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Schweiz
Die SVP will ihren eigenen Richter loswerden. Darf sie das? Natürlich. Wieso soll eine Partei einen Richter aufstellen, der nichts mit ihr gemeinsam hat? Die Analyse.
Der Vorgang löst Entsetzen aus: Die SVP empfiehlt ihren eigenen Bundesrichter Yves Donzallaz nicht mehr zur Wiederwahl. Er ist in Ungnade gefallen, weil er mehrmals nicht im Sinn der SVP geurteilt hat. Es ging um Urteile, bei denen die Bundesrichter unterschiedlicher Meinung waren. Das zeigt, dass Rechtsprechung manchmal von persönlichen Einschätzungen abhängt und nicht auf einer exakten Wissenschaft basiert. In diesen Fällen erwartet die SVP, dass ihr Richter im Zweifel im Sinn der eigenen Partei entscheidet, in dubio pro SVP.
Darf sie das? Natürlich. Wenn eine Partei mehrere geeignete Richterkandidaten zur Auswahl hat, warum sollte sie dann jenen zur Wahl vorschlagen, der mit ihr nichts gemeinsam hat?
Unbestritten ist aber auch: Das Manöver der SVP ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Bundesrichter. Das ist ein Problem. Um dieses zu lösen, bringt es aber nichts, so zu tun, als wären Richter unabhängig von ihrer Partei. Schliesslich müssen sie Parteimitglied sein und einen Lohnanteil in die Parteikasse überweisen.
Mandatsabgaben gibt es weltweit in keinem anderen Justizsystem. Nur in unserer Vorzeigedemokratie. Das liegt daran, dass die Parteien in der Schweiz privat finanziert sind, während sie in anderen Ländern staatliche Beiträge erhalten.
Ein Bundesrichter verdient 20 Prozent weniger als ein Bundesrat. Das sind 356000 Franken. Die grünen Parteien verlangen den grössten Anteil. Die Grünliberalen treiben von ihren Bundesrichtern 26000 Franken im ersten Jahr und danach jährlich 13000 ein. Bei den Grünen sind es rund 20000 Franken pro Jahr. Ein SP-Bundesrichter muss 13000 Franken abgeben. Bei den bürgerlichen Parteien sind die Beträge tiefer: 7000 Franken bei der SVP, 6000 bei der CVP und 3000 bei der FDP.
In anderen Ländern nennt man dies Korruption. In der Schweiz nennt man dies Demokratie.
Die SVP handelt nur konsequent, wenn sie kein Geheimnis um die Abhängigkeit ihrer Richter macht. Die Kritiker, die nun von einem einmaligen Vorgang in der Justizgeschichte schreiben, liegen falsch. Denkwürdige Wahlen fanden 1990 statt. Das Parlament bestrafte drei Bundesrichter mit schlechten Wahlresultaten, weil sie einem Lehrer erlaubt hatten, das Kruzifix im Schulzimmer abzuhängen. Die SP unterstützte zudem einen eigenen Bundesrichter nicht mehr, weil er nicht mehr zur Partei passte. 1995 wurde zum einzigen Mal ein Bundesrichter abgewählt. Er verlor das Amt, weil er zur Minipartei LDU gehörte und die grossen Parteien ihre Macht durchboxten.
So weit wird es im Fall Donzallaz nicht kommen: Er ist jetzt der Inbegriff von Unabhängigkeit und kann bis zur Pensionierung auf die Unterstützung aller anderen Parteien zählen.
Wer unabhängige Bundesrichter will, muss das Wahlsystem ändern: die Mandatsabgaben abschaffen und die Parteibindungen aufheben. Eigentlich herrscht ein Konsens darüber, dass dies nötig wäre. Der Bundesrat ist dieser Auffassung und auch die Richtervereinigung. Im Parlament ist eine Reform aber nicht mehrheitsfähig. Welche Partei will schon freiwillig auf Einfluss und Einnahmen verzichten?
Deshalb sollte die Stimmbevölkerung über das Problem entscheiden können. Genau dies will die Justizinitiative, die demnächst im Parlament behandelt wird. Sie enthält neben brauchbaren Reformvorschlägen aber auch eine absurde Idee. Die Bundesrichter sollen per Los bestimmt werden. Folglich stehen derzeit nur zwei schlechte Varianten zur Auswahl: Parteiabhängigkeit oder Zufallsentscheide. Der Bundesrat lehnt die Initiative ohne Gegenvorschlag ab. Die Politiker, die jetzt ihr Entsetzen über die SVP äussern, sollten das Wahlsystem reformieren und einen Gegenvorschlag ausarbeiten.