der Präsident des Ostermundiger Moscheevereins, Ahmet Cindir. Misstrauisch beobachtet er, wie ich im Vorraum der Moschee nach Wahlunterlagen suche. Ich stelle mich vor und erkläre die Absicht, mit Türken über die Verfassungsreform zu sprechen, über die Europa sich den Kopf zerbricht. «Politik hat in dieser Moschee nichts zu suchen», gibt Cindir zur Antwort. Ich dürfe gerne am Gebet teilnehmen. Moscheegänger nach ihrer politischen Meinung befragen – das sei innerhalb des Gebäudes bitte zu unterlassen.
Punkt 12.49 Uhr beginnt der vom türkischen Religionsministerium entsandte Imam Abdullah Dikmen mit der Predigt. Er rezitiert auf Türkisch und Arabisch. Über die Wand flimmern die Übersetzungen auf Deutsch und Englisch. Aus dem hinteren Teil des Gebetsraums sind die Zeilen schlecht zu lesen. Nach der exakt 22 Minuten langen Predigt erklärt ein Moscheebesucher in Malerkleidung, es sei um die Pflicht zum Gebet gegangen und wie Muslime dank ihm zu einem guten Leben fänden. Dann entschuldigt sich der Mann kosovarischer Herkunft. Er müsse zurück zur Arbeit.
Obwohl die Regierung in Ankara direkt den Betrieb von fünfzig Moscheen inklusive dieser sicherstellt und kontrolliert, findet Politik an diesem Freitag keinen Weg in den Gebetsraum. Und das, obwohl der Imam keinen Hehl um seine Sympathien zu Erdogan machte, als er nach dem misslungenen Putsch im vergangenen Sommer auf Facebook die Putschisten am liebsten am Galgen sah.
Draussen auf der Quartierstrasse zeigt sich der pensionierte Gipser Sami Cengiz bereit, über Politik zu sprechen. Er habe sich am Vortag für das Referendum am 16. April registrieren lassen. Für Türken, die in der Schweiz abstimmen wollen, besteht eine Holschuld: Der türkische Staat schickt das Wahlmaterial nicht einfach so den Bürgern zu, diese müssen sich darum bemühen. Für Cengiz ist klar, wie er abstimmt: «Ich werde Ja sagen», sagt er stolz. Dass deutsche Kommunen türkischen Politikern Redeverbote erteilen, regt Cengiz auf. Er fragt: «Wo ist die Demokratie geblieben in Deutschland, wenn das Land Redeverbote erteilt?»
Familie S. aus Worb dagegen lässt das kalt. Der Vater will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen und sagt: «Mein Zuhause ist Bern, die Schweiz. Wenn, dann interessiert mich die Politik hier, aber nicht die in meinem Heimatland.» Sein Verwandter aus Deutschland ist ganz gleicher Meinung. Er hat einen deutschen Pass und ist zu Besuch in der Schweiz. «Das Referendum interessiert mich nicht, meine Heimat ist Deutschland», sagt er.
Ganz anders sehen das links eingestellte Türken in der Schweiz. Die Mehrheit von ihnen ist kurdischstämmig, wie die Basler SP-Politikerin und Doppelbürgerin Edibe Gölgeli. In die Moschee geht sie nicht. Die Mobilisierung der Pro-Erdogan-Kräfte in der Schweiz hält sie im Vergleich zu Deutschland eher für tief und beruft sich dabei auf Erfahrungswerte: So haben bei den Wahlen Ende 2015 etwas mehr als die Hälfte der Türken in der Schweiz die pro-kurdische Oppositionspartei HDP gewählt. Auf Erdogans AKP fielen weniger als 30 Prozent. Anders in Deutschland, wo die Hälfte aller Auslandtürken lebt. Unter ihnen findet Erdogan soliden Zuspruch.
Erdogan aber mobilisiert auch in der Schweiz, wie ein in Zürich angelaufener Propagandakinofilm zeigt. Und Edibe Gölgeli sagt: «Wie in Deutschland könnte es sein, dass auch in den Moscheen mobilisiert wird.» Lauter sind in der Schweiz trotzdem die Erdogan-Gegner: So haben kurdisch-linke Parteien für den 25. März auf dem Berner Bundesplatz zu einer Grosskundgebung gegen die türkische Politik aufgerufen. Nur eine Woche nach der geplanten Demo von SVP-nahen Kreisen gegen die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.
Dass sich die politischen Gräben allerdings nicht einfach so zwischen Kurden und Türken auftun, zeigt sich nach dem Freitagsgebet in Ostermundigen. Der erste türkische Kurde, den ich vor der Moschee antreffe, heisst Ecevit. Er besucht wie immer freitags die Moschee. «Erdogan hat dafür gesorgt, dass es den Türken besser geht», erklärt er. Er habe auch im Osten, wo viele Kurden lebten, für Wachstum gesorgt. Doch die Bürokratie bremse alles. «Es ist deshalb gut, wenn Erdogan mehr Macht bekommt und seine Politik schneller umsetzen kann», sagt er. Ecevit, der Kurde, wird Ja sagen zum Referendum.