Startseite
Schweiz
In drei Phasen soll die Schweiz zur Normalität zurückkehren. Ein Konzeptpapier aus dem Departement von Gesundheitsminister Alain Berset (SP) zeigt, welche erheblichen Risiken die Regierung damit eingeht.
Schutzphase, Stabilisierungsphase, Normalisierungsphase: Mit diesen drei Stufen will der Bundesrat die pandemiebedingten Einschränkungen schrittweise zurückfahren. Die nächsten Öffnungen sollen beim Übergang von der Schutz- in die Stabilisierungsphase folgen. Dies dürfte frühestens am 26. Mai der Fall sein, wie Gesundheitsminister Alain Berset (SP) am Mittwoch sagte. Bis dahin sollen alle impfwilligen, besonders gefährdeten Personen vollständig geimpft worden sein.
Doch mit Abschluss der Schutzphase ist ein Grossteil der Bevölkerung weiterhin ungeschützt gegen eine Infektion mit Covid-19. Gemäss Impfstrategie des Bundes gehören rund 5 Millionen Erwachsene in der Schweiz nicht zur Impfgruppe der besonders gefährdeten Personen. Hinzu kommen 1.5 Millionen Kinder und Jugendliche, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist.
In einem Konzeptpapier aus Alain Bersets Innendepartement (EDI) wird das Drei-Phasen-Modell konkretisiert. Das Dokument zeigt die erheblichen Risiken der bundesrätlichen Strategie auf.
Bei einer starken Zunahme der Fallzahlen während der voraussichtlich Ende Mai beginnenden Phase II (Stabilisierung) müssten insbesondere jüngere und nicht geimpfte, ältere Personen hospitalisiert werden, heisst es. Das Papier verweist zudem auf das «zusätzliche Risiko für schwere Verläufe» bei Infektionen mit der unterdessen dominierenden Virusvariante B.1.1.7 hin. Eine Ansteckungswelle in dieser Phase sei zu vermeiden, weil die Möglichkeit kurz bevorstehe, sich mit einer Impfung zu schützen: «Je näher diese Schutzmöglichkeit ist, desto unnötiger ist es, eine Ansteckung mit potenziell schweren Folgen zu riskieren.»
Doch dieses Risiko können Personen, welche sich noch nicht impfen lassen konnten, alleine durch individuelle Vorsichtsmassnahmen nicht vermeiden. Dieses Eingeständnis erfolgt im Konzeptpapier in Form einer expliziten Erwähnung der Personen, «die sich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit nur beschränkt vor einer Ansteckung schützen können».
Ein rasanter Anstieg der Fallzahlen während Phase II gelte es zu vermeiden, heisst es im Konzeptpapier. Wichtig sei, dass die breite Bevölkerung rasch einen Zugang zur Impfung erhalte. Erfahrungen aus dem Ausland zeigten jedoch, dass dabei nochmals mit einer Beschleunigung der epidemischen Entwicklung gerechnet werden müsse. Denn die Phase berge das Risiko, dass sich viele, auch noch nicht geimpfte Personen nicht mehr an die Massnahmen halten.
Trotz dieser Diagnose ist der Bundesrat bereit, einen Anstieg der Fallzahlen in Phase II hinzunehmen. Für die Phase II definierte er höhere Grenzwerte, ab welcher die Massnahmen wieder verschärft würden, als dies in der aktuell laufenden Phase I der Fall ist. In Phase II sollen Verschärfungen erst geprüft werden, wenn die 14-Tages-Inzidenz 600 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohnern überschreitet. In Phase I beträgt dieser Wert 450. Wegen der fortschreitenden Impfkampagne liege dieser Wert für den Bevölkerungsteil, der noch nicht geimpft und somit potenziell infiziert werden kann, tatsächlich noch höher: «Ein Wert von 600 würde bei einem Durchimpfungsgrad von 40% einem Wert von 1’000 in der ungeimpften Bevölkerung entsprechen».
Am Ende des Konzeptpapiers listet das EDI die mittelfristigen Risiken und Herausforderungen auf. Unter anderem dürften die Importe von Infektionen oder neuen Virusvarianten «über lange Zeit ein Risiko darstellen». Es könnten Virusvarianten entstehen, die sich besser an noch ungeimpfte Personengruppen wie Kindern anpassen können.
Zusätzlich drohe die Akzeptanz der Impfungen abzunehmen - etwa wegen des Auftretens von Nebenwirkungen, eines persönlich als gering eingestuften Infektionsrisikos oder auch nur wegen der Aussicht auf Öffnungsschritte. Und ausserdem können Personen langfristig von den Folgen einen Erkrankung betroffen sein. Wie gross der Anteil dieser Long-Covid-Erkrankten sei und welche Auswirkungen dies auf Wirtschaft und Gesellschaft habe, sei derzeit noch unklar.