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CVP-Ständerat Engler: «Uns fehlt der Mut zur Niederlage»

Der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler kritisiert seine Partei heftig. Die CVP müsse viel couragierter auftreten und sich nicht einmal nach links, einmal nach rechts orientieren. Und Engler fordert eine Fusion mit der BDP.

Dennis Bühler
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CVP-Ständerat Stefan Engler

CVP-Ständerat Stefan Engler

Keystone

Stefan Engler, die CVP muss bei den bevorstehenden Wahlen mit Verlusten rechnen: Glaubt man dem aktuellsten SRG-Wahlbarometer, wird sie von 12,3 auf 11,1 Prozent fallen. Sind Sie besorgt?

Stefan Engler: Ja, das bin ich. Jeder Verlust ist bitter, egal ob er nun ein halbes, ein ganzes oder anderthalb Prozent beträgt. Schwer wiegt vor allem die Tatsache, dass wir unseren Abwärtstrend offensichtlich nicht haben stoppen können. Die CVP verliert seit Jahrzehnten kontinuierlich.

Hat sich die CVP diesen Verlust selbst zuzuschreiben?

Wir haben Fehler gemacht. In der Mitte bräuchte es eine Partei, die lautstark ihre Stimme erhebt und sich nicht so duckmäuserisch einmal nach links, einmal nach rechts orientiert, wie wir es tun. Wir müssten viel couragierter auftreten. Stattdessen lassen wir uns von unserer völlig unbegründeten Angst vor Niederlagen leiten.

Wie meinen Sie das?

Die CVP wird wahrgenommen als Partei, die mal nach links, mal nach rechts kippt, um Lösungen zu ermöglichen. Sogar bei den anderen Parteien: Die SP und Grünen auf der einen und die FDP und die SVP auf der anderen Ratsseite erwarten geradezu, dass wir letztendlich dann schon noch einlenken, um eine Vorlage vor dem Scheitern zu bewahren. Damit muss Schluss sein: Wir sollten uns nicht mehr bis zur Unkenntlichkeit verbiegen lassen, um Geschäfte zu retten.

Stefan Engler

Stefan Engler ist Fan des HC Davos und begeisterter Ausdauersportler: Stefan Engler (55). Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bern erwarb er das Anwaltspatent in seinem Heimatkanton, wo er von 1999 bis 2010 Regierungsrat war. Der Vater zweier Töchter vertritt Graubünden seit 2011 im Ständerat und ist Präsident der Rechtskommission.

Keine andere Partei gehört im Parlament derart oft zu den Siegern wie die CVP. Ist dies nichts wert?

Nicht nichts, aber wenig. Uns ist es zuweilen derart wichtig, im Parlament zu den Gewinnern zu gehören, dass niemand mehr unsere Identität und unser Profil hinter den Lösungen erkennt. Es gibt Stimmen, die sagen, die CVP müsse sich als Brückenbauerin besser vermarkten. Ich sage: Wir müssen nicht unsere Siege besser verkaufen, sondern in Kauf nehmen, weniger zu gewinnen. Die SP und die SVP verlieren im Parlament ständig – aber erfolgreich sind sie. Uns fehlt der Mut zur Niederlage.

Statt mutig agierte die CVP in den letzten Wochen dilettantisch: Für Schlagzeilen sorgte sie vor allem mit internen Streitigkeiten.

Flügelkämpfe gibt es in jeder Partei, auch in den Polparteien SP und SVP. Problematisch wird es, wenn der Eindruck entsteht, eine Partei sei unberechenbar und agiere nicht geschlossen.

Dieser Eindruck besteht.

Leider kann ich diesen Eindruck nicht von der Hand weisen. Wenn Mitglieder unserer Fraktion so kurz vor den Wahlen Einzel- über Parteiinteressen stellen, ist das gravierend.

Sie sprechen das Verhalten von Fraktionschef Filippo Lombardi an. Mehrfach sagte er, die Abwahl Christoph Blochers aus dem Bundesrat sei ein Fehler gewesen und Eveline Widmer-Schlumpf gehöre abgewählt. Nervt Sie das?

Wenn ein gewöhnlicher Parlamentarier so spräche, wäre dies nicht gleich zu gewichten, wie wenn dies ein Fraktionschef tut. Selbstprofilierungen schaden der Partei. Sie wirken nicht integrativ, sondern befeuern Flügelkämpfe.

Ist Lombardi als Fraktionschef überhaupt noch tragbar?

(Überlegt lange). Filippo Lombardi ist ein Animal politique, er verfügt über viel Erfahrung und politischen Instinkt. Grundsätzlich ist er ein Gewinn für die Partei.

Kommenden Frühling tritt Partei-Präsident Christophe Darbellay ab. Nationalrat Gerhard Pfister möchte ihn beerben. Er und Lombardi möchten die CVP auf Rechts trimmen. Und Sie?

Es ist zu früh, um über Personen zu sprechen. Nach den Wahlen müssen wir uns fragen, in welche Richtung sich die Partei entwickeln soll. Und abhängig davon sollten wir unser Führungspersonal auswählen. Dieses sollte keine eigenen politischen Ambitionen verfolgen, sondern ausschliesslich das Wohl der Partei.

Wie soll sich denn die CVP in der nächsten Legislatur präsentieren und positionieren?

Wir müssen uns zwischen einer sozialliberalen und einer wertkonservativen Ausrichtung entscheiden und dann diese Haltung konsequenter vertreten, um unser Profil zu schärfen. Persönlich wünschte ich mir eine wertkonservativere Haltung. Dies entspräche unserer christlichen Grundhaltung, die Patriotismus mit der Einsicht verbindet, dass die Schweiz keine Insel ist und wir uns Abschottung nicht leisten können.

Sie sind gemässigter als Pfister. Können Sie sich vorstellen, CVP-Präsident zu werden?

Ich bin Präsident der Bündner Kantonalpartei, das genügt mir. An der nationalen Spitze sind junge Kräfte gefordert. Ein 55-Jähriger kann der CVP nicht das Terrain für die Erfolge von morgen bereiten. Wir brauchen keinen Übergangspräsidenten, der den Niedergang der CVP verwaltet, sondern eine prägende Figur, welche für eine Neuausrichtung der Partei einsteht.

Laut Prognosen wird auch die BDP Wähler verlieren. Vor einem Jahr sind Fusionspläne mit der CVP gescheitert. Müssen sich die beiden Parteien noch einmal zusammenraufen?

Dies ist zwingend notwendig, wenn wir nicht nur zwei Parteien in unserem Land wollen, sondern auch eine starke Mitte, welche die beiden Pole mässigt. Seien wir ehrlich: Es gibt kaum Unterschiede zwischen der BDP und der CVP. Beiden ist beispielsweise die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ein zentrales Ansinnen.

Historisch gibt es konfessionelle Unterschiede.

Ich finde es schade, dass zwischen den Mitteparteien noch immer konfessionelle Wände aufgebaut werden. Historisch mag das zwar zutreffen. Aber heute ist die CVP kaum mehr christlicher als andere Parteien. Und vor allem können wir es uns schlicht nicht mehr leisten, diese Wände aufrechtzuerhalten. Sonst entwickelt sich unser System mittelfristig zu einem Zwei-Parteien-System.

Hat die Zusammenarbeit in der Mitte in der zu Ende gehenden Legislatur zu wenig gut funktioniert?

Sie hat überhaupt nicht funktioniert. Es gab viele Eitelkeiten und Selbstinszenierungen, die wichtiger waren als eine gestärkte Mitte – in der FDP und BDP genauso wie bei uns. Vielen Parteiexponenten war es wichtiger, im Hinblick auf die Wahlen mit markanten Sprüchen aufzufallen, als für gemeinsame Anliegen einzustehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Diskussionen um die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative zeigten, was passiert, wenn sich die Mitte nicht einigen kann. Die Linke und die Rechte haben uns in einer Nacht- und Nebelaktion übertölpelt – ein solcher Vorgang müsste uns doch die Augen öffnen.

Hat die politische Mitte bestehend aus GLP, CVP, BDP und FDP den Anspruch auf drei oder vier Bundesratssitze?

Dies hängt davon ab, ob sich die Mitteparteien noch vor den Bundesratswahlen von Mitte Dezember auf Legislaturziele einigen können und diese verlässlich vereinbaren. Solange dies nicht gelingt, machen die Polparteien SP und SVP zurecht geltend, aufgrund ihrer Grösse Anspruch auf je zwei Sitze zu haben. Die Mitte muss nun einen Schulterschluss wagen – einen Schulterschluss notabene, der länger Bestand hat als der im Frühjahr schon nach wenigen Wochen gescheiterte bürgerliche Schulterschluss der CVP, FDP und SVP.

Schwebt Ihnen ein 3-Parteien-System vor?

Darauf läuft es hinaus. Und ich fände das auch nicht schlimm – solange der Lead bei der CVP ist ... (lacht)