Daniel Koch ist der «Mister Corona» der Schweiz. Wer ist der Mann, der in wenigen Tagen in Pension gehen sollte?
Seine vielleicht wirksamste Waffe ist die Stimme. Er spricht in breitem Berner Hochdeutsch, so tief und so leise, dass man ihm zuhören muss. An seinen Lippen hingen die Schweizerinnen und Schweizer, als sich in den letzten Tagen die Ereignisse überschlugen. Daniel Koch sass dabei auf dem Podest im Mediencenter des Bundeshauses, seinen Körper leicht nach vorne gebeugt. Er strahlte eine Besonnenheit aus, als könnte ihm auch die übelste Naturgewalt nichts anhaben.
Koch leitet die Abteilung «Übertragbare Krankheiten» im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist die personalisierte Verantwortung. Alle paar Tage tritt er vor die Kameras und Mikrofone, ein ums andere Mal erklärt er, wie es um das Corona-Virus steht.
Wartet nicht, bis man alles befiehlt und die Leute einsperrt!
Er beantwortet im Fernsehen stundenlang Fragen. Er reist ins Tessin, wenn sich dort die Lage zuspitzt. Und er appelliert an die Menschen im Land: «Nehmt die Empfehlungen ernst, tragt die Verantwortung und wartet nicht, bis man alles befiehlt und die Leute einsperrt. Das ist nicht sehr schweizerisch.» Es ist Kochs Reaktion auf den Umstand, dass manche Teile der Bevölkerung die Bedrohung noch immer nicht ernst genug nehmen.
Diesen einen, «den letzten Ausweg», wie er es nennt, möchte er verhindern: Koch will keine Ausgangssperre. Blut, Schweiss und Tränen, das liegt ihm bei aller Dramatik der Ereignisse nicht. Nie würde er das Virus mit einem Krieg vergleichen, wie es der französische Präsident getan hat. Er will in der aufgeheizten Atmosphäre informieren, ohne zu beschönigen. Oder zu verunsichern. Im Spätherbst seiner Karriere – in wenigen Wochen wird er 65 Jahre alt – muss er Herr der Lage bleiben.
Kochs Abteilung ist derzeit fast ausschliesslich mit dem Corona-Virus beschäftigt. Mit seinen Leuten versucht der Arzt, die Krankheit und deren Ausbreitung zu überwachen, er legt Strategien fest und formuliert Verhaltenstipps oder Verordnungen. Sein oberstes Ziel: die öffentliche Gesundheit vor den Krankheitserregern schützen, mitunter mit sehr einschneidenden, vor Kurzem noch kaum denkbaren Massnahmen.
«Die Lage ist ernst und wird immer ernster», erklärte Koch Anfang Monat, als die Epidemiewelle losging. Es war ein Satz, der wachrütteln sollte; ein Satz, den sich der nüchterne Mediziner zuvor sorgfältig zurechtgelegt hatte. Nicht alle hörten den Weckruf.
Das Krisenmanagement prägt seit Jahrzehnten die Arbeit von Daniel Koch. In solchen Situationen blühe er auf, sagt einer, der ihn schon lange kennt. Bevor Koch zum Bund stiess, war er während fast 15 Jahren für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in der Welt unterwegs, unter anderem im Bürgerkrieg in Sierra Leone. «Es war ein besonders brutaler Krieg mit ganz üblen Taten. Hände wurden abgehackt, Kindersoldaten instrumentalisiert», erinnerte sich Koch kürzlich im «Blick». Nach einer Station in der IKRK-Zentrale, wo er für die Medizin-Programme in Afrika zuständig war, wechselte er 2002 ins BAG. Dort beschäftigte er sich bereits mit der Vogelgrippe und Sars.
Als Medizinstudent, in den 1970er-Jahren in Bern, trug der heute kahl rasierte Daniel Koch noch blondes, gelocktes Haar, wie Weggefährten erzählen. Hager war er schon damals. «Ein wendiger Strich in der Landschaft», erinnert sich einer. In den Kommentarspalten der sozialen Medien fragen Bürger dieser Tage besorgt, ob Koch denn überhaupt noch zu Ruhe und Schlaf komme. Tatsächlich wirkt er zusehends müde, seine Augenringe werden tiefer und tiefer. Ihm gehe es gut, versicherte der BAG-Mann im kleinen Kreis.
Die Ausbreitung des Corona-Virus dürfte ihn noch lange beschäftigen. In der Krisenbewältigung, zwischen Panik und Vorsicht, ist Kommunikation ein bedeutendes Werkzeug. Ruhig und ohne Emotionen trägt Koch Fakten vor, geduldig und trocken beantwortet er Fragen. «Das kann ich im Moment nicht beantworten», sagt er auch mal. Oder: «Dazu habe ich aktuell keine gesicherten Erkenntnisse.» Es ist diese Art der Informationsvermittlung, die vielen zusagt.
Ironie setzt Koch wohldosiert ein. So wies er einen Journalisten darauf hin, dass er ihm den Konjunktiv leider nicht erklären könne. Er sei schliesslich kein Sprachwissenschafter. Schärfer wird sein Tonfall nur dann, wenn er die möglichen Konsequenzen fehlender Verhaltensänderungen aufzeigen will.
Der Bund verharmlose die Situation und handle zu langsam, finden manche weiterhin. Er mache zu wenig Corona-Tests und habe ein Durcheinander bei der Erfassung von Fällen, kritisieren andere. Und kaum beschliesst der Bund neue Massnahmen, gehen einzelne Kantone und Gemeinden weiter – was wiederum den Bund unter Zugzwang bringt. Ganz anders vor ein paar Wochen. Als Corona ein vermeintlich rein chinesisches Thema war, warfen einige den Bundesbehörden «unnötige Panikmache» vor. Alles ordne der Bundesrat nun der Seuchenbekämpfung unter, monierte die «Handelszeitung» noch vor Wochenfrist. «Ohne Abwägung, ob eine Wirtschaftskrise nicht schlimmer wüten würde.»
Kritik begegnete Koch bisher demonstrativ gelassen. «Ich habe nicht den Anspruch, alles richtig zu machen. Auch ich werde Fehler machen», erklärte er zu Beginn der Corona-Krise dem TV-Magazin «Puls». «Das belastet mich nicht.»
Für das Privatleben bleibt dem Vater zweier erwachsener Kinder derzeit kaum Zeit. Seine beiden Boxer hat er vorübergehend in einem Hundehort untergebracht. Mit ihnen bestreitet er auch Canicross-Rennen; eine Art Geländelauf, bei dem Hund und Herrchen als Zweierteam um die Wette rennen.
Am 13. April wird Daniel Koch 65. Eigentlich würde er dann in Pension gehen. Nun aber, heisst es aus der Bundesverwaltung, werde er wohl so lange an Bord bleiben, bis die Corona-Krise bewältigt sei.