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In deutschsprachigen Medien wird derzeit darüber spekuliert, ob uns ein zweiter Extremsommer droht. Die Quelle für die Voraussage ist der amerikanische Wetterdienst Accuweather. Bereits vor Jahren wurde der Wetterdienst für seine Prognosen kritisiert.
Der kommerzielle US-amerikanische Wetterdienst Accuweather schreibt folgendes über den kommenden europäischen Sommer:
Nun ja ... je weiter die Wetterprognosen in der Zukunft liegen, desto ungenauer werden sie. Die überwiegende Mehrheit der Meteorologen sind der Meinung, dass Tages-Prognosen, die weiter als 7 bis 10 Tage in der Zukunft liegen, nahezu nutzlos sind.
Nicht so Accuweather: Der Wetterdienst bietet längere Prognosen an als die Konkurrenz. Seit 2013 gibt's eine 45-Tage-Voraussicht. Accuweather pries es damals als «revolutionär» an, der Meteorologe Jason Samenow hingegen nannte sie einen «Witz». Doch scheinbar war der Dienst so lukrativ, dass im 2016 die 90-Tage-Prognose folgte.
Samenow schreibt, dass der Informationsgehalt einer 45-Tage-Prognose gleich null sei. Genau so gut könne man einfach z.B. die Durchschnittstemperatur der vergangenen Jahre nehmen und sie mit den Rekordwerten vergleichen, und hätte dabei immer noch einer genauere Prognose, als die von Accuweather.
Der Meteorologe kritisiert ausserdem, dass der Wetterdienst die wissenschaftliche Methode nicht offenlege und ihre vergangenen Prognosen nicht analysiere (zumindest nicht öffentlich).
Auch der wohl berühmteste Meteorologe im deutschen Sprachraum, Jörg Kachelmann, kritisiert in einem Twitter-Thread die unreflektierte Übernahme der Prognose.
Leider hatten die Dummjournalisten, die solche offensichtlichen Lügengeschichten wie die vom Extremsommer absondern und sich zum nützlichen Idioten eines Wetterdienstes machen, der in Europa etwas bekannter werden möchte, nicht die Gnade eines kleinen Checks im Internet.
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Kachelmann sieht in der extremen Prognose des Wetterdienstes vor allem ein Versuch, in Europa Fuss zu fassen. Durch die alarmistische Prognose würde Accuweather eher zitiert und wahrgenommen.
Wir betrachten auf AccuWeather die drei Sommermonate Juni bis August. Als erstes der Juni. Erst die Tabelle, dann unten das Diagramm. Wir stellen fest: Die höchste Temperatur des Monats angeblich 26 Grad, immer wieder Regen - das wäre wohl Rekordkälte https://t.co/VMMpvHmFYT
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Die Kritik im Detail: Einerseits heisst es in der Prognose, dass uns ein Extremsommer droht, andererseits sagen die Diagramme für Juni und Juli eine Rekordkälte voraus, wie das von Kachelmann präsentierte Beispiel Berlin zeigt:
Weiter am Beispiel Berlin (andere Orte sehen nicht anders aus) der Juli: wieder ein rekordkalter Monat, es soll laut "Wildfire Threat"-Accuweather viel Regen und keinen einzigen Tag mit 30 Grad geben:https://t.co/2UbPasO3zW
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Ebenso der August, soweit dahttps://t.co/VmCknDwkA3
Daniela Domeisen, Professorin am Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich, sagte gegenüber der NZZ: «Für den Sommer 2019 können wir zurzeit noch keine zuverlässige Prognose machen. Wir müssen abwarten, welche Wetterlage die Atmosphäre im Sommer produziert.»
Und Stephan Bader, Klimatologe bei Meteo Schweiz, bemängelt die fehlende wissenschaftliche Grundlage des Berichts über den angeblich kommenden Extremsommer. Zur NZZ sagt er: «Entsprechend können wir dazu keine Stellung nehmen.»
Das Fazit von Jörg Kachelmann im «Tagesanzeiger»:
«Die ehrlichste und wissenschaftlichste Antwort auf die Frage, wie denn der Sommer wird, wäre zum heutigen Tag: keine Ahnung.
Immerhin gibt es das Europäische Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF), das weltweit die besten Langfristvorhersagen macht – sind zwar keine amerikanischen Experten, dafür viel besser. Vorhersagen über mehrere Monate sind generell mit Vorsicht zu geniessen, aber nach dem ECMWF soll der Sommer bei uns eher zu warm und zu trocken, aber nicht dramatisch heiss oder waldbrandesk ausfallen.
Halt so ein bitzli wie immer. In zwei Wochen kommt die neue Vorhersage.» (jaw)