Der Basler Soziologe Ueli Mäder und Wirtschaftsprofessor der Universität St. Gallen, Franz Jaeger, standen an der Sissacher Tagung der Baselbieter Sozialhilfebehörde im Mittelpunkt. Zwei Sichtweisen auf die Gesellschaft und deren Zukunft.
Tobias Gfeller
Das Podium zur Sissacher Tagung der Baselbieter Sozialbehörde war hochkarätig besetzt: auf der einen Seite der Basler Soziologe Ueli Mäder, auf der anderen der Wirtschaftswissenschafter Franz Jaeger. Moderiert wurde der Anlass im Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain von Mirjam Jauslin, mit dabei auch Rudolf Schaffner, der Vorsteher des Kantonalen Sozialamts Baselland. Mit Biss, Charme und einer Brise Humor argumentierten die beiden Professoren. Gespannt folgte das Publikum den Ausführungen der Fachmänner. Zum Tagungsthema «Die soziale Zukunft der Schweiz» präsentierten sie ihre eigenen Thesen. Dies machte den Reiz der Sissacher Tagung 2009 aus - denn welcher der beiden schliesslich Recht hatte, musste jeder für sich entscheiden. «Beide haben auf ihre eigene Art Recht. Eine Meinung kann nie falsch sein», analysierte Rudolf Schaffner auf dem Podium.
Von Selbstzweifel zu Empörung
Franz Jaeger und Ueli Mäder verstanden es, ihre Sichtweise auf die Probleme der Schweizer Sozialwerke darzulegen. Der Podiumsdiskussion vorangegangen waren je ein Referat von Mäder und Jaeger. Der Basler Soziologe redete dabei die Sozialwerke stark, warnte aber gleich davor, dass diese mit dem rasanten Wandel der Zeit nicht Schritt halten würden. «Die klassischen Erwerbsbiographien nehmen ab. Immer mehr Alleinstehende mit Kindern rutschen in die Sozialhilfe.» Die zunehmende Kluft beim verfügbaren Einkommen und vor allem beim Vermögen gefährdet immer mehr den sozialen Frieden in der Schweiz. Die Anzahl «working poor», also jene die arbeiten und trotzdem ein gewisses Einkommen nicht erreichen, steigt.
«Das Empfinden der Sozialhilfeempfänger habe sich in eine Richtung der Empörung und Wut verändert. Früher hatten die Menschen Selbstzweifel und suchten die Schuld bei sich.» Doch im Gegensatz zu Franz Jaeger sieht er die monetäre Situation der Sozialwerke weniger schlimm. Seinen Fokus legte Mäder mehr auf die sozialen Zusammenhänge als auf die Geldprobleme von AHV, IV und Sozialhilfe.
Die Staatsquote steigt
Der Ostschweizer Franz Jaeger warf in seinem Referat einen Blick auf die nackten Zahlen. «Sozialwerke in der Finanzierungsfalle?» fragte er.
Seine Antwort war schon nach den ersten Sätzen klar: «Der Sozialstaat kann Dimensionen annehmen, wo er nicht mehr einen gesellschaftlichen Nutzen hat. Die allgemeinen Ausgaben und allen voran die Ausgaben für die Sozialwerke steigen um ein Vielfaches mehr als das Schweizer Bruttoinlandprodukt.» Die Grenze der Finanzierbarkeit rückt immer näher, sagte Jaeger.
Für ihn nimmt der Staat eine zu gewichtige Rolle im System ein. Die Staatsquote steige rapide in die Höhe. «Auf dem Weg zum Sozialismus steht am Ende der Kommunismus», analysierte er. Doch Jaeger provozierte nicht nur, er lieferte auch Fakten und Zahlen. «Die Nettoempfänger übersteigen bald die Nettozahler. So verliert das System sein Gleichgewicht.»
Ueli Mäder kennt diese Zahlen auch. Der Unterschied bei beiden liegt in der reinen Analyse und der Interpretation der Statistiken. Es war ein hochstehendes Rededuell zwischen dem «Schwarzseher» Jaeger und dem «mit der rosaroten Brille», Ueli Mäder. So sah es jedenfalls Mirjam Jauslin, die es immer wieder verstand, die richtigen Fragen zu stellen.