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Am nächsten Dienstag wird das Urteil gegen Brian K. alias «Carlos» ausgesprochen. Dem 24-Jährigen droht eine Verwahrung. Die Luzerner Oberrichterin Marianne Heer sieht das skeptisch. Sie sah das Sondersetting von Brian K. als gutes Beispiel für eine erfolgsversprechende Therapie.
Am Mittwoch war der Prozess von Brian K. alias «Carlos». Das Gericht muss nun entscheiden, ob er verwahrt wird, oder nicht. Wie muss das Gericht jetzt abwägen?
Marianne Heer: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Verwahrung ist, ob der Straftäter behandelbar ist. Denn dann kann man ihn nicht verwahren.
Brian K. hat sich jedoch mehrfach gegen eine Therapie gewehrt.
Ein wichtiger Bestandteil einer Therapie ist, dass der Täter motiviert werden kann. Die Praxis des Bundesgerichts sagt jedoch, dass man zum Urteilszeitpunkt sagen muss, ob der Täter in den nächsten fünf Jahren erkennbare Fortschritte macht und die Therapie wirken wird. Wenn man das nicht konkret sagen kann, gilt er als unbehandelbar. Es ist meiner Meinung nach fraglich, ob jemand als unbehandelbar bezeichnet werden darf, nur weil er im Moment nicht motiviert ist.
Sind denn die Delikte von Brian K. überhaupt genug schwerwiegend für eine Verwahrung?
Das Gericht wird sich auf jeden Fall die Frage der Verhältnismässigkeit stellen müssen. Sind die Delikte wirklich derart schwer, dass man einen Freiheitsentzug, der unbestimmt lang und faktisch wohl auf Lebenszeit dauert, verantworten kann? Sie werden auch die ethisch-moralischen Aspekt anschauen: Der Straftäter ist noch sehr jung. Auch hier wird die Verhältnismässigkeit eine grosse Rolle spielen.
Schweizer Richter haben insgesamt drei Möglichkeiten – neben dem Aussprechen des Strafmasses – Straftäter zu verwahren. Bei der lebenslänglichen Verwahrung werden extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter ihr Leben lang weggesperrt. Eine frühzeitige Entlassung oder Hafturlaub sind dabei ausgeschlossen.
Wird ein Straftäter ordentlich verwahrt, so ist es noch möglich, dass er eines Tages wieder frei kommt. Denn es muss jährlich geprüft werden, ob die Verwahrung noch gerechtfertigt ist.
Am häufigsten sprechen Richter die sogenannte kleine Verwahrung aus. Dies ist nichts anderes als eine stationäre therapeutische Massnahme. Diese wird dann verhängt, wenn die Tat mit einer psychischen Erkrankung im Zusammenhang steht.
Das Ziel: Vor einer allfälligen Freilassung soll die psychische Störung therapiert und dadurch die Rückfallgefahr minimiert werden. Dazu wird die Haftstrafe zugunsten der therapeutischen Massnahme aufgeschoben. Der dadurch erfolgte Freiheitsentzug darf höchstens fünf Jahre dauern, kann aber vom Gericht um jeweils bis zu fünf weitere Jahren verlängert werden.
Sie sprechen das Alter an: Brian K. ist 24 Jahre alt und ihm droht bereits die Verwahrung. Wäre das nicht gravierend bei einem so jungen Menschen?
Ja sicher. Es ist bei jedem Menschen, egal welchen Alters, gravierend, wenn die Person vor einem lebenslangen Freiheitsentzug steht. Bei einer so jungen ist es sicherlich noch dramatischer.
Inwiefern beeinflusst das grosse öffentliche und mediale Interesse den Entscheid des Gerichts?
Es besteht sicher ein sehr grosser Druck und es ist für uns Richter ganz schwierig, in einem solchen Umfeld zu arbeiten. Ich erwarte allerdings von einem Gericht, dass es diesem Druck standhalten kann, das gehört zu unserem Job. Wir müssen uns weiterhin objektiv verhalten. Es ist aber unter Umständen äusserst anspruchsvoll.
Könnten die Richter jetzt Brian K. vorsorglich wegsperren lassen, damit sie bei einem Rückfall keine Schuld trifft?
Dass sich ein Richter vor der Medienschelte schützen will, dieser Versuchung kann man unterliegen oder nicht. Für mich ist dies aber ganz klar eine Pflichtverletzung. Wenn jemand das Gefühl hat, er kann dem Druck nicht standhalten, muss er quittieren und in den Ausstand treten.
War es ein Fehler, das Sondersetting bei Brian K. abzubrechen?
Ich hatte damals guten Kontakt mit seinem Jungendanwalt Hansueli Gürber und fand es ein Fehler, das Sondersetting abzubrechen. Damals wurde ja beanstandet, dass die Behandlung zu teuer ist – für mich war es aber ein gutes Beispiel für eine vielversprechende Therapie.
Die 63-jährige Marianne Heer ist Oberrichterin am Kantonsgericht Luzern. Zuvor war sie Staatsanwältin in Luzern. Ausserdem ist die Strafrechtsprofessorin Lehrbeauftragte für Strafrecht an der Universität Luzern.
Eine Verwahrung wird ja dann ausgesprochen, wenn jemand ein hohes Risiko für die Bevölkerung darstellt und sehr gefährlich ist. Was heisst gefährlich?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Aber grundsätzlich heisst es, dass in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Delikte zu erwarten sein werden.
Heisst die Verwahrung wirklich, dass er lebenslang im Gefängnis ist?
Die Verwahrung bedeutet Freiheitsentzug auf unbestimmte Zeit. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass es praktisch nie jemand aus der Verwahrung wieder in die Freiheit kommt, ausser er sei krank, alt und gebrechlich. Aber sogar diese werden oft nicht entlassen. Die Vollzugspraxis ist äusserst restriktiv. Aus zwei gesunden Beinen kommt niemand raus. Bei den wenigen in der Statistik aufgeführten Entlassungen wird auch nicht unterschieden, ob es sich dabei wirklich um Entlassungen oder um einen Todesfall handelt.
Wie schwierig ist es, nach einer Aufhebung der Verwahrung zurück ins Leben zu finden?
Kommt es zu einer Entlassung, können die Leute kein ordentliches Leben mehr führen. Sie sind mit den Lebensverhältnissen in Freiheit überhaupt nicht mehr vertraut und haben kein soziales Umfeld mehr. Beruflich können sie auch nicht mehr Fuss fassen. Lockerungen während des Verwahrungsvollzugs werden, bis auf wenige kurze begleitete Ausgänge von Stunden, kaum bewilligt, obwohl das Gesetz dies an sich vorsehen würde.
Was wären denn die besseren Alternativen?
Man hat, soweit ich dies aus meiner Sicht beurteilen kann, noch nie versucht, Brian K. im Rahmen einer stationären Massnahme richtig zu therapieren. Ein gescheiterter Behandlungsversuch ist aber bis vor Kurzem beim Bundesgericht noch Voraussetzung gewesen dafür, dass man überhaupt jemanden verwahren konnte. Leider hat das Bundesgericht diese langjährige konstante Praxis aufgehoben.
Also sollte man ihn therapieren und nicht verwahren?
Ich kann nur so viel sagen: Auch wenn man ihn behandeln würde, wäre er dennoch gesichert untergebracht. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass gefährliche Täter in geschlossenen Einrichtungen therapiert werden. Auch diese Massnahmen können sehr lange dauern. Zwar werden sie vom Gesetz her auf fünf Jahre angelegt, in der Praxis werden sie jedoch regelmässig verlängert. Die Sicherheit der Öffentlichkeit wäre deshalb nach wie vor gewährleistet. Aber der Täter hätte zumindest die Chance, irgendwann wieder auf die richtige Bahn zu gelangen.