Wirtschaftsrecht-Professor Peter V. Kunz durfte das Geheimprogramm der USA als Gutachter lesen. Er findet, das Parlament müsse dessen Inhalt nicht kennen, um den Steuerdeal durchzuwinken.
Herr Kunz, der Nationalrat fordert Einblick in das geheime Programm der USA zur Umsetzung des Steuerdeals. Dies dürfte kaum möglich sein, weil der Bundesrat mit Washington Stillschweigen vereinbart hat. Sehen Sie einen Ausweg?
Peter V. Kunz*: Das Parlament hat sich selber und ohne Not in eine Sackgasse manövriert. Ich kann nachvollziehen, dass gewisse Politiker gerne mehr Informationen hätten. Dennoch sehe ich keinen Grund, warum sie dem Bundesrat nicht vertrauen.
*Peter V. Kunz (48) ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern. Von 1993 bis 1997 sass er für die FDP im Solothurner Kantonsrat.
Das können Sie gut sagen: Als Gutachter des Bundesrates hatten Sie Einblick in das Programm.
Juristisch ist es irrelevant, ob die Parlamentarier das Programm kennen oder nicht, weil der Staat keine Verpflichtungen eingeht. Die Amerikaner werden die Banken nicht mit etwas völlig Unvorhersehbarem konfrontieren. Das Hauptinteresse des Parlamentes gilt ohnehin der Berechnungsmethode für die Bussen, obwohl es sich dabei um eine private Angelegenheit der Banken handelt.
Wie stehen die Chancen, dass Staatssekretär Michael Ambühl die USA überzeugen kann, das Programm doch zu veröffentlichen?
Mich würde das überraschen. Es würde dem bisherigen Verhalten der Amerikaner klar widersprechen.
Könnte der Bundesrat die Informationen notfalls gegen den Willen der USA publik machen?
Das wäre ein diplomatischer Affront. Vermutlich würden die Amerikaner das Programm dann zurückziehen.
Sollte der Steuerdeal wegen der dürftigen Informationslage scheitern, drohen laut Bundesrat Klagen gegen mehrere Schweizer Banken.
Ich warne vor solchen Horrorszenarien. Ich glaube auch nicht, dass es automatisch zu Anklagen käme. Das Parlament sollte diesem Gesetz zustimmen, weil es ein gutes Gesetz ist, nicht weil es Angst hat.
Trotzdem: Was passiert, wenn die USA damit beginnen, Schweizer Banken einzuklagen?
Ein paar Dutzend Banken könnten – ich rede im Konjunktiv – existenzielle Probleme bekommen.
Bürgerliche Kreise sagen, der Bundesrat könne dies vermeiden, indem er jede Bank einzeln ermächtigt, mit den USA zu kooperieren. Sie selber haben dieses Vorgehen in Ihrem Gutachten laut Medienberichten jedoch verworfen.
Das stimmt so nicht. Ich habe nie behauptet, der Bundesrat könne keine Einzelbewilligungen erteilen. Selbstverständlich könnte die Regierung jeder Bank eine Bewilligung ausstellen. Ich persönlich fände dies dumm, aufwendig und in der Sache falsch. Ausserdem könnten von der Datenherausgabe betroffene Personen ein richterliches Verbot gegen eine Bank erwirken, sich am US-Programm zu beteiligen.
Das heisst, die Datenherausgabe würde gestoppt.
Genau. Es genügt auch nicht, wenn der Bundesrat eine Verordnung erlässt. Infrage kommt höchstens eine Notverordnung, doch wir haben heute schlicht keine Notsituation. Wenn die Schweiz eine allgemeine, rechtsstaatlich saubere Regelung für alle Banken anstrebt, gibt es nur zwei Wege: einen Staatsvertrag oder ein Bundesgesetz.
Sie tönen es an: Bis vor kurzem basierte der Steuerdeal auf einem bilateralen Abkommen mit dem Charakter eines Staatsvertrages. Der Bundesrat hat diese Variante verworfen, obwohl sie der Schweiz mehr Rechtssicherheit gebracht hätte.
Das war vermutlich ein politischer Entscheid. Juristisch wäre ein Staatsvertrag genauso möglich wie ein Bundesgesetz. Der Nachteil dabei wäre gewesen, dass die Berechnungsmethode für die Bussen Teil des schweizerischen Rechts geworden wäre. Als Konsequenz wären vermutlich weitere Länder auf die Schweiz zugekommen und hätten, gestützt auf den US-Staatsvertrag, analoge Zugeständnisse gefordert. Jetzt kann der Bund derartige Begehrlichkeiten abwehren, indem er sagt, beim Steuerdeal mit den USA handle es sich um ein unilaterales Programm der Amerikaner.
Die SP fordert, die Banken sollten die Daten widerrechtlich herausgeben und die Konsequenzen selber tragen. Was halten Sie davon?
Ich habe diesen Vorschlag vor Jahren einmal als Winkelried-Variante ins Spiel gebracht. In der Zwischenzeit liegt eine rechtsstaatlich akzeptable Lösung vor. Als Staatsbürger bin ich entsetzt, wenn eine Bundesratspartei trotzdem empfiehlt, das Gesetz zu brechen.