Die Zahl der verabreichten Impfdosen ist seit Anfang Juni markant gesunken. Und trotzdem werden vielerorts Lockerungen der aktuellen Massnahmen gefordert. Wären diese gerechtfertigt? Eine Übersicht.
Die Impfkampagne in der Schweiz ist ins Stocken geraten. Die Nachfrage nach Impfungen ist deutlich gesunken. Die Anzahl täglich verabreichter Impfdosen ist gemäss der Taskforce seit Anfang Juni um über 70 Prozent zurückgegangen.
Die Kantone sind nun dabei, die Kapazitäten zur Impfung herunterzufahren, wie die Berner Kantonsärztin Linda Nartey am Dienstag vor den Medien sagte. Aktuell sind in der Schweiz 48,37 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, 54,37 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten.
Angesichts des deutlichen Nachfrage-Rückgangs für Impfungen stellt sich die Frage: Ist jetzt der Moment gekommen, um in die Normalisierungsphase zu treten? Sind die bestehenden Massnahmen noch gerechtfertigt? Die folgenden 4 Punkte geben dir eine Übersicht zur Lage.
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Ende April stellte der Bundesrat das Drei-Phasen-Modell vor – es sollte den Schweizer Weg aus der Pandemie zeigen. Unterteilt ist der Plan in drei Phasen:
Momentan befinden wir uns noch in der Stabilisierungsphase. Was also sind die Bedingungen, um in die Normalisierungsphase zu treten? Das Drei-Phasen-Modell besagt Folgendes: «Sind alle impfwilligen erwachsenen Personen vollständig geimpft, beginnt die Normalisierungsphase. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass dann keine starken gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen mehr zu rechtfertigen sind. Die verbleibenden Massnahmen (Zugangs- und Kapazitätsbeschränkungen) sollen schrittweise aufgehoben werden. An dieser Strategie soll auch dann festgehalten werden, wenn die Impfbereitschaft der Bevölkerung entgegen der Erwartungen tief bleibt.»
Alain Berset bekräftigte mehrmals den Willen des Bundesrates, an diesem Plan festzuhalten. So sagte der Gesundheitsminister am 12. Mai: «Ab dem Moment, da alle Impfwilligen geimpft sind, sind Schliessungen, Kapazitätseinschränkungen und so weiter nicht mehr zu rechtfertigen.» Er könne sich aber gut vorstellen, dass etwa die Masken-Pflicht im ÖV auch zu Beginn der dritten Phase bestehen bleibe.
Per 26. Juni erliess der Bundesrat weitere Lockerungen der Corona-Regeln. Doch es gibt weiterhin Massnahmen für das öffentliche und private Leben in der Schweiz. So gilt nach wie vor eine Home-Office-Empfehlung. Private Treffen in Innenräumen sind auf 30 Personen beschränkt. An der frischen Luft beträgt die Limite 50 Personen.
Grossevents sind zwar erlaubt, bei mehr als 1000 Personen ist allerdings das Covid-Zertifikat Pflicht. Für Restaurants und Bars gilt in Innenräumen weiterhin eine Sitzpflicht, ausser sie verlangen beim Eintritt ein Covid-Zertifikat. Weiterhin bestehen bleiben auch die Isolations- und Quarantäneregeln bei einer Corona-Infektion oder bei Kontakt mit einer positiv getesteten Person.
Sollen die bestehenden Massnahmen also aufgehoben werden? An der Pressekonferenz von Mittwoch gab der scheidende Präsident der Taskforce, Martin Ackermann, zu bedenken, dass über drei Millionen Menschen in der Schweiz noch nicht immun gegen das Coronavirus seien. Würden diese innert kurzer Zeit an Covid-19 erkranken, könnte es erneut zu Engpässen im Gesundheitssystem kommen.
Eine Überlastung des Gesundheitssystems hätte auch Folgen für Geimpfte, da auch diese auf einen Platz auf der Intensivstation angewiesen sein könnten – nach einem Verkehrsunfall etwa. Zudem wurden im Verlaufe der Pandemie Operationen verschoben, da die Kapazitäten fehlten. Bei einer erneuten Überlastung des Gesundheitssystems müsste diese Massnahme wohl erneut angedacht werden.
Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit (BAG), sagte an der Pressekonferenz von Mittwoch, dass man den Punkt zum Übertritt in die Normalisierungsphase vielleicht schon erreicht habe. Sie gab allerdings zu bedenken, dass nach wie vor eine Nachfrage nach Impfungen bestehe. Das Potenzial sei noch nicht ganz ausgeschöpft. Viele würden sich etwa erst nach den Sommerferien impfen lassen.
Martin Ackermann brachte derweil eine Telefonkampagne ins Spiel, um die Impfquote zu erhöhen. Mittels gezielten Telefonaten sollten die Behörden Personen ansprechen, die sich bisher noch nicht haben impfen lassen.
Der Entscheid, wann die Normalisierungsphase startet, liegt beim Bundesrat. Dieser wird sich in genau einer Woche, am 11. August, zu seiner ersten Sitzung nach den Sommerferien treffen. Lockerungen wird es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht geben, da der Bundesrat zunächst die Kantone konsultieren muss.
Auf den geplanten Konsultationsprozess zu einem weiteren Öffnungspakte in der Woche zwischen dem 29. Juli und dem 4. August verzichtete der Bundesrat. Er begründete diesen Schritt mit einer «negativen Dynamik» und der Unsicherheit wegen Ferienrückkehrern.
Ob der Bundesrat am 11. August bei der Lagebeurteilung weitere Öffnungen in Konsultation gibt, wird sich zeigen. In Kraft treten würden diese aber kaum vor Ende August, da die Konsultation ein bis zwei Wochen in Anspruch nimmt. Der Übertritt in die Normalisierungsphase wird also trotz starkem Rückgang der Impfnachfrage nicht in den nächsten Tagen stattfinden.