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Schweiz
Zwar rollen die neuen SBB-Intercity seit 9. Dezember auf Nebenstrecken. Dies aber alles andere als zuverlässig. Die Stimmung beim Zugspersonal ist angespannt.
Es ist ein Bähnler-Schrecken ohne Ende: Seit dem 9. Dezember 2018 verkehren zwar die ersten Doppelstöcker-Intercity (FV-Dosto) des Herstellers Bombardier fahrplanmässig als Interregio zwischen Chur, St.Gallen, Zürich und Basel.
Wegen Türstörungen, Softwareproblemen, Fehlern beim Passagierinfosystem sowie den Klimaanlagen kommt es aber immer wieder zu Zugsausfällen. Dies obschon die Züge eigentlich bereits vor fünf Jahren hätten abgeliefert werden sollen.
In einem geharnischten Communiqué teilten die SBB gestern mit, dass die Zuverlässigkeit der ersten 12 abgelieferten FV-Dosto im ersten Betriebsmonat «nicht akzeptabel» sei.
Es ist von A-Z ein Trauerspiel.
(Quelle: Hans-Ruedi Schürch, Lokführergewerkschaft)
Aber was bedeutet dies für das Zugspersonal? watson hat bei Gewerkschaftsvertretern nachgefragt.
Hans-Ruedi Schürch, Lokführer und Präsident des Lokomotivpersonalverbands (LPV), findet klare Worte für die Probleme des neuen Bombardier-Doppelstöckers: «Es ist von A bis Z ein Trauerspiel.» Zwar seien seine Berufskollegen begeistert vom neuen Führerstand des Zuges. Nur streike die Steuerungssoftware immer wieder.
«Der Zug stellt sich buchstäblich ab. Der Lokführer ist der Elektronik völlig ausgeliefert», so Schürch. Den Mitarbeitern bleibe nichts anderes übrig, als das gesamte Betriebssystem neuzustarten. Das dauere aber bis zu 30 Minuten.
Das ist viel zu lange, um die Fahrt auf dem dichtbefahrenen Schienennetz fortführen zu können. Die Folge ist ein Zugsausfall. Darum fahren nun auf allen Zügen Techniker von Bombardier mit, um bei einem Defekt möglichst rasch eingreifen zu können.
Die vielen Pannen belasten das SBB-Personal: «Die Lokführer steigen mit einem schlechten Gefühl in den Zug. Schliesslich wollen sie die Passagiere pünktlich ans Ziel bringen. Mit diesen Zügen ist das aber nicht immer möglich», so Schürch. Für den Gewerkschaftschef der Lokführer ist klar: So ein Debakel bei einer Zugsinbetriebnahme hat es in der Geschichte der SBB noch nie gegeben.
Auch bei Jürg Hurni, Zugchef und heute Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, lassen Berufskollegen ihren Frust ab. «Die Zugbegleiter müssen manchmal als Blitzableiter für erzürnte Passagiere herhalten.»
Zumindest auf der Haupstrecke IC1 zwischen St.Gallen und Genf haben die SBB für den FV-Dosto vorderhand die Notbremse gezogen. Die 1300 Passagiere fassenden Züge kommen damit etwa zwischen Bern und Zürich erst zum Einsatz, wenn sie im täglichen Betrieb auf den Interregio-Strecken drei Monate «verlässlich eingesetzt werden können», schreiben die SBB. Wie lange das dauert, weiss derzeit niemand.
Die Zurückhaltung hat ihren Grund: «Bleibt zwischen Bern und Zürich ein Zug stehen, hat dies viel grössere Auswirkungen. Die SBB können es sich nicht leisten, tausende Pendler zu verärgern. Der Renomméverlust wäre beträchtlich», erklärt Hurni.
So fahren die SBB weiter mit den alten Doppelstöckern, die sie teilweise von anderen Strecken abziehen müssen. Die Folge: Pendler müssen mit verkürzten Zügen Vorlieb nehmen. «Das Wagenmaterial wird langsam knapp. Die SBB fahren auf dem Zahnfleisch», bilanziert der Gewerkschaftssekretär.
Als wären die technischen Probleme nicht schon genug, droht dem FV-Dosto weiteres Ungemach: Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, zieht die Beschwerde gegen die befristete Betriebsbewilligung für den neuen Doppelstockzug (FV-Dosto) der SBB ans Bundesgericht weiter. Die neuen Züge seien gesetzeswidrig. Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende November die Beschwerde von Inclusion Handicap gegen die Betriebsbewilligung des neuen Doppelstockzugs praktisch vollumfänglich abgewiesen. Der Dachverband hat sich nun gemäss einer Mitteilung vom Donnerstag entschieden, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen. Die selbstständige Nutzung des Zugs sei für viele Passagiere mit Behinderungen nicht gewährleistet. (sda)