Der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler kritisiert seine Partei heftig. Die CVP müsse viel couragierter auftreten und sich nicht einmal nach links, einmal nach rechts orientieren. Und Engler fordert eine Fusion mit der BDP.
Stefan Engler: Ja, das bin ich. Jeder Verlust ist bitter, egal ob er nun ein halbes, ein ganzes oder anderthalb Prozent beträgt. Schwer wiegt vor allem die Tatsache, dass wir unseren Abwärtstrend offensichtlich nicht haben stoppen können. Die CVP verliert seit Jahrzehnten kontinuierlich.
Wir haben Fehler gemacht. In der Mitte bräuchte es eine Partei, die lautstark ihre Stimme erhebt und sich nicht so duckmäuserisch einmal nach links, einmal nach rechts orientiert, wie wir es tun. Wir müssten viel couragierter auftreten. Stattdessen lassen wir uns von unserer völlig unbegründeten Angst vor Niederlagen leiten.
Die CVP wird wahrgenommen als Partei, die mal nach links, mal nach rechts kippt, um Lösungen zu ermöglichen. Sogar bei den anderen Parteien: Die SP und Grünen auf der einen und die FDP und die SVP auf der anderen Ratsseite erwarten geradezu, dass wir letztendlich dann schon noch einlenken, um eine Vorlage vor dem Scheitern zu bewahren. Damit muss Schluss sein: Wir sollten uns nicht mehr bis zur Unkenntlichkeit verbiegen lassen, um Geschäfte zu retten.
Stefan Engler ist Fan des HC Davos und begeisterter Ausdauersportler: Stefan Engler (55). Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bern erwarb er das Anwaltspatent in seinem Heimatkanton, wo er von 1999 bis 2010 Regierungsrat war. Der Vater zweier Töchter vertritt Graubünden seit 2011 im Ständerat und ist Präsident der Rechtskommission.
Nicht nichts, aber wenig. Uns ist es zuweilen derart wichtig, im Parlament zu den Gewinnern zu gehören, dass niemand mehr unsere Identität und unser Profil hinter den Lösungen erkennt. Es gibt Stimmen, die sagen, die CVP müsse sich als Brückenbauerin besser vermarkten. Ich sage: Wir müssen nicht unsere Siege besser verkaufen, sondern in Kauf nehmen, weniger zu gewinnen. Die SP und die SVP verlieren im Parlament ständig – aber erfolgreich sind sie. Uns fehlt der Mut zur Niederlage.
Flügelkämpfe gibt es in jeder Partei, auch in den Polparteien SP und SVP. Problematisch wird es, wenn der Eindruck entsteht, eine Partei sei unberechenbar und agiere nicht geschlossen.
Leider kann ich diesen Eindruck nicht von der Hand weisen. Wenn Mitglieder unserer Fraktion so kurz vor den Wahlen Einzel- über Parteiinteressen stellen, ist das gravierend.
Wenn ein gewöhnlicher Parlamentarier so spräche, wäre dies nicht gleich zu gewichten, wie wenn dies ein Fraktionschef tut. Selbstprofilierungen schaden der Partei. Sie wirken nicht integrativ, sondern befeuern Flügelkämpfe.
(Überlegt lange). Filippo Lombardi ist ein Animal politique, er verfügt über viel Erfahrung und politischen Instinkt. Grundsätzlich ist er ein Gewinn für die Partei.
Es ist zu früh, um über Personen zu sprechen. Nach den Wahlen müssen wir uns fragen, in welche Richtung sich die Partei entwickeln soll. Und abhängig davon sollten wir unser Führungspersonal auswählen. Dieses sollte keine eigenen politischen Ambitionen verfolgen, sondern ausschliesslich das Wohl der Partei.
Wir müssen uns zwischen einer sozialliberalen und einer wertkonservativen Ausrichtung entscheiden und dann diese Haltung konsequenter vertreten, um unser Profil zu schärfen. Persönlich wünschte ich mir eine wertkonservativere Haltung. Dies entspräche unserer christlichen Grundhaltung, die Patriotismus mit der Einsicht verbindet, dass die Schweiz keine Insel ist und wir uns Abschottung nicht leisten können.
Ich bin Präsident der Bündner Kantonalpartei, das genügt mir. An der nationalen Spitze sind junge Kräfte gefordert. Ein 55-Jähriger kann der CVP nicht das Terrain für die Erfolge von morgen bereiten. Wir brauchen keinen Übergangspräsidenten, der den Niedergang der CVP verwaltet, sondern eine prägende Figur, welche für eine Neuausrichtung der Partei einsteht.
Dies ist zwingend notwendig, wenn wir nicht nur zwei Parteien in unserem Land wollen, sondern auch eine starke Mitte, welche die beiden Pole mässigt. Seien wir ehrlich: Es gibt kaum Unterschiede zwischen der BDP und der CVP. Beiden ist beispielsweise die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ein zentrales Ansinnen.
Ich finde es schade, dass zwischen den Mitteparteien noch immer konfessionelle Wände aufgebaut werden. Historisch mag das zwar zutreffen. Aber heute ist die CVP kaum mehr christlicher als andere Parteien. Und vor allem können wir es uns schlicht nicht mehr leisten, diese Wände aufrechtzuerhalten. Sonst entwickelt sich unser System mittelfristig zu einem Zwei-Parteien-System.
Sie hat überhaupt nicht funktioniert. Es gab viele Eitelkeiten und Selbstinszenierungen, die wichtiger waren als eine gestärkte Mitte – in der FDP und BDP genauso wie bei uns. Vielen Parteiexponenten war es wichtiger, im Hinblick auf die Wahlen mit markanten Sprüchen aufzufallen, als für gemeinsame Anliegen einzustehen.
Die Diskussionen um die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative zeigten, was passiert, wenn sich die Mitte nicht einigen kann. Die Linke und die Rechte haben uns in einer Nacht- und Nebelaktion übertölpelt – ein solcher Vorgang müsste uns doch die Augen öffnen.
Dies hängt davon ab, ob sich die Mitteparteien noch vor den Bundesratswahlen von Mitte Dezember auf Legislaturziele einigen können und diese verlässlich vereinbaren. Solange dies nicht gelingt, machen die Polparteien SP und SVP zurecht geltend, aufgrund ihrer Grösse Anspruch auf je zwei Sitze zu haben. Die Mitte muss nun einen Schulterschluss wagen – einen Schulterschluss notabene, der länger Bestand hat als der im Frühjahr schon nach wenigen Wochen gescheiterte bürgerliche Schulterschluss der CVP, FDP und SVP.
Darauf läuft es hinaus. Und ich fände das auch nicht schlimm – solange der Lead bei der CVP ist ... (lacht)