Montassar BenMrad
Er ist das neue Gesicht der Schweizer Muslime

Im Frühling starb der langjährige Vertreter der Schweizer Muslime, Hisham Maizar. Nun tritt an seine Stelle der Waadtländer Montassar BenMrad. Wer ist der Mann, den kaum jemand in der Deutschschweiz kennt?

Daniel Fuchs
Drucken
Montassar BenMrad ist der neue Vertreter der Schweizer Muslime.

Montassar BenMrad ist der neue Vertreter der Schweizer Muslime.

Severin Nowacki

Der Mann braucht Geduld. Er hat Geduld. Seit dem Morgengrauen hat er weder gegessen noch getrunken. Nun ist es 18 Uhr. Und es ist Fastenmonat Ramadan. Der Mann heisst Montassar BenMrad und er ist der neue Präsident der Fids, der Föderation der Islamischen Dachorganisationen der Schweiz.

BenMrad trägt einen dunklen Anzug, schwarze Schuhe, weisses Hemd und Krawatte. Es ist heiss. Das weisse Hemd bleibt zugeknöpft. Auf dem Gesicht des 48-jährigen Muslims glänzt keine einzige Schweissperle, als dieser den Weg zum Maison d’Arzillier runterkommt. Zum vereinbarten Treffpunkt, einer Villa mit Blick auf Genfersee und französische Alpen, die ein Privatmann dem Dialog zwischen den Religionen gestiftet hat. Dort, im Salon, setzt sich BenMrad vor ein Gemälde, das farbige Figuren auf blauem Grund zeigt. Einzelne hingeklebte Bögen verbinden sie miteinander. «Die Figuren symbolisieren die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften. Und die Bögen Brücken, welche die Gemeinschaften untereinander geschlagen haben.» Versteht sich Montassar BenMrad als Brückenbauer? «Ja», sagt er. Sein Ziel: der religiöse Frieden und die Anerkennung der Muslime als Teil der Schweizer Gesellschaft. Sein Hauptinstrument: der interreligiöse Dialog.

Von Tunesien in die Schweiz

Wer ist der Waadtländer, den man in der Deutschschweiz kaum kennt? Dem seine Bekannten Eigenschaften wie diese geben: strukturiert, rational, zurückhaltend, besonnen, kontrolliert, verbindlich. Der «Nordwestschweiz» gewährt Montassar BenMrad ein exklusives Treffen. Denn BenMrad ist viel beschäftigt. Und auch wer ihn treffen will, braucht viel Geduld. Seine Telefonnummer behält er lieber für sich. Montassar BenMrad ruft man nicht an. Er ruft einen an. Mit unterdrückter Rufnummer. Es dauerte Wochen, bis ein Termin gefunden war. Wochen, in welchen sich die Ereignisse überstürzten.

Am 14. Mai starb Fids-Präsident Maizar. Nicht völlig unerwartet. Und doch plötzlich. Der pensionierte Arzt hatte viel Zeit und Energie in sein Amt gesteckt. Unermüdlich vertrat er seit den Anschlägen von 9/11 die Mehrheit der praktizierenden Muslime in der Schweiz gegenüber der Öffentlichkeit. Bei der Nachfolgewahl von Mitte Juni machte BenMrad das Rennen. Ihm, der nicht das Rampenlicht suchte, schenkten die Fids-Mitglieder das Vertrauen. Doch BenMrad war weder Rentner, noch hatte er viel Zeit. Bei seinem Arbeitgeber IBM standen die Quartalszahlen an. BenMrad fungiert als Berater und gehört zum oberen Kader. Er musste sich die Zeit nehmen, um die Leute der Muslim-Verbände zu treffen. BenMrad reiste kreuz und quer durch die Schweiz. Und gleichzeitig begann der Ramadan.

Der dreifache Familienvater ist tunesisch-schweizerischer Doppelbürger und wohnt bei Lausanne. Im Maison d’Arzillier erzählt er von seinem Leben im Zeitraffer: Geboren 1966 im Tunesien des Staatgründers Bourguiba. Französisch-sprachiges Abitur in Deutschland, wegen des Vaters, der dort als Ingenieur arbeitete. Dann das Studium in Lausanne. Doktorat, Heirat, Eintritt in die Unternehmensberatung. Ein Abstecher nach Dubai. Die Rückkehr nach Lausanne, wo BenMrads Kinder studieren sollten.

«Eigentlich wollte ich einfach Muslim sein», sagt BenMrad nachdenklich. Spätestens mit den Anschlägen auf New York und Washington 2001 war der Islam in aller Munde. Das einfache Dasein eines Muslims wurde zusehends gestört. Die Muslime standen seither unter einem Generalverdacht. Dieser Generalverdacht aber führte letztlich dahin, dass sie sich überhaupt in Verbänden wie der Fids organisierten.

Vize im Rat der Religionen

Und nun sitzt BenMrad an der Spitze der Schweizer Organisation, der man als Erstes so etwas wie repräsentativen Charakter zuschreiben kann. Mangels Alternativen: Die Koordinationsstelle Islamischer Organisationen Kios ist in erster Linie eine One-Man-Show des iranischen Soziologen Farhad Afshar. Beim Islamischen Zentralrat der Schweiz (IZRS) dagegen fühlen sich vor allem Konvertiten und Salafisten aufgehoben. Und die Tunesierin Saïda Keller-Messahli tritt mit ihrem Forum für einen fortschrittlichen Islam für jene Muslime in die Öffentlichkeit, die religiös nicht aktiv sind.

Aus Keller-Messahlis Sicht engagiert sich die Fids zu wenig: «Die Herren verwalten einfach ihre konservativen Verbände und reagieren höchstens auf Druck von aussen», sagt sie zur «Nordwestschweiz». Es sei deshalb höchste Zeit, dass sich einer auch zu den schwierigen Themen in der Öffentlichkeit stellt und «nicht länger beschwichtigend wirkt». Die schwierigen Themen, mit welchen sich Schweizer Muslime konfrontiert sehen, sind: Terrormiliz IS und seine Anziehungskraft auf junge Muslime, Burka- und Kopftuchdebatte, Islamischer Zentralrat sowie die Stellung der Muslime in der Schweiz. Will BenMrad die Dinge beim Namen nennen? «Ja», verspricht dieser. Um anzufügen: «Wir müssen.»

Dass er sagt, was Sache ist, das traut ihm der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, Gottfried Locher, zu. Als Hisham Maizar starb, hinterliess dieser nicht nur bei der Fids eine Lücke, sondern auch beim Schweizerischen Rat der Religionen, einem Gremium, in dem sämtliche Religionen vertreten sind. Locher wurde als Nachfolger Maizars zum Präsidenten gewählt. Gleichzeitig besetzte der Rat der Religionen das Amt des Vizepräsidiums mit: Montassar BenMrad.

Locher sagt: «Montassar BenMrad ist ein Mann mitten aus dem Leben. Ich traue ihm zu, dass er Klartext reden wird.» Gelegenheit dazu wird er erhalten. Nicht alle Terroranschläge im Namen des Islams werden sich verhindern lassen. Vielleicht sogar in der Schweiz. Auch wenn BenMrad das anders sieht: Die Schweiz sei ein sicheres Land und junge Menschen hätten Perspektiven. Erst Perspektivlosigkeit und Isolation aber könnten junge Menschen in die Arme von Hasspredigern oder Rekrutierern des Terrors treiben.

Mehr Anerkennung für den Islam

BenMrad will dem Islam endlich mehr Anerkennung verschaffen. Immerhin: 170 von 240 Schweizer Moscheevereinen sind bei der Fids. Wie aber will er die Muslime angemessen vertreten, wenn ihn die Öffentlichkeit nicht anrufen kann? Der Vaudois bittet um Geduld: «Wir brauchen noch etwas Zeit, diese Frage zu klären.» Über eines macht sich BenMrad jedoch keine Illusionen. «Die Öffentlichkeit hat Fragen, denen wir uns unbedingt stellen müssen.» Fragen wie nach 9/11. Oder nach dem Anschlag auf die Karikaturisten von «Charlie Hebdo» im vergangenen Winter. Geduldig warten wir darauf, bis sich die grösste Dachorganisation der Schweizer Muslime neu aufgestellt hat.