Corona
Wer handelt, wenn eine neue Coronawelle droht? Bundesrat nimmt Kantone in die Pflicht – was diesen missfällt

Bund und Kantone wollten sich gemeinsam für den Coronaherbst wappnen. Doch statt sich auf einen Plan zu einigen, stritten sie darüber, wer Massnahmen wie die Maskenpflicht verhängen müsste. Nun spricht der Bundesrat ein Machtwort.

Maja Briner
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Falls nötig, müssten die Kantone die Maskenpflicht in Zügen wieder einführen, findet der Bundesrat.

Falls nötig, müssten die Kantone die Maskenpflicht in Zügen wieder einführen, findet der Bundesrat.

Bild: Frank Schwarzbach

Selten offenbart sich ein Knatsch zwischen Bund und Kantonen so deutlich wie in diesem Fall. Eigentlich sollte in einem gemeinsamen Papier festgehalten werden, wer bei einer erneuten Coronawelle welche Aufgaben übernimmt: Wer verhängt die Maskenpflicht in Läden oder im ÖV, wenn sie nötig wird? Wer entscheidet über die Wiedereinführung der Isolation?

Gesundheitsminister Alain Berset hatte bereits Ende März klargemacht, wen er in der Pflicht sieht: die Kantone. Das wollte der Bundesrat so auch in einem gemeinsamen Grundlagenpapier festhalten. Doch daraus wurde nichts –, weil sich Bund und Kantone nicht einig sind. Der Bundesrat hat am Mittwoch das Papier verabschiedet, ohne dass es von den Kantonen mitgetragen wird. Diese hätten es in diesem Fall gern gesehen, wenn der Bund das Heft stärker in die Hand nehmen würde – auch, um einen Flickenteppich zu vermeiden.

Nur bei «besonders heftiger Welle» will der Bund eingreifen

Es ist die Fortsetzung eines Verantwortung-Pingpongs, das sich während der Pandemie wiederholt zeigte. Diesmal wollte der Bundesrat sich besser wappnen und die Verantwortlichkeiten klären, bevor sich die Lage im Herbst allenfalls wieder zuspitzt. Mit Verweis aufs Epidemiengesetz hält er im Grundlagenpapier nun fest: Für Massnahmen wie Zugangsbeschränkungen, Maskenpflicht oder auch Isolation sind die Kantone zuständig.

Ein Wechsel in die besondere Lage, welche dem Bund mehr Kompetenzen geben würde, soll nur bei einer «erneuten, besonders heftigen Pandemiewelle» erfolgen. Der Bundesrat will diesen Schritt einzig dann in Betracht ziehen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht und die Bemühungen der Kantone nicht ausreichen, um die Virus-Verbreitung zu verhindern.

«Das bedauern wir sehr»

Die Kantone finden hingegen: Der Bund muss ran, wenn es nationale Massnahmen braucht. Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und die grosse Mehrheit der Kantone sind laut GDK-Präsident Lukas Engelberger der Ansicht, die Hürden für die besondere Lage seien zu hoch gesetzt. «Das bedauern wir nach den Erfahrungen aus zwei Jahren Pandemiebewältigung», kritisiert er.

Bei gewissen Massnahmen braucht es aus Sicht der GDK eine nationale Regelung, beispielsweise bei der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Kantonale Unterschiede seien hier kaum verständlich zu vermitteln und umzusetzen, argumentiert die Konferenz.

Kantone sollen sich koordinieren

Der Bund räumt ein, dass es Massnahmen gibt, die sinnvollerweise schweizweit gelten sollten – zum Beispiel eben die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Das heisse jedoch nicht, dass der Bund sie einführen müsse, findet die Regierung: Die Kantone könnten sich untereinander koordinieren.

Die GDK folgt dem Wink mit dem Zaunpfahl und will noch diese Woche festlegen, wie sie bei einer schweizweit angespannten Lage Massnahmen ausarbeiten könnte. Der GDK-Präsident macht sich allerdings keine Illusionen: Kantonale Unterschiede seien «weiterhin möglich und wahrscheinlich», so Engelberger. Denn die GDK kann lediglich Empfehlungen aussprechen, nicht aber die Kantone verpflichten.

Dass die Koordination schwierig ist, hat sich in der Pandemie wiederholt gezeigt. Zeitweise waren in einem Kanton beispielsweise die Restaurants geschlossen, im Nachbarkanton offen. Selbst wenn sich alle kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren einig wären, ist die Gefahr des Flickenteppichs noch nicht gebannt, da sie auch eine Mehrheit in ihrer Regierung finden müssen.

Immerhin bietet der Bundesrat den Kantonen an, sie bei Bedarf zu unterstützen, beispielsweise, indem er ebenfalls Empfehlungen ausspricht. Ob diese von allen befolgt werden, ist allerdings fraglich: Als der Bundesrat letztes Jahr darauf drängte, dass alle Kantone an den Schulen flächendeckend repetitive Coronatests durchführen, taten dies längst nicht alle.