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Eine halbe Million Bürger haben die Warn-App heruntergeladen. Doch kommt sie auch am richtigen Ort zum Einsatz? Ein Test gibt Antworten und wirft eine Frage zum Datenschutz auf.
Freitagmorgen 7:54 Uhr. Der Intercity 808 aus Romanshorn fährt im Zürcher Hauptbahnhof ein. Gleich wird er Hunderte Pendler von Zürich nach Bern bringen, die schon auf dem Perron warten. Einige tragen Masken, um sich vor dem Coronavirus zu schützen. Nun haben sie zudem die Möglichkeit, mit einer App auf dem Smartphone anonym aufzuzeichnen, welchen Personen sie im Zugabteil so nahe kamen, dass eine Ansteckung durch das Coronavirus möglich wäre.
Seit Donnerstag steht die App auf den Plattformen von Apple und Google offiziell bereit. Nur Stunden nach der offiziellen Lancierung konnte der Bund schon 150'000 Registrierungen vermelden. Bis am Abend waren es über eine halbe Million (566 894)
Die ersten Zahlen sorgten unter den Experten des Bundesamts für Gesundheit für Optimismus. Als ideal sehen sie eine Verbreitungsquote von 60 Prozent unter den Smartphonenutzern an. Wie sie an einer Pressekonferenz am Donnerstag durchscheinen liessen, wären sie aber auch über 20 Prozent schon froh.
Die Zahl der heruntergeladenen und aktivierten Apps sagt aber noch nichts darüber aus, ob die entsprechend ausgerüsteten Smartphones auch am richtigen Ort zum Einsatz kommen. Zum Beispiel in vollbesetzten Zügen oder in Bahnhöfen, wo sich Menschen begegnen, ohne den gebotenen Abstand immer einhalten zu können.
Um herauszufinden, ob die Apps nicht nur installiert, sondern auch wirklich aktiv im Einsatz sind, führte die Redaktion von CH Media in der Zürcher Innenstadt einen Test durch.
Die Signale von Corona-Tracing-Apps lassen sich mit einer anderen Smartphone-App sichtbar machen. Die Corona-Apps kommunizieren über das Signal Bluetooth, über das sonst vor allem Kopfhörer verbunden werden. Anhand der Stärke der Bluetooth-Signale können die Smartphones ermitteln, wie nahe sich die Geräte kommen. Sollte ein Nutzer später eine Infektion mit Corona melden, werden andere Nutzer, die für eine gewisse Zeit in der Nähe des Infizierten waren, alarmiert.
Die Bluetooth-Signale der Corona-App verfügen über einen spezielle Kennung (UUID), welche sie von Bluetooth-Signalen anderer Geräte, etwa Kopfhörern oder Smartwatches unterscheidet.
Mit dem richtigen Programm können Computer oder Smartphones diese Signale sichtbar machen. Für den Test hat die Redaktion von CH Media die Applikation «RaMBLE - Bluetooth LE Mapper» benutzt, die auf Android-Smartphones funktioniert. Die Entwickler des Programms wollen darauf aufmerksam machen, dass Bluetooth-Geräte einfach aufzuspüren und zu identifizieren sind, was zu Datenschutzproblemen führen könne. Wie es um den Datenschutz des Corona-App steht? Dazu später mehr.
Zuerst einmal geht es um die Frage, ob die App nun tatsächlich benutzt wird. Darum zurück zum Intercity Zürich-Bern.
Mittlerweile haben die Passagiere in ihren Abteilen Platz genommen. Und tatsächlich: Unser Bluetoothscanner zeigt Dutzende Geräte an, die sich in der Nähe befinden. Ob 1. oder 2. Klasse. Die Liste der Geräte, welche die App anzeigt, ist lang.
In der ersten Klasse begegnen wir einem Zürcher Regierungsrat. Er trägt in der nur spärlich gefüllten 1. Klasse keine Maske. Ob er die App installiert hat, können wir nicht fragen, weil er telefoniert. Der Scanner zeigt mehrere Corona-Apps in der Nähe an.
Bevor der Zug abfährt, steigen wir aus. Viel Signale sind auch um den Treffpunkt mit der grossen Uhr in der Bahnhofshalle messbar. Und obwohl die Geschäfte noch geschlossen und die Bahnhofstrasse entsprechend leer ist, zeigt der Scanner auch dort wieder Dutzende Geräte an. Wenn ein Tram durchfährt, werden es mehr. Entfernt es sich wieder, werden es weniger.
Überall wo sich Menschen in grösseren Gruppen versammeln, steigt die Zahl der angezeigten Geräte. Zum Beispiel am Bürkliplatz, wo am Freitagmorgen ein Gemüsemarkt stattfindet oder am Bellevue, wo viele Passagiere umsteigen.
Unter Studenten ist die App weit verbreitet. Das zeigt ein Rundgang in der um 10 Uhr vollbesetzten Zentralbibliothek. Zeitweise werden zwei Dutzend Corona-App-Signale gleichzeitig angezeigt.
Etwas weniger Signale messen wir in einem grossen Warenhaus. Allerdings ist das um 10 Uhr erst spärlich besucht.
Der Test mit dem Bluetooth-Scanner zeigt, dass die App nur kurz nach der offiziellen Lancierung am Donnerstag rege genutzt wird. In Zürich laufen die Bluetooth-Signale heiss. Die App wird also von vielen akzeptiert und wie die aufgespürten Signale zeigen, sind viele auch in der Lage, ihre Geräte korrekt zu benutzen (zum Beispiel: Bluetooth eingeschaltet).
Allerdings zeigt der Test auch, dass noch Luft nach oben ist. In einem vollbesetzten Pendlerzug müssten noch mehr Signale vorhanden sein, will man eine Rate von 60 Prozent erreichen.
Und wie steht es nun um den Datenschutz, wenn es so einfach ist, die Signale von Corona-Apps zu messen? Kim Sang-Il, Leiter der Abteilung für Digitale Transformation beim Bundesamt für Gesundheit, sagt:
Wir haben das bestmögliche getan, um die App so sicher und anonym wie möglich zu machen.
In der Praxis sieht das so aus: Ein Teil der Kennung des Bluetooth-Signals wechselt alle 15 bis 20 Minuten. Gleich bleibt nur der Teil, der das Signal von anderen unterscheidet, etwa von Kopfhörern.
Es ist also nicht möglich, ein Gerät per Bluetooth-Scanner zu identifizieren und ein Bewegungsprofil zu erstellen. Den Kennungen ist erst recht nicht anzusehen, ob der Benutzer eine Infektion gemeldet hat. Auch Gerätenamen oder Identifikationsnummern sind keine aufspürbar.
Die Datenschutzvorkehrung führt auch dazu, dass die Messung mit dem Bluetooth-Scanner keine genauen Resultate liefert. Durch dass wir uns nur kurz in Zugabteilen, Bahnhöfen, Läden und Bibliotheken aufhielten, ist zwar die Chance klein, dass Geräte mehrere verschiedene Signale sendeten und so doppelt gezählt wurden. Auszuschliessen ist es aber nicht. Darum können die Karten, die auf den Messungen beruhen, kein exaktes Bild der Lage liefern.
Die einfache Aufspürbarkeit der Signale wirft aber durchaus Fragen auf. So ist ein Grundpfeiler des Apps die Freiwilligkeit. Niemand soll zur Nutzung des Apps gezwungen sein. Unser Test zeigt nun aber, dass es einfach wäre, zu überprüfen, ob Mitarbeiter eines Büros oder Gäste eines Restaurants die App aktiviert haben. Gesetzlich darf niemandem ein Nachteil entstehen, wenn er oder sie auf die Corona-App verzichtet. Moralisch könnte aber Druck entstehen.
Die Idee dieser Messung ist Inspiriert von Merlin Chlosta, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Systemsicherheit an der Ruhr-Universität Bochum. Er hat seine Messmethode auf Twitter geteilt (zum ganzen Thread):
Thread: Erste Eindrücke zur Verbreitung der #CoronaWarnApp im Alltag.
— Merlin Chlosta (@merlinchlosta) June 17, 2020
Heute sind @m33x und ich durch die Bochumer Innenstadt geradelt 🚲 um zu schauen, wie viele Leute die neue #CoronaWarnApp aktiv verwenden. Wir sind positiv überrascht (1/5) pic.twitter.com/qlBu42F7ts