Hausarzt der Zukunft
Dem Mangel Gegensteuer geben: Immer mehr Jungärzte zieht es in Gruppenpraxen

Angehende Hausärzte wünschen sich geregelte Arbeitszeiten und wollen daher keine Einzelpraxis mehr führen. Die meisten Jungärzte wollen nach ihrer Ausbildung in einer Gruppenpraxis arbeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Roman Seiler
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Ein Beispiel von vielen: Nach der Ausbildung am Berner Inselspital wechselt Matthias Egli als Hausarzt in eine Gruppen- statt Einzelpraxis auf dem Land.

Ein Beispiel von vielen: Nach der Ausbildung am Berner Inselspital wechselt Matthias Egli als Hausarzt in eine Gruppen- statt Einzelpraxis auf dem Land.

Severin Nowacki

Er gilt per se als guter Mensch: der Hausarzt. Stets zur Stelle, wenn es seinen Patienten schlecht geht. Selbst mitten in der Nacht.

Das war einmal: Der Einzelkämpfer in seiner Praxis ist ein Auslaufmodell. Eine solche führen Menschen, die nicht im Team arbeiten können. Dies sagt einer, der es wissen muss, nämlich Philippe Luchsinger, Präsident des Verbands der Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe).

Die «Nordwestschweiz» sprach mit einem Jungarzt, der dies noch auf sich nehmen will. Er bezeichnet sich selbstironisch als überarbeiteten «Psychopathen». Was es weiter geben wird, sind auf Sozialmedizin oder Gesprächstherapien für psychosomatische Behandlungen spezialisierte Hausärzte, die eine Einzelpraxis führen.

Gemäss Zahlen der Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH) arbeiteten 2016 noch 47 Prozent aller Hausärzte in Einzelpraxen. Das sind zehn Prozent weniger als 2011. Dieser Trend wird sich fortsetzen: Nur noch zwei Prozent der angehenden Hausärzte wollen eine Einzelpraxis eröffnen. Dies zeigt eine Studie des Berner Instituts für Hausarztmedizin (Biham), die im Februar publiziert worden ist. 86 Prozent der 270 Befragten geben an, nach ihrer Ausbildung in einer Gruppenpraxis arbeiten zu wollen.

Geregelte Teilzeitarbeit gesucht

Die Gründe dafür sind vielfältig. So lassen sich nicht nur die Infrastruktur – dazu zählen beispielsweise Röntgenapparate oder Laboreinrichtungen –, sondern auch die Medizinischen Praxisangestellten besser auslasten. Die Arbeitsbelastung ist auch anders: Ob Mann oder Frau, junge Ärzte möchten heute meist eine Teilzeitstelle annehmen. Im Schnitt wollen sie nicht mehr als 70 Prozent arbeiten.

Zum anderen ermöglichen Gruppenpraxen geregelte Arbeitszeiten. In städtischen Zentren entfallen Notfalldienste teilweise. Diese übernehmen heute meist spezialisierte Gruppenpraxen.

In zehn Jahren, prognostiziert Wolfram Strüwe, beim Krankenversicherer Helsana für Gesundheitspolitik zuständig, werden Hausärzte meist nur noch in Randregionen eine Einzelpraxis führen: «Dort ist die Nachfrage nach Behandlungen für Gruppenpraxen zu gering.» Daher ist überraschend, dass 43 Prozent der angehenden Hausärzte in der Studie sagen, sie wollten «auf dem Land» arbeiten.

Was sich ändert, ist die berufliche Stellung der Grundversorger: Früher waren sie meist Kleinunternehmer. Heute lassen sich neun von zehn Berufseinsteiger erst anstellen. Nach zwei bis fünf Jahren will die überwiegende Mehrheit der Jungärzte laut Biham-Studie eine Gruppenpraxis leiten, die entweder ihnen gehört oder an der sie beteiligt sind.

So arbeitet auch der oberste Hausarzt-Vertreter Luchsinger: Er führt mit einem Partner eine eigene Gruppenpraxis in Affoltern am Albis (ZH). Die beiden beschäftigen zwei Hausärzte und fünf Medizinische Praxisassistentinnen.

Was sich nicht verändert hat: Spezialärzte wie Urologen oder Radiologen verdienen mehr Geld als Grundversorger. Wer sich nach der Ausbildung zum Facharzt Allgemeine Innere Medizin als Einsteiger von einer Gruppenpraxis anstellen lässt, verdient gemäss Luchsinger etwa 160'000 Franken im Jahr: «Das Gehalt kann später bis auf 200'000 Franken ansteigen.» Ein Hausarzt mit eigener Praxis kommt meist auf 150'000 bis 170'000 Franken. Je nach Entwicklung sind Einkünfte von bis zu 250'000 Franken möglich.

Keine Geringverdiener

Geringverdiener sind Hausärzte also nicht. Ihr 2006 mit einer Demonstration begonnener Kampf um eine Besserstellung hat sich gelohnt. Eine Folge davon war der 2012 von Bundesrat Alain Berset lancierte «Masterplan Hausarztmedizin». Dazu zählte eine Revision des Ärztetarifs «Tarmed», der die Einnahmen der Grundversorger auf Kosten der Spezialisten um 200 Millionen Franken anheben sollte.

Das ist auch – beinahe – erfolgt: Die Kosten pro Patient von Hausärzten legten im vergangenen Jahr um rund vier Prozent zu, sagt Helsana-Gesundheitsökonom Wolfram Strüwe: «Das ist der Effekt der von Bundesrat Berset vorgenommenen Korrekturen.

Sie summieren sich auf 190 Millionen Franken. Die Einnahmen der Grundversorger steigen weiter.» Gemäss Luchsinger verdienen die Hausärzte rund 170 Millionen Franken mehr: «Daher sind Grundversorger mit dem Tarif deutlich zufriedener als früher.»

Nun verlangen sie neu die Abgeltung für interprofessionelle Tätigkeiten. Der Trend zu Gruppenpraxen erfordere, so Luchsinger, dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen wie Medizinische Praxisassistentinnen (MPA), Spitex-Angehörige oder Ergo- und Physiotherapeutinnen verbessert werde.

Dazu nennt Luchsinger ein Beispiel: Gruppenpraxen benötigten Praxisassistentinnen, die Patienten wie Diabetiker beraten können, wie sie sich ernähren oder wie sie ihre Medikamente einnehmen müssen: «Diese Dienstleistung müsste von den Krankenversicherern abgegolten werden. Die sperren sich dagegen, weil dies Mehrkosten verursachen würde.»

Nun steht eine zweite Tarmed-Korrektur an, die Bundesrat Alain Berset nach den gescheiterten Verhandlungen der Tarifpartner vornimmt. Dieses Mal will er die Ausgaben für ambulant vorgenommene Behandlungen von Ärzten und Spitälern um 700 Millionen Franken senken.

Dabei verschont Berset die Hausärzte weitgehend, sagt Strüwe: «Sie zählen tendenziell zu den Gewinnern. Hausärzte haben es geschafft, sich als aussterbende Gruppe darzustellen, die geschützt werden muss.» Auch daher nehme die Zahl von Gruppenpraxen zu.»

Streit um die Zahl der Hausärzte

In der Tat sagt mfe-Verbandspräsident Luchsinger, in ihrem Bereich gebe es keine Überversorgung: «In Zukunft werden wir nicht nur in Randregionen, sondern auch in den Städten zu wenig Hausärzte haben. Wir importieren zu viele Spezialärzte aus dem Ausland und bilden nicht genügend Hausärzte aus. Bereits im Studium sollte daher der Fokus auf die Tätigkeit als Grundversorger verstärkt werden. Da ist man dran.»

Dem widerspricht Gesundheitsökonom Strüwe. In Zentren und Agglomerationen gebe es heute genügend Hausärzte: «Das wird auch so bleiben. Geht hingegen in den Bergen ein Arzt in Pension, ist es heute schon schwierig, einen Nachfolger zu finden.»