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Schweiz
Sechs Parteipräsidenten debattierten über «neue Chancen» in der Europapolitik und hofften beim Rahmenabkommen auf Rauchzeichen des Bundesrats. «Arena»-Dompteur Jonas Projer musste derweil als «Erklär-Bär» einspringen – während SVP-Nationalrat Thomas Matter zur symbolischen Waffe griff.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Schweizer Europapolitik ist und bleibt ein Murks. Eine Europa-Klausur des Bundesrates am Mittwoch endete ergebnislos. Da sich nicht einmal die Regierung beim Verhältnis mit der EU einig ist, war eines vorhersehbar: Die in der Arena versammelten Präsidenten von SP, FDP, CVP, Grünen, Grünliberalen und BDPwürden sich in die Haare geraten – auch mit SVP-Nationalrat Thomas Matter, welcher den erkrankten Parteipräsidenten Albert Rösti vertrat.
Die vermurkste Lage illustrierten die Sendungsmacher gleich zu Beginn mit einem netten Einfall. Moderator Jonas Projer kündigte ein Einspieler-Video zu den Resultaten der bundesrätlichen Europa-Klausur an. Es folgte das «Störungsbild», welches ältere Generationen von Fernsehzuschauern noch in «guter» Erinnerung haben.
Bezeichnend für die Europa-Ratlosigkeit der Schweizer Politik waren bereits die ersten Worte eines Studiogasts: «Wir haben nicht gesagt, es müsse weitergehen», begann FDP-Präsidentin Petra Gössi das erste Votum des Abends. Die Freisinnigen hatten sich vor rund zwei Wochen im Grundsatz für ein Rahmenabkommen mit der EU ausgeprochen. Mit ihrem rhetorischen Tritt aufs Bremspedal drückte Gössi aus, dass für die FDP dafür jedoch gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen.
Gössis Worte schienen von prophetischer Qualität – in der Folge wollte es auch mit der Diskussion nicht so recht weitergehen. Das hatte weder mit dem allseits bemühten, wenn auch unterschiedlich geglückten Auftreten der Studiogäste zu tun, noch mit der souveränen Gesprächsleitung von Jonas Projer. Der Sand im Getriebe war ein Phantom namens Rahmenabkommen.
Über dieses streitet Bundesbern jetzt schon seit Jahren. Brüssel wünscht sich ein solches, der Bundesrat im Prinzip auch, die Parteien sind gespalten. Doch wie ein allfälliges Rahmenabkommen genau aussehen würde, weiss angesichts eines zaudernden und schweigenden Bundesrats derzeit niemand. Grünen-Präsidentin Regula Rytz bezeichnete die Übungsanlage zu Sendebeginn deshalb treffend als «Schattenboxen». Informativer als die Debatte der sieben Parteipräsidenten wäre eine Arena mit den sieben Bundesrätin gewesen, meinte die Berner Nationalrätin.
Dieses «Stochern im Nebel», wie es CVP-Präsident Gerhard Pfister beschrieb, erlaubte allen Teilnehmern, das Rahmenabkommen je nach ihrer Haltung in düsteren oder freundlichen Tönen auszumalen. SP-Chef Christian Levrat betonte das «offensive Interesse» der Schweiz an einem solchen Abkommen. Dem einzigen Romand in der Runde merkte man die in seinen bald 10 Jahren als SP-Präsident gesammelte «Arena»-Erfahrung an. Rhetorisch hielt Levrat problemlos mit – sein Auftritt war einer der besseren.
Levrat unterstrich die Vorteile eines geregelten Schlichtungsverfahren bei Streitigkeiten mit der EU: «Ich würde gerne die EU für ihren Entscheid zur Börsenäquivalenz vor ein Gericht ziehen können», polterte der Freiburger Ständerat.
«Dann sind die SVP-Märchen vorbei»
«Arena»-Dompteur Projer musste an dieser Stelle ein erstes Mal den «Erklär-Bären» geben. Er erläuterte dem Publikum, was es mit der bloss befristet ausgefallenen Anerkennung («Äquivalenz») der Schweizer Börsenregulierung durch die EU auf sich hat. Später tat er das selbe beim «Schengen-Waffenrecht» oder den «technischen Handelshemmnissen». Der Rollenwechsel vom Bändiger zum Bären gelang Projer jeweils gut.
Im Gegensatz zu SP-Chef Levrat zeichnete SVP-Nationalrat Matter ein finsteres Bild des Rahmenvertrags. Einseitig werde ein solches Abkommen ausfallen und die Schweiz zur Übernahme von EU-Recht zwingen. Ausserdem wolle er als Verfechter der Demokratie nicht «das Stimmrecht in Brüssel abgeben».
Ein Rahmenabkommen sei keine bilaterale Abmachung, sondern ein «monolateraler Vertrag», versuchte sich Matter in lateinischer Slam-Poetry. Gross und doppelt unterstrichen schien sich Matter das Wort «Sanktionen» notiert zu haben. Diese werde die EU in Streifällen gegen die Schweiz ergreifen. Zur Illustrationen dieser Sanktionen formte Matter mehrmals mit der Hand eine Pistole und hielt sie an den eigenen Kopf.
«Ich will mein Land nicht aufgeben»
Mit seiner simplen, aber effektiven Rhetorik gelang es Matter zu Beginn der Sendung verblüffend rasch, sich in die SVP-Lieblingskonstellation «Wir gegen alle anderen» zu manövrieren. Angesichts der komplexen, je nach Sachlage unterschiedlichen Konfliktlinien der Parteien in der Europa-Politik ein bemerkenswerter Vorgang.
Matters Show missfiel CVP-Präsident Gerhard Pfister. «Hören Sie auf mit der immer gleichen Unterstellung, wir seien keine echten Patrioten», wehrte sich Pfister – um sich Matters Position später vorsichtig anzunähern: «Momentan sehe ich den Nutzen eines Rahmenabkommens nicht.»
Der rhetorische beschlagene Zuger absolvierte zwischenzeitlich einen Tanz auf Eierschalen. Sowohl gegenüber dem Sozialdemokraten Levrat als auch SVP-Vertreter Matter signalisierte Pfister je nach Thema Übereinstimmung oder Ablehnung. Einmal erklärte er, ein Rahmenabkommen eile nicht. Sekunden später nickte Pfister bei Levrats Worten zustimmend, als dieser von einem «sehr befristeten Zeitfenster» für eine Einigung mit der EU sprach.
«Sie unterstellen uns, keine Patrioten zu sein»
Für die Zuschauer ist das Europa-Dossier an sich bereits anspruchsvoll genug. FDP-Präsidentin Petra Gössi schaffte es, mit ihren Sprachbildern noch zusätzliche Komplexität einzubringen. Die Problematik einer einseitigen Kündigung der Personenfreizügigkeit verglich sie mit «dem Kauf von Stockwerk-Eigentum». Im Mieterland Schweiz kein besonders geglücktes Alltagsbeispiel.
Angesichts ihrer begrenzten Redezeit machten die Parteipräsidenten der Nicht-Bundesratsparteien Grüne, GLPund BDP einen guten Job. Sie durften nicht in der «Elefantenrunde» in der Mitte stehen, sondern mussten sich inmitten des Publikums gewissermassen mit einem Platz am Kindertisch begnügen.
Am blassesten blieb von ihnen der Grünliberale Jürg Grossen. Er verwies etwas monothematisch auf seinen Hintergrund als Unternehmer im KMU-Bereich und die Wichtigkeit des EU-Raums für die gesamte Wirtschaft.
Grundsätzliches sprach BDP-Präsident Martin Landolt an: Die Bilateralen dürfe man nicht bloss als «Sammlung von Verträgen» betrachten. Sie seien ein «Konzept für unsere Beziehungen zur EU». Hier könne ein Rahmenabkommen ein neues Fundament bilden. «Denn es gibt keine Alternativen», so Landolt, «da EU-Beitritt und Isolation beide nicht in Frage kommen». Später unterstellte der warm gelaufene Landolt SVP-Mann Matter, dessen Partei wolle «mit der Hellebarde zwischen den Zähnen ins Réduit zurück».
«Die SVP fährt eine Isolations-Strategie»
Matter geriet gegen Ende von allen Seiten unter Beschuss. Die Diskussion wandte sich der SVP-Kündigungsinitiative zu, für die seit einem Monat Unterschriften gesammelt werden. Auf bürgerlicher Seite verwies FDP-Chefin Gössi auf die Wichtigkeit des Vertragspakets der «Bilateralen I», welches die Initiative gefährdet. Und CVP-Chef Gerhard Pfister malte bei einem Ende der «Bilateralen I» düstere Szenarien für die SVP-Kernwählerschaft an die Wand: «Die Bauern kommen dann unter die Räder.»
Auf der Linken interpretierte man die SVP-Initiative als Affront für die Arbeitnehmenden. Grünen-Chefin Rytz warf Matter vor, die Initiative sei ein verdeckter Angriff auf die flankierenden Massnahmen: «Ihr wollt an die Löhne der Menschen in diesem Land», Und warnte Matter: «Bei der Bevölkerung werdet ihr damit auf Granit beissen.» Unterstützung erhielt die Bernerin von SP-Chef Levrat. «Sie verwechseln ein politisches Programm mit dem Businessplan von Magdalena Martullo-Blocher», warf er dem SVP-Nationalrat vor.
«Die SVP spielt nicht mit offenen Karten»