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Schweiz
Seit den Wahlen 2003 hätten sich die Hitzewellen und Rekordsommer gehäuft, sagt Politologe Lukas Golder, Co-Leiter von GfS Bern. Das Klima werde bei den Wahlen zu einem Top-Thema. Grosser Sieger dürften die Grünen sein, grosse Verliererin die SVP. Ein Linksrutsch liege in der Luft.
Herr Golder, welche Folgen hätte ein Hitzesommer für die Wahlen 2019?
Lukas Golder: Die Chance, dass es wieder Hitzewellen und einen Rekordsummer gibt, ist wesentlich grösser als noch 2003. Damals erfasste dieses Phänomen die Schweiz erstmals richtig. Der Hitzesommer von 2003 hat die Diskussionen um die Wahlen 2003 stark geprägt. Die Rekordsommer haben sich in der Schweiz seither gehäuft.
Mit einem vorläufigen Höhepunkt in diesem Jahr?
Die Wahrscheinlichkeit ist dramatisch gestiegen, dass wir nach einer Hitzeperiode wie diese Woche auch statistisch gesehen einen Hitzesommer haben. Sie sind inzwischen sehr alltagsnah geworden.
Damit dürfte das Thema Klima die Wahlen prägen?
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Klimafrage eines der Top-Themen des Herbstes sein wird, unabhängig vom Hitzesommer. Vielleicht wird es sogar die zentrale Rolle spielen.
Die grossen Sieger der Wahlen dürften die Grünen sein.
Die Grünen haben schon vor diesem Sommer strukturmässig massiv zugelegt. Für sie liegen sicher zwischen drei und vier Prozentpunkte Zuwachs drin, verbunden mit vielen Sitzgewinnen. Sie können in vielen Kantonen weit über zehn Prozente erreichen, sind auch mittleren und kleineren Kantonen gut aufgestellt.
Und die Grünliberalen?
Für sie halte ich derartige Gewinne für viel weniger realistisch. Ausserhalb von Zürich fehlen der GLP die Strukturen. Dennoch ist es denkbar, dass sie um zwei Prozentpunkte zulegen. Vielleicht sogar mehr. Die grosse Herausforderung wird aber darin bestehen, die Gewinne in Nationalratssitze umzumünzen. Auch wenn sie in der Wählergunst gewinnt, wird sie kaum namhaft an Sitzen zulegen.
Die FDP positionierte sich am Samstag an der Delegiertenversammlung sehr grün. Kann sie davon profitieren?
Die FDP kann nicht einfach vom Klimathema profitieren, auch wenn sie die Reihen wieder geschlossen hat. Mit ihrer Neupositionierung macht sie aber einen Aufbruch. Das passt zu diesem Wahljahr. Es legt einen Aufbruch in Klimafragen immer stärker nahe. Eine klare Positionierung, auch eine Umpositionierung wie bei der FDP, ist hilfreich.
Wird die FDP zulegen?
Bis Anfang Jahr war die FDP die grosse Siegerin der kantonalen Wahlen seit 2015. Der Freisinn ist gut aufgestellt. Doch die Klimadiskussion hilft grundsätzlich anderen Parteien. Die FDP steht vor grösseren Herausforderungen. Sie muss etwa Abwanderungen zur GLP vermeiden.
Und die SVP? Wird sie zur grossen Verliererin der Wahlen?
Die SVP wäre möglicherweise auch ohne Klimawahl die Verliererin gewesen. Sie ist die strukturelle Verliererin der letzten Jahre. Das zeichnete sich immer stärker ab. Die Migrationsdebatte hat an Schwung verloren, und das ist für die SVP eine fundamentale Herausforderung.
Wie hoch schätzen Sie die Verluste der SVP ein?
Im Moment zeichnet sich kein Erdrutsch-Verlust ab. Die Klimadiskussionen können aber dazu führen, dass die SVP bis zu fünf Prozentpunkte verliert. Damit wäre sie zwar noch immer die klar stärkste Partei. Doch sie würde massiv an Sitzen verlieren. Das Klimathema gehört bei den SVP-Anhängern laut SRG-Wahlbarometer nicht zu den sieben wichtigsten Themen, ist also für diese Wähler gar kein so grosses Problem. Das Problem der SVP liegt in der Mobilisierung. Diese ist mit der Klimafrage schwierig.
Wo sehen Sie die SP?
Die SP ist bei Klimafragen sehr eindeutig positioniert. Es gibt nur wenige Unterschiede zu den Grünen. Die SP hat viele fachkompetente Exponenten. Die Stammwählerschaft erhält von der SP ein gutes Paket in der Klimafrage. Die SP droht aber, Panaschierstimmen an die Grünen zu verlieren. Doch die Partei ist sehr gut organisiert, die Herausforderung einer Klimawahl ist für sie lösbar. Und wenn die die SP ihren Wähler- und Sitzanteil halten kann, muss man ganz klar von einem Linksrutsch sprechen. Dieser liegt in der Luft.
Wie ist die CVP im Hitzesommer positioniert?
Dass Klimafragen in den letzten Jahren wichtiger wurden, hat die CVP mitgeprägt. Sie machte den Rechtsrutsch nicht mit, den man in der letzten Legislatur bei der FDP in Sachen Energie und Umwelt beobachtete. Die CVP wird zwar mit Klimafragen kaum gross punkten können. Sie hat aber auch weniger zu befürchten als die SVP.
Der Politologe Lukas Golder (45) ist Co-Leiter am Institut GfS Bern und Mitglied des Verwaltungsrats. Zusammen mit Urs Bieri hatte er Claude Longchamp das Unternehmen abgekauft. Golder arbeitet seit 20 Jahren für GfS Bern. Er war als Werkstudent während des Politologiestudiums an der Universität Bern zum Team gestossen und ist dem Büro treu geblieben. Golder lebt in Feldbrunnen.