Am Jaunpass steht das einzige Bundeszentrum für Asylsuchende. Es wird seit August genutzt, 23 Menschen sind hier untergebracht. Ein Augenschein vor Ort.
Singenden Simmentaler Dialekts empfängt Hatem Gaber die Reporter im kleinen Laden. Der ägyptisch-schweizerische Doppelbürger führt das Dorflädeli mit seiner Frau Silvia, einer gebürtigen Boltigerin. Im kleinen Dorf im beschaulichen Niedersimmental läuft nicht viel. Nur wenig Kundschaft kommt vorbei. Weit weg sind die Touristenorte Gstaad und Lenk.
Doch nicht nur die Lenker haben ihr Skigebiet. Die Boltiger setzen auf ihren Jaunpass. Jenen unbedeutenden Übergang, der das protestantische, zuweilen fromme Berner Oberland mit Jaun – dem einzigen deutschsprachigen Dorf des stockkatholischen Freiburger Greyerzbezirks – verbindet. Auf dem knapp 1500 Meter hoch gelegenen Pass liegt viel Schnee. Beste Pistenbedingungen sollten Familien anlocken. Wären da nicht das Januarloch und die ungebetenen Gäste aus Afrika, mit denen man sich während der letzten fünf Monate arrangieren lernen musste.
Der Ägypter, der Schweizer wurde
Sich mit den Asylsuchenden arrangieren – das musste auch das Ehepaar Gaber. Seit dreizehn Jahren leben die beiden zusammen. Ein Jahr zuvor hatte Silvia den heute 35-jährigen Hatem in Hurghada am Roten Meer kennen gelernt. Sie verliebten sich und heirateten. Hatem durfte mit in die Schweiz, wo er sich schnell integrierte.
So steht er nun hinter dem Tresen und spricht wie ein Berner Oberländer: «Ich will mit den Asylsuchenden vom Jaunpass so wenig wie möglich zu tun haben.» Seit letzten August wird die Truppenunterkunft auf dem Jaunpass als Bundeszentrum für Asylsuchende genutzt – bislang die einzige Einrichtung dieser Art. Maximal 50 Menschen können hier vorübergehend untergebracht werden. Hatem Gaber sagt: Ihm falle auf, wie viele junge Tunesier hier sind, die auf einen Asylentscheid warten. «Den Tunesiern geht es doch besser als meinen Landsleuten», sagt er skeptisch. «Nun sind sie dort oben, unterbeschäftigt und hängen nur herum. Anfangs klopften einige bei uns an, wollten Essen oder Geld.» Dabei gehe es ihnen doch gut in ihrer Unterkunft. Die Flüchtlinge würden bestens umsorgt. Silvia und Hatem Gaber dürfen einmal wöchentlich Brot, Butter und Konfitüre fürs Frühstück in den Militärbunker liefern. Das lokale Gewerbe sollte berücksichtigt werden; dafür sorgte man, als der Bund die Militärunterkunft im vergangenen Spätsommer in Betrieb nahm.
Der Malawier, der bleiben will
Salomon Ruben ist 31-jährig und einer der 23 Asylsuchenden, die auf dem Jaunpass untergebracht sind. Müde erzählt der Mann aus Malawi seine Geschichte, die er schon allzu oft hat erzählen müssen – vor den spanischen Behörden und vor jenen an der Schweizer Grenze. Er erzählt die Geschichte im karg eingerichteten Aufenthaltsraum des unterirdischen Militärbunkers, wo andere derweil Playstation spielen.
Ruben erzählt: Ein Streit um Land habe ihn fast den Kopf gekostet. In einer Familienfehde habe ein Onkel Salomons Vater getötet. Das war 2004. Der junge Mann fürchtete um sein Leben und floh aus dem südostafrikanischen Staat. Ruben spricht mit leiser Stimme. In seinen Augen der Glanz der Tränen.
Es folgte eine jahrelange Odyssee durch Afrika: Tansania, Kongo, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Niger, Algerien, Marokko. Von dort gelang ihm schliesslich die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer nach Spanien. Via Frankreich landete er im Sommer 2011 in Vallorbe. An der Schweizer Grenze stellte er einen Asylantrag. Nach drei Wochen brachte man ihn und andere schliesslich auf den Jaunpass, wo er bis heute auf einen Entscheid wartet.
Ruben teilt das Schicksal seiner Weggefährten: Viele hatten bereits in einem EU-Land Asyl beantragt. Als Mitglied der Dublin-Staaten kann die Schweiz ihre Flüchtlinge in die Länder zurückschicken, in welchen sie zuerst Asyl beantragt hatten. Trotzdem: Auch bei Salomon Ruben stirbt die Hoffnung zuletzt, in der Schweiz bleiben zu dürfen. «Wohin soll ich sonst gehen?», fragt er nachdenklich. «In meine Heimat kann ich nicht zurück. Dort ist mein Leben in Gefahr.»
Bei Claudio Cotting laufen alle Fäden zusammen. Er leitet den Betrieb in der Bunkeranlage auf dem Jaunpass. Er und die anderen Betreuer übernachten im Bunker. «Heute schlugen wir den Bewohnern vor, schlitteln zu gehen», erzählt Cotting, als er die Reporter durch die Militäranlage führt. Doch die Flüchtlinge wollten nicht schlitteln: Zu fremd ist ihnen der Schnee.
Ab März am Hasliberg?
So schlagen die Bunker-Bewohner die Zeit mit Fernsehen und Playstation-Spielen tot. Oder sie fahren in die Städte des Unterlands, um den trostlosen Gemäuern zu entrinnen. Weil der Jaunpass so abgelegen ist, erhalten sie dafür SBB-Tageskarten.
In Boltigen oder Jaun sieht man die Flüchtlinge deshalb nur, wenn sie auf den nächsten Zug oder Bus warten. Vielleicht ist es deshalb in der Region nie zu einem Aufstand der Bevölkerung gekommen, der demjenigen im aargauischen Bettwil gleicht. Die Bettwiler haben die Einrichtung eines zweiten Bundeszentrums mit ihrem Protest - mit grösster Wahrscheinlichkeit - verhindert.
Auch ohne Aufstand: «Ich war überrascht, als mich der zuständige Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser im Juni anrief und uns vor vollendete Tatsachen stellte», erklärt der parteilose Gemeinderatspräsident Andreas Hutzli auf der Boltiger Gemeindeverwaltung. Abenteuerlich mute es an, in einem solchen Fall überhaupt noch von Gemeindeautonomie zu sprechen.
Heute blicken die Boltiger etwas entspannter zurück. Denn die Flüchtlinge bleiben nicht mehr lange. Ende Februar wird der Bunker wieder verschlossen. Dafür nimmt der Bund eine Anlage am Hasliberg in Betrieb. Besonders froh darüber ist Monika Schafroth. Sie führt den Camping-Laden auf dem Jaunpass. «Ich hatte Angst, wenn die jungen Männer Alkohol verlangten», erzählt die Frau, um einzuräumen, dass es nie zu ernsthaften Zwischenfällen gekommen sei.