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Schweiz
Der Kanton geht immer weiter: Er schliesst fast alle Betriebe – und verbietet Rentnern, selber Einkäufe zu tätigen.
Jetzt fehlt nur noch die Ausgangssperre. Angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus verschärft das Tessin ab heute die Massnahmen erneut: Die Baustellen im Kanton werden für mindestens eine Woche geschlossen. Ebenso die Produktionsstätten, wenn sie die Hygienemassnahmen und Abstandsregeln für die Corona-Krise nicht einhalten können. Und das können nur die wenigsten.
Einzig systemrelevante Betriebe für die Lebensmittelversorgung und Pharmaunternehmen dürfen den Betrieb weiterführen, sofern sie die Hygiene-Vorschriften einhalten.
Regierungspräsident Christian Vitta (FDP) stellte den langen Massnahmenkatalog in einer Medienkonferenz in Bellinzona vor. Das Dekret zum weitgehenden wirtschaftlichen Shutdown ist unter der Nummer 1570 auf der Website des Kantons aufgeschaltet.
Wie bis anhin dürfen Lebensmittelläden, Apotheken, Kioske und Tankstellenshops geöffnet bleiben. Neu hat der Staatsrat allerdings in einem separaten Dekret Sonderbestimmungen für Personen erlassen, die älter als 65 Jahre sind. Diese müssen, wenn immer möglich, zu Hause bleiben, dürfen nicht auf Minderjährige aufpassen, und sollen sich die Einkäufe von Verwandten oder sozialen Lieferdiensten nach Hause bringen lassen. «Folglich gilt für diese Personengruppe ein explizites Verbot, persönlich Einkäufe zu erledigen», heisst es in der Verordnung. Bei Verstössen droht eine Busse von 100 Franken.
Die schrittweise Verschärfung der Massnahmen gleicht immer mehr dem Vorgehen Italiens, wobei bisher auf eine allgemeine Ausgangssperre verzichtet wurde. Es könnte sein, dass der Kanton Tessin diese Massnahme heute gemeinsam mit den Kantonen Waadt und Genf bei einem Treffen mit dem Bundesrat fordert. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat diese Konferenz für heute einberufen.
Die Schliessung der Baustellen wurde von den Sozialpartnern begrüsst. Das neue Massnahmenpaket im Tessin traf aber auch auf Kritik. «Ein kompletter Shutdown wie im Tessin ist nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger», meinte Hans Hess, Präsident Swissmem, gegenüber Radio SRF. Die Tessiner würden sich ins eigene Fleisch schneiden: «Ihre Versorgung wird abgeschnitten.» Denn die Wirtschaft sei eng verzahnt, nun drohe alles zusammenzubrechen. Hess fordert, der Bund müsse das Tessin zurückpfeifen, so wie davor den Kanton Uri, nachdem dieser eine Ausgangssperre für Senioren beschlossen hatte.
Das Tessin ist der vom Corona-Virus am stärksten betroffene Kanton. Am Sonntag meldeten die Behörden, dass bisher 939 Personen positiv auf Covid-19 getestet wurden (schweizweit 7014). 37 Erkrankte sind verstorben, was fast zwei Dritteln aller 60 Todesfälle in der Schweiz entspricht.
Die Zunahme der Infizierten ist allerdings gebremst: Von Donnerstag auf Freitag gab es innerhalb eines Tages einen Sprung um fast 200 positiv getestete Personen (von 638 auf 834), übers Wochenende flaute die Zunahme etwas ab.
Die grosse Frage ist: Hat es im Kanton genügend Spitalbetten, wenn die Corona-Welle ihren Höhepunkt erreicht? Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) warnte vor einer «dramatischen Lage» und sagte, die Tessiner Intensivstationen könnten schon am heutigen Montag voll belegt und damit am Anschlag sein. Dieser Aussage widersprach Paolo Ferrari, medizinischer Direktor der Tessiner Kantonsspitäler, in der NZZ: «Wir sind längst noch nicht am Anschlag. Punkto Intensivbetten sind wir besser ausgerüstet als der Rest der Schweiz.» Ab dieser Woche werde das Tessin 452 reguläre Betten und 99 Intensivstation-Betten haben. Aktuell betrage die Auslastung nur 70 Prozent.